»Bekenntnis zum Widerstand gegen den Nationalsozialismus«


Die zerstörte Lagebesprechungsbaracke nach dem Anschlag auf Adolf Hitler am 20. Juli 1944. Foto: Bundesarchiv
Die zerstörte Lagebesprechungsbaracke nach dem Anschlag auf Adolf Hitler am 20. Juli 1944. Foto: Bundesarchiv | Foto: Bundesarchiv



Braunschweig. Zum Jahrestag des Attentates auf Adolf Hitler am 20. Juli 1944 ein Gedenkwort von dem Historiker Prof. Dr. h.c. Gerd Biegel vom Institut für Braunschweigische Regionalgeschichte an der TU Braunschweig:

20. Juli 1944 – wie selbstverständlich gehen wir heute davon aus, daß unsere politischen und gesellschaftlichen Repräsentanten, die Bundesregierung und die Länderregierungen, aber auch die Mehrheit der Gesellschaft mit diesem Datum ein tiefgreifendes Ereignis der deutschen Geschichte verbinden wird: dem jährlich Anerkennung und würdiges Gedenken gewidmet wird. Tatsächlich kann man feststellen, daß ein solches Gedenken »seit Jahrzehnten unverzichtbarer Bestandteil der Identität der Bundesrepublik Deutschland und Bezugspunkt des offiziellen politisch-ethischen Wertekanons« ist. (Rüdiger von Voss, Staatsstreich vom 20. Juli 1944, S. 11). Gedenken an das gescheiterte Attentat vom 20. Juli 1944 und die deutsche Erinnerungskultur sind stets ein notwendiges Thema, das wir für wichtig und bedeutend ansehen und dem unsere heutige Veranstaltung gilt.

Hätte das Attentat des Carl Schenk Graf von Stauffenberg auf Hitler Erfolg gehabt, hätten viele Millionen Tote, die der sinnlosen Fortsetzung eines längst verlorenen Krieges geopfert wurden, überlebt. Nachdem Hitler die Explosion in der Lagerbaracke der Wolfsschanze mit leichten Verletzungen überstanden hatte, wurde Stauffenberg zusammen mit Friedrich Olbricht, Albrecht Ritter Mertz von Quirnheim und Werner von Haeften im Hof des Bendlerblocks standrechtlich erschossen. Danach ruhte der Diktator nicht, ihr Andenken auszulöschen. Heinrich Himmler ließ die in der Nacht auf dem St. Matthei-Friedhof in Berlin bestatteten Leichen ausgraben, verbrennen und ihre Asche über Feldern verstreuen. Die Absicht, die Erinnerung an die Verschwörer zu zerstören, schlug aber ins Gegenteil um. Heute wird Stauffenberg als der mutige Attentäter und Führer des Umsturzversuchs vom 20. Juli 1944 als Repräsentant des »Anderen Deutschland« und Bewahrer der nationalen Ehre gefeiert.

Widerstand bewegt sich immer auf einem schmalen Grat zwischen tiefen Abgründen – einerseits Landes- und andererseits Hochverrat. »Eine ganz kleine Clique ehrgeiziger, gewissenloser und zugleich verbrecherischer, dummer Offiziere hat ein Komplott geschmiedet, um mich zu beseitigen und zugleich mit mir den Stab der deutschen Wehrmachtsführung auszurotten«, verkündete Adolf Hitler in der Nacht vom 20. auf den 21. Juli 1944 in einer reichsweit ausgestrahlten Ansprache. Man hätte erwarten können, daß diese Ansicht mit dem katastrophalen Untergang des Dritten Reiches und dem allgemeinen Wissen über seine Verbrechen rasch verschwunden wäre. Daß also die Deutschen mehrheitlich anerkannt hätten, dass Stauffenberg, Tresckow und ihre Freunde politisch-moralisch berechtigt waren, ein Attentat zu verüben und den Staatsstreich zu versuchen. Doch das Gegenteil trat ein: Auch in den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg galten die Männer des 20. Juli vorwiegend als »Verräter«. 1951 ergab eine repräsentative Umfrage, daß 51 Prozent der Deutschen ihre Tat vollständig oder doch überwiegend ablehnten. Die Stimmung war also kaum geeignet, dem Andenken der Verschwörer gegen Hitler den angemessenen Platz in der deutschen Öffentlichkeit zu geben.

