Der Rat entscheidet: Wird Braunschweig ein "Sicherer Hafen"?

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Stimmt der Rat der Stadt dafür, dass Braunschweig ein "Sicherer Hafen" wird? Symbolfoto: Archiv
Stimmt der Rat der Stadt dafür, dass Braunschweig ein "Sicherer Hafen" wird? Symbolfoto: Archiv | Foto: regionalHeute.de

Braunschweig. Die BIBS-Fraktion hat beantragt, Braunschweig solle wie zahlreiche andere Städte die Initiative „Seebrücke – schafft sichere Häfen“ unterstützen und die Stadt Braunschweig als „Sicheren Hafen“ deklarieren. Damit würde man der Bundesregierung anbieten, dass Braunschweig Geflüchtete, die im Mittelmeer in Seenot geraten sind, aufnehmen. Der Rat entscheidet darüber kommenden Dienstag.


Der Rat solle außerdem an die Bundesregierung appellieren, sich weiterhin und verstärkt für die Bekämpfung der Fluchtursachen einzusetzen, insbesondere für eine gerechtere und effektivere Entwicklungshilfepolitik und dafür, dass Menschen in Seenot auf dem Mittelmeer gerettet werden.

"Bereits über 1.500 Menschen sind im Jahr 2018 im Mittelmeer ertrunken, viele Tausende in den vergangenen Jahren, täglich kommen weitere hinzu. Die Dunkelziffer dürfte noch deutlich höher liegen", heißt es im Antrag der BIBS.

Protest gegen das Sterben im Mittelmeer


Die zivilgesellschaftliche Initiative „Seebrücke – schafft sichere Häfen“ protestiere seit geraumer Zeit gegen das Sterben im Mittelmeer und gegen die Kriminalisierung von Seenotrettern. Auch in Braunschweig hätten sich schon Hunderte an „Seebrücke“-Aktionen beteiligt. Viele Städte in Europa, in Deutschland zum Beispiel Köln, Essen, Düsseldorf und Osnabrück hätten sich bereits solidarisiert und angeboten, in Seenot geratene Menschen aufzunehmen. Aktuell würde auch im Rat der Stadt Hannover darüber beraten.

Braunschweig solle hier ebenfalls ein Zeichen für Menschlichkeit und Frieden setzen. In den letzten Jahren habe die Bevölkerung Braunschweigs gemeinsam mit Verwaltung und Politik gezeigt, dass sie bereit und fähig sei, geflüchtete Menschen aufzunehmen und zu integrieren. Diesen Weg müsse Braunschweig weitergehen und damit ein deutliches Zeichen der Menschlichkeit und Offenheit setzen - und dadurch auch ein Gegengewicht zu steigender Fremdenfeindlichkeit und Hass gegenüber hilfsbedürftigen Menschen.

Positives Beispiel für andere Städte


Ein positiver Nebeneffekt könne sein, dass sich weitere Städte Niedersachsens an Braunschweig ein Beispiel nehmen und eine ähnliche Regelung treffen.





Die Organisation "Seebrücke Braunschweig" nahm den gestrigenMontag, dem Gedenktag"70 Jahre Menschenrechte", zum Anlass, einen Offenen Brief andie Mitglieder des Ratesbezüglich der Abstimmung am 18.Dezember zu richten.Darin heißt es:

Wofür stehen Sichere Häfen?


Sichere Hafenstädte (unabhängig davon, ob die Stadt/Kommune über einen Hafen verfügt) signalisieren, beispielsweise der Bundesregierung, ihre Bereitschaft, Geflüchtete aufzunehmen, die durch die Seenotrettung gerettet wurden. So können Sie mit Ihrer Stimme verhindern, dass die Arbeit der Seenotrettung blockiert wird und weiterhin tausende Menschen vor den Toren unseres Kontinents ertrinken!

Warum sollte Braunschweig sich zum Sicheren Hafen deklarieren?


„Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren.“ Mit diesem Satz haben die Vereinten Nationen am 10. Dezember 1948 jedem Menschen auf dieser Erde – unabhängig von Herkunft, Geschlecht, Religion oder sozialem Status – die gleichen Rechte und Freiheiten zugesichert. 70 Jahre nach dieser Erklärung scheint dieser Satz nur eine Worthülse zu sein, die unsere Politik und Gesellschaft gerne nutzen, um sich selber zu feiern, nicht aber um auf geltendes Recht für alle zu bestehen.

