Das Goldene Zeitalter der Wolfenbütteler Schmuck-Ansichtskarten

von Thorsten Raedlein




Wolfenbüttel. Im Schaufenster der AG Altstadt Wolfenbüttel ist ab sofort ein neues Ausstellungsthema zu sehen. Dietmar Dolle, unermüdlich wirkender Wolfenbütteler Heimatforscher von der Aktionsgemeinschaft Altstadt Wolfenbüttel, hat dort in der Geschäftsstelle im Kleinen Zimmerhof 4 ein neues Thema sichtbar gemacht: Das „Goldene Zeitalter“ der Schmuck-Ansichtskarten von Wolfenbüttel. Wunderschöne Exemplare hat er zusammen getragen. Hier seine Erläuterungen zu seiner Ausstellung.

<a href= Restaurant Antoinettenruh bei Wolfenbüttel im Schnee, eingefasst in eine Gasthausszene mit einer bierkrugtragenden Kellnerin. Lithografie mit Poststempel vom 17.08.1900. Archiv: D. Dolle/WF.">
Restaurant Antoinettenruh bei Wolfenbüttel im Schnee, eingefasst in eine Gasthausszene mit einer bierkrugtragenden Kellnerin. Lithografie mit Poststempel vom 17.08.1900. Archiv: D. Dolle/WF. Foto:



In Zeiten ständig neuer und technisch verbesserter Kommunikationssysteme spielen Ansichtskarten heute zur Nachrichtenübermittlung eine untergeordnete Rolle. Entsprechend einfach sind sie hergestellt, vielleicht ein wenig am Computer aufgehübscht. Fertig ist die neue Karte. Bei den Grußkarten gibt es sie wohl noch für Weihnachts- und Neujahrsgrüße, eventuell auch einmal für Geburtstagswünsche. Andere Grüße zu Ostern, Pfingsten, zur Konfirmation, Hochzeit oder sonstigen Anlässen werden kaum mehr mit Karten postalisch übermittelt. Auch die topografische Ansichtskarte aus dem Urlaub oder von einer Stadtbesichtigung wird seltener geschrieben. Vielen ist das inzwischen zu lästig oder zu umständlich geworden. Entsprechend ist daher im Laufe der Jahre das Angebot geschrumpft, weil eben die Nachfrage erheblich nachgelassen hat. In der Folge haben zuerst die kleinen Ansichtskartenverlage auch vor Ort aufgegeben, dann einzelne große Verlage wie Cramers Kunstanstalt aus Dortmund.

 1870: Die Postkarte wurde „erfunden“


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Blick durch einen Fächer vom Wasserturm über den Stadtgraben auf Wolfenbüttel. Ungelaufene Prägekarte zeitlich um 1900. Archiv: D. Dolle/WF Foto:



Als die Postkarte um 1870 erfunden wurde, war das eine Revolution. Bis dahin gab es nur Briefe und neben dem erst nach und nach entstehenden Telefonfestnetz, vorrangig für Geschäftsleute und begüterte Personen, bis dahin keine weiteren Kommunikationsmöglichkeiten.


Die Postkarte entwickelte sich weiter, es kamen auf der Bildseite Orts- und Städteansichten bzw. Grußanlässe oder sonstige Motive hinzu: die Ansichtskarte war entstanden. Sie kostete weniger Porto als ein Brief und wurde durch die ständige Weiterentwicklung und die zahlreichen Abbildungsmöglichkeiten immer interessanter und dadurch begehrter. Daher vergrößerte sich das Angebot und erreichte Millionenauflagen.

Text unerlaubterweise auf Motivseite angebracht


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Bahnhofsstraße in Wolfenbüttel mit dem Hotel Kronprinz in einem goldfarbenen (Bilder-) Rahmen. Prägekarte mit Poststempel vom 10.11.1905. Archiv: D. Dolle/WF. Foto:



Bereits 1899 wurden in Deutschland 88 Millionen Ansichtskarten produziert. Im Jahr 1900 beschäftigte eine Ansichtskartenfabrik in Frankfurt am Main 1200 Angestellte, die täglich bis zu 100 neue Motive schufen. In den Jahren 1903/1904 wurden in Deutschland über eine Milliarde Ansichtskarten verschickt. Einen weiteren enormen Verkaufsschub brachte im Jahr 1905 die Teilung der Anschriftenseite, wodurch jetzt schriftliche Mitteilungen möglich wurden, die vorher meist unerlaubterweise auf der Motivseite untergebracht worden waren.