Grundsätzlich gilt für die Geschichtswissenschaft: nicht nur »runde« Jahresdaten fordern zum Erinnern und zur inhaltlichen Beschäftigung mit zentralen Themen der deutschen Geschichte heraus, sondern die dauerhafte Vermittlung der Kenntnisse und Erkenntnisse sind ebenso gefordert, wie das regelmäßige Gedenken eine Verpflichtung sein sollte. Dies ist nicht nur deshalb so wichtig, um Wissen um die Ereignisse zu tradieren, sondern auch, um die dauerhafte inhaltliche Auseinandersetzung wach zu halten. »Hitler Attentat? Null Ahnung! Zahllose deutsche Teenies und Twens wissen nicht einmal in groben Zügen, was vor 60 Jahren am 20. Juli 1944 geschah«, so konnte man bereits 2004 in einer Nachrichtenmeldung lesen und im weiteren Verlauf hieß es: »In der Altersgruppe von 16 bis 29 Jahren weiß nur noch jeder Vierte (27 Prozent), dass an diesem Tag ein Attentat auf Adolf Hitler in der »Wolfsschanze« verübt worden war, wie das Institut für Demoskopie in Allensbach am Montag mitteilte. Bei den über 60-Jährigen wissen immerhin noch 73 Prozent die richtige Antwort. Nur noch eine Minderheit der Bevölkerung hat den Wunsch, dass der 20. Juli im Gedächtnis der Deutschen verankert bleibt. „Man sollte sich darum bemühen, dass dieser Tag in Ehren gehalten wird“, sagen 48 Prozent der Befragten. 30 Prozent der Bevölkerung halten eine solche historische Erinnerungsarbeit nicht für angebracht.« Diese Zahlen haben sich inzwischen dramatisch zu Nicht-Wissen und Ablehnung verändert.
Diese Tatsache alleine wäre Grund genug, nicht nur regelmäßig an die so wichtigen Ereignisse in der deutschen Geschichte zu erinnern, sondern auch aufzufordern, noch mehr allgemein und besonders den jungen Menschen Geschichte zu vermitteln. Und längst stellt sich die Frage: Wessen soll man eigentlich gedenken, wenn bereits das Wissen um das Geschehen verlorenzugehen scheint?

»Geschichte paradox«


Wenn organisierter Widerstand gegen Hitler und sein Regime erfolgreich und wirksam sein sollte, dann musste dieser Widerstand aus der Nähe zur Macht und aus dem führenden Machtapparat kommen. Ein fest in der Bevölkerung verankertes Herrschaftssystem lässt sich von außen nicht wirksam bekämpfen und ernsthaft gefährden. Spätestens seit 1933 war es daher notwendig für den organisierten Widerstand Zugang zu den Mitteln und Instrumenten der Macht zu besitzen, um effektiv tätig sein zu können, denn die Spitze war »geschützt« durch die breite Zustimmung und den festen Rückhalt in der Bevölkerung seit 1933. Dies zeigte deutlich die Erfahrung der frühesten »Widerstandsfront von unten«, der Arbeiterbewegung und der Sozialdemokratie. Ihre Versuche mussten scheitern, denn es fehlte ihnen der Zugang zu den Machtmitteln und den inneren Zirkeln des Machtapparates.

Ferne Nähe


Ein politisch bestimmtes Zweckbündnis entwickelte sich im Rahmen des Widerstandes schließlich zwischen jenen, die über Autorität und Fachkenntnisse verfügten wie der frühere Leipziger Oberbürgermeister Carl Goerdeler oder Theologen wie Dietrich Bonhoeffer oder ehemalige sozialdemokratische Politiker wie Julius Leber oder der spätere Bundesinnenminister Robert Lehr. Sie vertraten zugleich wichtige gesellschaftliche Gruppierungen und konnten als Ratgeber und Fachleute die Vertreter des inneren Zirkels im Widerstand begleiten und hilfreich unterstützen. Dieser Kreis, der dem Machtzentrum nah war, jedoch ohne mit dem Führungskern selbst identisch zu sein, bestand aus jenen Vertretern hoher Militärs und der Beamtenschaft, der sich nach wie vor ein distanziertes Verhältnis zur nationalsozialistischen Ideologie bewahrt hatte. Ihre insgesamt konservativ-nationale Einstellung hatte ihnen zwar eine gewisse Nähe zum Nationalsozialismus verschafft und sie sahen im Krieg nicht Hitlers Machtstreben, sondern »ihren« Krieg gegen ein verbrecherisches System – den Bolschewismus.