Menschenrechte sowie internationales Seerecht nicht einzuhalten und Menschen sterben zu lassen, kann und darf die Politik nicht mitverantworten. Dann gilt es auch für Sie als Kommunalpolitiker Position in einem Bereich zu beziehen, der an sich als bundespolitische Ebenen gilt. Der unsere Demokratie sichernde Föderalismus ermöglicht dies. Diese Chance sollte auch die Braunschweiger Kommunalpolitik nutzen, um nicht nur ein nettes Zeichen zu setzen, sondern klar Position zu beziehen: Gegen eine Migrationspolitik, die immer mehr rassistisch überzeugt und neoliberal argumentierend Menschenrechte mit Füßen tritt. Wenn wir diese Entscheidung als eine Frage der Moral abtun, ignorieren wir unsere politische, globale und demokratische Verantwortung. Die Migrationspolitik ist keine Frage der Moral, sondern des politischen Realismus. Wir können die Toten an der europäischen Grenze nicht ignorieren. Das Problem wird nicht einfach verschwinden. Durch Ignoranz verschwinden lediglich unsere politische Integrität und das Vertrauen in demokratische Rechte.

Menschenrechte verlieren ihre Bedeutung, wenn sie nur für eine ausgewählte Gruppe von Menschen gelten und je nach politischer Stimmung abgeschwächt werden. Unabhängig von den verschiedenen Positionen zur Asyl- und Migrationspolitik, die in unserer Stadt und dem Rat vertreten sind, muss Braunschweig sich klar zum Menschenrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit bekennen. Den Tod unschuldiger Menschen billigend in Kauf zu nehmen, ist kein legitimes politisches Mittel.

Durch die Deklaration zum Sicheren Hafen kann Braunschweig sich selbstbewusst und praktisch zu Menschenrechten und solidarischer Demokratie bekennen. Braunschweig kann anbieten, Menschen auf der Flucht, die durch die Seenotrettung gerettet wurden, aufzunehmen. Auch eine kleine Zahl im niedrigen zweistelligen Bereich würde einen Fortschritt bedeuten. Denken Sie bitte nicht, dass die Anzahl der Geflüchteten in der Stadt dadurch immens ansteigen muss. Mit bürgernahen, niedrigschwelligen Informationsangeboten ließe sich die Entscheidung, eine kleine Gruppe aus der Seenot direkt in Braunschweig aufzunehmen, auch an alle Bevölkerungsgruppen verständlich vermitteln und politisch vertreten.

Die Stadt Braunschweig soll sich ganz klar zu folgenden Punkten bekennen:

  • Aufnahme von Menschen auf der Flucht, die im Mittelmeer durch die Seenotrettung gerettet worden sind (z.B. jährlich 25 bis 50 Personen)

  • Forderung der Einhaltung von Menschenrechten und Internationalen Rechts

  • Solidarität mit Menschen auf der Flucht

  • Entkriminalisierung der Seenotrettung

  • Menschenwürdige Aufnahme von geflüchteten Menschen


Wir möchten diesen Aufruf nutzen, um auch mit drei sich immer noch im Diskurs und unter einigen Politikern haltenden Behauptungen aufzuräumen:

„Die Seenotrettung unterstützt durch ihre Arbeit das Geschäft der Schlepperei.“
Das ist falsch. Nicht die Seenotrettung ermöglicht das Business der Schleuser, sondern die nicht vorhandenen legalen Fluchtwege. Unabhängig davon, ob die Seenotrettung aktiv ist oder nicht, schicken die Schleuser Menschen auf das Mittelmeer. Dies ist von unabhängigen Journalisten, Seenotrettern und Wissenschaftlern nachgewiesen worden.

„Das sind gar nicht alles Flüchtlinge.“
Das ist ebenfalls falsch. Selbst die wenigen, die ihr Herkunftsland nicht aufgrund von Verfolgung verlassen haben, werden auf dem Weg nach Nordafrika zu Menschen auf der Flucht. Sie fliehen vor Verfolgung, Gewalt und Tod. Beispielsweise fliehen Schwarze Menschen in Libyen über das Mittelmeer vor Gewalt und Sklaverei. Durch den gefährlichen Weg an die nordafrikanische Küste werden früher oder später alle zu Menschen auf der Flucht. Unabhängig vom Migrantenstatus ist es keine akzeptable Erklärung, Menschen ertrinken zu lassen.