Um den Kunden und Sammlern, die es damals bereits ebenfalls schon gab, ständig weitere Kaufanreize zu bieten, ersannen die Kartenproduzenten immer neue und aufwändigere Abbildungs- und Herstellungsvarianten bzw. -techniken.

Vor 1900: Das Goldene Zeitalter der Ansichtskarte


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Gruß für das Jahr 1907 mit drei Wolfenbütteler Motiven in den goldenen Ziffern 9, 0 und 7. Prägekarte mit Poststempel vom 06.02.1907. Archiv: D. Dolle Foto:



So entwickelte sich in der Zeit kurz vor 1900 bis zum I. Weltkrieg das Goldene Zeitalter der Ansichtskarte mit einer nahezu unüberschaubaren Vielfalt u. a. topografischer Abbildungen, sowohl allgemein als auch von Wolfenbüttel. Normale, eher schmucklose Ansichtskarten von Wolfenbütteler Straßen, Plätzen, Gebäuden usw. insbesondere aus dieser Zeit wurden bereits in bisherigen Ausstellungen vorgestellt.

Die sehr aufwändig produzierten, einfach schönen bzw. ausgefallenen Schmuck-Karten von Wolfenbüttel zeichnen sich durch zahlreiche nachfolgend dargestellten Ausführungsvarianten (örtliche Beispiele dazu in Klammern) aus, die für die jetzige Ausstellung aus Platzgründen leider nicht alle gezeigt werden können:

  • Verschiedenfarbige Prägungen (Schloss)

  • Einrahmungen wie bei Bildern (Bahnhofsstrasse)

  • Goldumrandungen (Lehrerseminar, Bahnhofsstrasse, Schloss)

  • patriotische Zusätze, wie Reichsadler, –fahnen bzw. -farben (Garnisonkirche, Schulwall)

  • Abbildungen in Muscheln (Stadtgraben, Großer Zimmerhof, Klein Venedig), Fächern (Stadtgraben) oder Schmetterlingsflügeln (vier verschiedene Motive)

  • Lithografien (idealisierte Zeichnungen; Wolfenbütteler Masch, Hotel zum Kronprinz)

  • Einfügung groß gezeichneter Personen, z. B. als Soldat (Sternhaus), Trompeter oder Radfahrer (beides Stadtgraben), eine junge schöne, bierkrugtragende Kellnerin (Restaurant Antoinettenruh) oder ein Maler an einer Staffel (Kaffeehaus)

  • Einzeichnung nackter Engel mit Blumen (Schloss)

  • Motive in Ziffern von Jahreszahlen (1907)

  • in die Wolken eingezeichnete Motive wie ein besetzter Heißluftballon oder eine Fahrrad fahrende Frau (jeweils über dem Stadtgraben) oder ein Mann, der mit einem aufgespannten Schirm einen Ausflug in die Krambuden macht

  • am Rand eingezeichnete Gegenstände wie eine große Kiste pp. (Schloss)

  • Verwendung auffälliger Farben, z. B. das in Weiss geprägte Schloss auf rotem Grund oder das in einem Kreis inmitten der braunschweigischen Landesfarben blau – gelb abgebildete Schloss

  • Umrankung mit tierischen und / oder pflanzlichen Jugendstilelementen (Bibliothek,  Turnfest, Stadtgraben, Breite Herzogstraße)

  • Verschiedene Motive in Eichenlaub (Neues Artillerie-Kasernement)

  • Blick über eine gezeichnete Terrasse und durch ein Fenster mit fülliger Übergardine (auf die Bibliothek)

  • Stadtwappen (Schulwall, Harzthorplatz)

  • unterschiedliche Passepartouts (Pensionat Troeger, Vor dem Herzogtor / Neuer Weg)



Bei den Schmuck-Karten ist festzustellen, dass die topografische Darstellung manchmal in den Hintergrund tritt und merkwürdigerweise mitunter eine relativ schlechte Foto- bzw. Bildqualität aufweist. Das soll aber die insgesamt große Vielfalt der hier vorrangig zu betrachtenden schmückenden Elemente nicht schmälern.

Der Weltkrieg setzte den Ansichtskarten ein Ende


Ein eher kurioses Gegenstück ist die ganz ungewöhnliche Darstellung lachender Personen, die im Regen mit Schirmen spazieren gehen (vor den Krambuden). Wenn es sich auch um eine irreale, unwirkliche und nur ins Foto eingefügte Szene handelt, sind derartige Darstellungen auf Ansichtskarten eigentlich eher verkaufshemmend und daher äußerst selten.

Das Goldene Zeitalter der Ansichtskarten fand mit dem Ausbruch des I. Weltkrieges und den schrecklichen Folgen ein jähes Ende.


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