Dies erklärt die scheinbar späte Reaktion mit: die Erkenntnis, selbst einem zutiefst verbrecherischen System zu dienen und sich an grausamen Verbrechen gegen die Menschheit schuldig gemacht zu haben, setzte erst nach und nach ein. Der Attentatsversuch vom 20. Juli 1944, der unter Einsatz des eigenen Lebens vorbereitet und durchgeführt wurde, kann daher auch als ein Versuch der persönlichen Wiedergutmachung verstanden werden. Ihnen war es auch wichtig, der Welt und der Nachwelt zu zeigen, dass es neben Hitlers Deutschland noch ein anderes, ein besseres Deutschland gab.
Die Verschwörer des 20. Juli 1944 handelten daher auch um der Ehre willen. Ihre Tat, ebenso wie der zivile Widerstand der Geschwister Scholl und deren Kommilitonen, die ebenso wie die Männer des 20. Juli 1944 hingerichtet wurden, bot schließlich nach dem Zusammenbruch des nationalsozialistischen Unrechtsregimes einen bescheidenen moralischen Haltepunkt, an dem sich die Menschen beim Rückblick auf die Jahre 1933 – 1945 wenigstens etwas mit ehrenhafter Aufrichtigkeit erheben und erinnern konnten.

Vergessene Erinnerung – erinnerndes Vergessen


Der Freiburger Schriftsteller Reinhold Schneider hatte einst den Grafen Stauffenberg einen »Zeugen im Feuer« des 20. Jahrhunderts genannt und damit klar und unmissverständlich auch die Position des Widerstandes gegen Hitler insgesamt umschrieben. Seine Mahnung an die Nachgeborenen, die frühen Kritiker des misslungenen Attentates und uns heute sollte stets Leitlinie der Beurteilung des 20. Juli 1944 sein, als er schrieb: »Gehen Sie mitten hinein! Retten werden Sie nichts, denn der Herr rettet, nicht die Menschen. Werden Sie zum Zeugen, mitten im Feuer! Aber Sie müssen wissen, wofür Sie einstehen sollen.« Wir müssen auch heute wieder begreifen und lernen, wofür es lohnt »mitten im Feuer« einzustehen. Dies erlaubt den richtigen Blick der Bewertung des 20. Juli 1944 als Teil unserer bewahrenswerten Erinnerungskultur. Dazu hatte bereits 1952 mit dem Braunschweiger Remer-Prozeß Fritz Bauer den amtlichen Weg der Zukunft erkämpft, als er eine erste »offizielle« Rehabilitierung der Widerstandskämpfer vor einem deutschen Gericht erreichte.

An unsere Märtyrer



Schmerzen, unsägliche, litt der griechische Heros, bevor er
Sterben durfte und die erlösende Flamme noch schmerzte.
Meine Helden, geliebte, ihr littet schwerer als jener,
Schmachvoll, gemartert, verhöhnt, von keinem Freunde getröstet.
Ihr, die das Leben gabt für des Volkes Freiheit und Ehre,
Nicht erhob sich das Volk, euch Freiheit und Leben zu retten.
Ach, wo seid ihr, daß wir eure Wunden mit Tränen der Reue
Waschen und eure bleichen Stirnen mit Lorbeer krönen!
Weilt ihr jetzt auf der Insel in ferner, seliger Bläue,
Wo die Sirenen des Meers euch mit Gesängen umschwärmen?
Oder droben im reinen, himmlischen Äther? Ihr wandelt
Herrlich wie das Gestirn die melodische Bahn.
Wir aber wollen Male richten euch zum Gedächtnis;
Wo auf Hügeln stürmische Eichen grünen, wo die
Silberne Buche ragt und die rötliche Kiefer am Meere,
Stehe der Marmor und glühe die Flamme der heiligen Namen.
Dort, ihr Glorreichen, wollen wir euer gedenken und schwören,
Tapfer wie ihr zu sein, dem Recht und der Freiheit zu dienen,
Niemals treulos und feige den Gott in der Brust zu verleugnen,
Der uns zu lieben treibt und im Kampf mit dem Bösen zu sterben.
Wir vergessen euch nicht. Oft wird euer tragisches Opfer
Unser Gespräch sein, den Enkeln künftig ehrwürdige Sage.
Über den Trümmern weht die schwarze Fahne der Trauer.
Aber dereinst, wenn eure Male bemoost und verwittert,
Möge Lebendiges neu erwachsen und, wie auch gestaltet,
Unseren heimischen Boden bestreun mit goldenen Früchten.
(Ricarda Huch zum 20. Juli 1944)



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