„Noch mehr Flüchtlinge aufzunehmen ist nicht vermittelbar.“
Auch dieser traurige Versuch einer politischen Prognose ist nicht richtig. Hunderttausende Menschen haben dieses Jahr nicht nur auf den Straßen deutschlandweit gegen Rechts, gegen Rassismus und für Solidarität mit der Seenotrettung protestiert. Allein in Braunschweig allein waren insgesamt über 2100 Menschen auf Demonstrationen.
Tausende Menschen sind politisch aktiv geworden, haben Aktionsgruppen gegründet, durch ihr Wahlstimme unterstrichen, dass sie sich solidarisch gegenüber Menschen auf der Flucht und Migranten zeigen. Es ist Ihre Verantwortung als Kommunalpolitikerin und Kommunalpolitiker, diese politische und demokratisch überzeugte Kraft ernst zu nehmen.

Es ist ein ignoranter Schlag ins Gesicht der Demokratie und all ihrer aktiven Befürworter, wenn die Kommunen sich nicht auf die Seite von Menschen auf der Flucht stellen und die Kommunalpolitik zu ängstlich ist, um sich selbstbewusst für die Einhaltung der Menschenrechte einzusetzen. Bestimmen Sie den politischen Diskurs positiv mit, statt im vorauseilendem Gehorsam einer imaginierten Wählerschaft zu riskieren, dass Sie Humanität abschreiben und autoritäre Politik stärken! Denn ein großer Teil der Gesellschaft ist mit der inhumanen Praxis der Migrationspolitik der EU und Deutschlands nicht einverstanden. Und Sie als Politiker haben im politischen Diskurs eine Vorbildfunktion, die Sie im Sinne der Demokratie und Menschenrechte übernehmen müssen!

Insbesondere nachdem Braunschweig nicht nur in der nationalen, sondern auch internationalen Presse neben Chemnitz als Stadt mit starker Nazi-Kommune bekannt wurde und bekannte Braunschweiger Rechte sogar die Titelseite der britischen Tageszeitung The Guardian „schmückten“ und durch Reportagen des öffentlich-rechtlichen Fernsehens die Schlagzeilen machten, ist es wichtig, dass wir als Stadt auch über die Stadtgrenzen hinaus national und international zeigen, dass wir für Offenheit und Solidarität sowie eine Politik des Verstands und der Aufklärung stehen.

Wir als Seebrücke Braunschweig sprechen aber nicht nur Forderungen aus. Wir wollen Verantwortung übernehmen und mit anpacken! Wir bieten der Stadt Braunschweig unsere Mithilfe an:

1. Tandempartnerschaften:
Wenn Braunschweig als Sicherer Hafen direkt Menschen aufnimmt, die aus dem Mittelmeer gerettet worden sind, möchten wir als Seebrücke in Kooperation mit erfahrenen Sozialeinrichtungen Braunschweigs Tandempartnerschaften vermitteln und selber übernehmen. Für diese Tandems würden wir auch Vorbereitungsworkshops anbieten und im Austausch mit sozialen und migrationspolitischen Einrichtungen Unterstützung beim Ankommen und Orientieren für neuankommende Menschen organisieren.

2. Aufklärungs- und Informationsarbeit:
Um allen Braunschweiger Bürgern die Möglichkeit zu geben, sich gut über „Braunschweig als Sicherer Hafen“ und aber auch Themen wie „Flucht und Fluchtursachen“ sowie „Migrationspolitik“ zu informieren, planen wir in Kooperation mit verschiedenen Einrichtungen, Informations- und Aufklärungsveranstaltungen mit Diskussionsmöglichkeiten anzubieten. So können allen Bürger_innen politische Inhalte differenziert dargelegt erhalten und es kann auf direkte Fragen und auch Bedenken reagiert werden. Außerdem sind für 2019 auch Ausstellungen zu diesen Themen geplant. Es ist uns wichtig, Begegnungen zu schaffen, aufzuklären und zu diskutieren, Lösungen zu beraten und gemeinsam auch Kompromisse zu finden.

3. Gespräche mit Kommunalpolitikern:
Uns ist es wichtig, das Gespräch mit den Kommunalpolitikern zu suchen, Wissen und Erfahrungen auszutauschen, verschiedene Positionen kennenzulernen und Überschneidungspunkte auszuarbeiten. Wir vertreten sicherlich alle sehr unterschiedliche Meinungen und Positionen. Aber gemeinsam zu überlegen, wie wir Menschenrechte wahren und geltendes Recht durchsetzen können, ist uns über politische Positionen hinweg sicherlich allen ein zentrales Anliegen.

Stimmen Sie mit JA! für „Braunschweig als Sicherer Hafen“!
Wir würden uns freuen, wenn Sie uns für den weiteren inhaltlichen Austausch einen Gesprächstermin anbieten würden und uns so auch die Chance geben, Ihre Fragen zu beantworten und auf etwaige Zweifel zu reagieren.
Wir freuen uns auf Sie!





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