Braunschweig. Das autonome Fahren ist die Zukunftsvision der IT- und Automobilindustrie. Schon heute können automatisierte Systeme in bestimmten Situationen die Steuerung des Fahrzeuges übernehmen, es zum Beispiel selbstständig in eine Parklücke manövrieren oder den Fahrer im Stau und stockenden Verkehr beim Lenken, Beschleunigen und Bremsen unterstützen.
Dank verbesserter Sensortechnologie kann der Fahrer schon bald in immer mehr Situationen bei seiner Fahraufgabe unterstützt und entlastet werden. Wie sehen die nächsten Schritte auf dem Weg zum selbstfahrenden Fahrzeug aus? Mit dieser Frage beschäftigt sich heute und morgen die Tagung Automatisiertes & Vernetztes Fahren (AAET) in der Stadthalle. Die berichtet die ITS mobility GmbH heute in einer Pressemitteilung.
Ausgerichtet wird die Tagung bereits zum 19. Mal vom Netzwerk für intelligente Mobilität ITS mobility mit Unterstützung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR), des Niedersächsischen Forschungszentrums Fahrzeugtechnik (NFF) und der Allianz für die Region. Rund 120 Teilnehmer verfolgen das zweitägige Vortragsprogramm, in dem Experten aus Wissenschaft und Industrie einen Blick in die Zukunft der höher automatisierten Fahrfunktionen werfen.
Umfelderkennung mit Hilfe von Sensoren
Aktuell arbeiten Forschung und Entwicklung daran, die Umfelderkennung mit Hilfe von Sensoren wie Kameras, Radar, Lidar oder Ultraschall zu verbessern. Denn um sich sicher und zuverlässig durch den Verkehr zu bewegen, muss das Fahrzeug seine Umgebung überwachen und all das erfassen, was der Fahrer mit seinen Sinnen wahrnimmt: andere Fahrzeuge und Verkehrsteilnehmer, die Fahrbahn, Hindernisse. „Leistungsstarke Sensortechnologie ermöglicht die Optimierung bekannter Funktionen wie Park- oder Stauassistent und auch neuartige automatisierte Fahrfunktionen wie einen Autobahnchauffeur oder fahrerloses Einparken“, erläutert Prof. Dr. Karsten Lemmer, DLR-Vorstand für Energie und Verkehr, der dem Programmausschuss der Tagung AAET vorsitzt.
Besonders gefordert ist die Umfelderkennung im Stadtverkehr, der Königsdisziplin für das automatisierte Fahren. Unterschiedliche Verkehrsteilnehmer teilen sich begrenzten Raum, auch Fußgänger und Radfahrer, deren Verhalten schwer vorauszusagen ist. Mit der komplexen Infrastruktur aus Kreuzungen, Ampeln und Straßenschildern muss das automatisierte Fahrzeug mehr Informationen aufnehmen und seine Sensorik trotz Abschattung durch hohe Gebäude einwandfrei funktionieren.
Nicht nur in dieser Situation zeigt sich, dass die Vernetzung der Verkehrsteilnehmer untereinander eine wichtige Voraussetzung für das automatisierte Fahren ist. „Fahrzeuge müssen miteinander kommunizieren, um ihr Fahrverhalten aufeinander abstimmen zu können“, erklärt Priv. Doz. Dr.-Ing. Roman Henze vom Niedersächsischen Forschungszentrum Fahrzeugtechnik (NFF). Das Institut für Fahrzeugtechnik ist unter anderem im breit angelegten BMWi-Verbund-Projekt „Ko-HAF“ aktiv. Ko-HAF steht für Kooperatives Hoch-Automatisiertes Fahren, und entwickelt Fahrfunktionen der nächsten Automatisierungsstufe für komplexe Anwendungsfälle bei höheren Fahrgeschwindigkeiten. Verschiedene Herausforderungen, wie zum Beispiel die zuverlässige Situationserfassung und Entscheidungsfindung, die Einbeziehung von Kommunikation und die Verarbeitung hochgenauer Kartendaten werden hierbei berücksichtigt. Mit den selbst aufgebauten Experimentalfahrzeugen TEASY III und TIAMO stellt die TU Braunschweig als einzige Universität im Ko-HAF-Konsortium eigene Demonstratoren bereit, die heute und morgen im AAET-Ausstellerforum zu sehen sind. Darüber hinaus gewährt das NFF den Tagungsteilnehmern heute Abend einen Einblick in seine Forschungsanlagen für das automatisierte Fahren.
