Blut, Gestank und Einsamkeit: Die emotionale Welt eines Tatortreinigers

Szenen der Einsamkeit berühren den Tatortreiniger mehr als alles andere, weil sie vom Leben erzählen, das niemand bemerkt hat.

von Udo Starke


Jörg Pauls mit einem Kollegen vor dem Einsatz am Tatort.
Jörg Pauls mit einem Kollegen vor dem Einsatz am Tatort. | Foto: privat

Region. Jörg Pauls, 63 Jahre alt, betritt mit ruhigen Schritten die Wohnung. Der Geruch von verfallenen Lebensmitteln und abgestandener Luft hängt in der Luft. Pauls ist Tatortreiniger und seit fast zehn Jahren in dem Beruf – ein Job, den die meisten Menschen nicht einmal aussprechen wollen. Dabei geht es um die professionelle Beseitigung von Spuren nach Verbrechen, Unfällen oder anderen Todesfällen.



Pauls Einzugsgebiet reicht von seinem Stammsitz in Uelzen bis in die Region Braunschweig-Wolfsburg. Tatortreiniger säubern und desinfizieren Bereiche, in denen sich biologische Materialien wie Blut, Körperflüssigkeiten oder menschliche Überreste befinden. „Alle sichtbaren Spuren werden beseitigt. Betroffene Stellen werden sorgfältig gereinigt, kontaminierte Möbel und Teppiche entsorgt“, erklärt Pauls.

Die Arbeit hinter der Tür


Früher arbeitete er als Facility Manager, später machte er eine Fortbildung zum Desinfektor. Heute ist er spezialisiert auf Leichenfundortreinigung, Geruchsneutralisation und Messie-Sanierung. Meist ist er mit zwei bis drei Kollegen unterwegs. „Wir reparieren nicht das Leben, aber wir geben einen Raum zurück“, sagt Pauls, während er Schutzkleidung und Handschuhe anlegt. Diese Philosophie zieht sich eigenen Angaben zufolge durch jeden seiner Einsätze: Er liebe es, Ordnung ins Chaos zu bringen und Menschen in schwierigen Momenten zu entlasten.

Ein Tatortreiniger wird gerufen, wenn ein ungewöhnlicher Vorfall passiert ist – ein Unfall, ein Suizid, ein Verbrechen oder ein für lange Zeit unbemerkter Todesfall. Die Identität des Opfers spielt keine Rolle; nur die Informationen, die für die Reinigung relevant sind, werden weitergegeben.

Alle Spuren müssen entsorgt und gereinigt werden.
Alle Spuren müssen entsorgt und gereinigt werden. Foto: privat


Die Arbeit sei körperlich wie psychisch belastend: lange Stehzeiten, schweres Heben, enge Räume und heiße, steife Schutzkleidung. Gleichzeitig erfordere der Beruf mentale Stärke, um emotionale Distanz zu wahren und dennoch präzise zu arbeiten. Pauls erzählt von einem besonders schweren Einsatz: Eine Wohnung, in der ein Mensch lange allein gelebt hatte. „Es war nicht Gewalt oder ein Drama“, sagt er. „Es war reine Einsamkeit.“ Ein Buch lag aufgeschlagen auf dem Tisch, das Radio spielte leise, ein Fotoalbum lag auf dem Sofa. Solche Szenen berühren ihn mehr als alles andere, weil sie vom Leben erzählen, das niemand bemerkt hat.

Kurioses aus dem Alltag


Nicht jeder Einsatz ist traurig. Manchmal passieren kleine, unvergessliche Momente: Ein Hamster sprang aus seinem Laufrad direkt in die Schutzstiefel eines Teammitglieds. Lachen unter Kollegen, der Einsatz für ein paar Minuten unterbrochen. Lustige Post-its oder absurde Einkaufslisten wie „Bananen, Gummistiefel, Einhornfigur“ sorgen für kurze Erholungspausen und Lacher. Pauls und sein Team legen kurze Frischluftpausen ein, meist ein bis zwei Minuten, manchmal länger bei besonders belastenden Szenen. Diese Minuten würden helfen, den Kopf freizubekommen, körperlich frische Luft aufzunehmen und mentale Distanz zu wahren.

Die Arbeit eines Tatortreinigers erfordert Erfahrung, Sorgfalt und spezielles Equipment. Pauls nutzt eine Kombination aus mechanischen, chemischen und technischen Methoden: Enzymreiniger lösen Proteinrückstände im Blut; oxidative Reiniger und Desinfektionsmittel sorgen für Hygiene; Ozon neutralisiert tiefsitzende Gerüche in Wänden, Möbeln oder der Luft selbst. Dabei ist jeder Einsatz anders: Wohnungen, Ferienhäuser, Hotelzimmer oder Messie-Haushalte – Routine gibt es hier nicht.

Tatortreiniger: Ein Job mit Sicherheit und Verantwortung


Tatortreinigung sei kein Job für Zauderer, sagt Pauls. Schulungen in Sachen Tatortreinigung, Gefahrstoffkunde, PSA (Schutzkleidung) und rechtlicher Verantwortung sind Pflicht. „Wir dürfen keine Straftaten vertuschen. Moderne Forensik würde alles finden“, erklärt Pauls. Trotz aller Belastungen liebt Pauls seinen Beruf: „Ich kann aktiv etwas Gutes bewirken.“ Die Räume, die er hinterlässt, sind wieder bewohnbar. Für die Angehörigen bedeutet das ein Stück Normalität zurück.

Er beschreibt die Arbeit als sinnstiftend und abwechslungsreich: Jeder Tag bringt neue Herausforderungen, kleine Kuriositäten und manchmal unvergessliche Momente. Und obwohl er sich nie zu nahe an die persönlichen Schicksale heranwagt, spürt er dennoch die Geschichten, die in jedem Raum verborgen sind.

Fazit: Jörg Pauls ist mehr als ein Tatortreiniger. Er ist jemand, der in den dunkelsten Momenten Ordnung schafft, Stille sichtbar macht und Menschen einen Raum zurückgibt – oft dort, wo sonst niemand hingesehen hätte.

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