Weiter Weg zum fahrerlosen Fahrzeug
Bis zum viel besagten fahrerlosen Fahrzeug ist es noch ein weiter Weg. Trotzdem werden die ersten vollautonomen Fahrzeuge schon in den nächsten Jahren im städtischen Umfeld zu sehen sein, etwa zum ITS Weltkongress 2021 in der Freien und Hansestadt Hamburg. Diese werden jedoch mit einem speziellen Sicherheitskonzept in den Verkehr eingeführt und noch für eine lange Zeit während der Fahrt überwacht werden, von einem Sicherheitsfahrer oder auch von außen durch einen Teleoperator.
So sieht es auch die aktuelle Gesetzeslage vor, wie Prof. Lemmer erläutert: „Automatisierte Fahrfunktionen dürfen für einen bestimmten Zeitraum die Steuerung des Fahrzeuges übernehmen – unter der Voraussetzung, dass der Mensch jederzeit kurzfristig in den Fahrvorgang eingreifen kann.“ Auch die rechtlichen Hürden für die Zulassung von autonomen Fahrzeugen sind in Deutschland höher als in Ländern wie den USA und China, in denen bereits Testflotten mit vollautonomen Fahrzeugen unterwegs sind. Mit solch rechtlich-politischen Aspekten des automatisierten und vernetzten Fahrens beschäftigt sich die AAET ebenfalls: Heute Nachmittag behandelt eigens ein Vortrag des TÜV Nord die neuen Anforderungen an die Typprüfung bei automatisierten Fahrzeugen.
Technisch gesehen schreitet Deutschland auf dem Weg zum automatisierten Fahren aber zügig voran. „Norddeutschland ist einer der bedeutendsten Forschungsstandorte der Automobilindustrie. Die hier ansässigen Unternehmen und Forschungseinrichtungen tragen entscheidend dazu bei, dass Deutschland ein wichtiger Know-how-Träger für das automatisierte Fahren ist“, erläutert Thomas Krause, Vorstandsvorsitzender von ITS mobility. Dem in Braunschweig ansässigen Netzwerk für intelligente Mobilität gehören mehr als 200 Mitglieder an, darunter große Industrieunternehmen, Forschungseinrichtungen, KMUs, Verbände und Experten.
Niedersachsen nimmtVorreiterrolle ein
Insbesondere Niedersachsen nimmt bei der Forschung und Entwicklung zum automatisierten und vernetzten Fahren eine Vorreiterrolle ein: Das DLR und das Land Niedersachsen haben im vergangenen Jahr den Startschuss für das Testfeld Niedersachsen gegeben. Auf rund 280 Kilometern Autobahn, Land- und Bundesstraße sowie im urbanen Raum entsteht zwischen Hannover, Hildesheim, Salzgitter, Braunschweig und Wolfsburg eine Forschungslandschaft für die Weiterentwicklung autonomer und vernetzter Mobilität. Zum Einstieg in Tag zwei der AAET stellt Prof. Dr. Frank Köster vom DLR morgen Bausteine und Anwendungsmöglichkeiten des Testfeldes vor. „In diesem Jahr geht die Umsetzung des Testfeldes Niedersachsen in die heiße Phase. Insbesondere werden Masten mit dauerhaft installierter Kommunikations- und Kameratechnik an der A39 aufgebaut. Dies sind zentrale Technologiebausteine des Testfeldes“, so Prof. Köster.
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