"Erlesenes": Michael Göring liest aus seinem Roman "Vor der Wand"




Braunschweig. Eine Jugend in den 1960er und 70er Jahren in einer typischen Mittelstandsfamilie, dem Rückgrat der Bundesrepublik, dem Hort der Tabus. Während der Vater von Georg Mertens zur sprachlosen Generation gehört, treibt seinen Sohn seit den 1960er-Jahren eine Frage um: "Was verschweigt der Vater?" Denn Georgs Vater Walter hat ein Geheimnis. Obwohl der Vater dieses Geheimnis seinem Sohn erst offenbart, als er nichts mehr zu verlieren glaubt, hat es doch Einfluss auf das Leben Georgs genommen.

Aus diesem Roman liest der Autor Michael Göring am kommenden Samstag im Haus der Braunschweigischen Stiftungen und steht anschließend gerne auch für Gespräche zur Verfügung. Im Mittelpunkt steht der Umgang mit Taten während der Zeit des Nationalsozialismus.

Der Vater Walter Mertens gehört der Vätergeneration an, in der noch die Operetten-Idylle glimmt, während es bei den Jugendlichen wie seinem Sohn Georg um laute Rockmusik, lange Haare, sexuelles Erwachen und viele linke Thesen geht. Solange Walter auch schweigt, Georg bohrt und gibt keine Ruhe, konfrontiert ihn Ende der 1960er-Jahre mit dem Slogan "Alle Väter waren Täter". Doch erst 1982, kurz vor seinem Tod, erzählt Walter seinem längst erwachsenen Sohn, dass er bei seiner Tätigkeit für die Reichsbahn in Berlin schon bald wusste, was die "Sonderzüge Da" bedeuteten, und dass er an einem Kriegsverbrechen beteiligt war. Denn 1944 wurde er doch noch eingezogen und zu der SS-Division geschickt, die beim Rückzug der Deutschen aus Italien in der Toskana auf das Schrecklichste gewütet hatte. Walter nahm an der Auslöschung des Dorfes Sant' Anna di Stazzema teil, wo die SS italienische Partisanen vermutete, doch in dem sie am 12. August 1944 nur Frauen, Kinder und Greise vorfand. Trotzdem trieben die SS-Männer diese zusammen, warfen Handgranaten in die Menge und schossen. Nach drei Stunden waren 400 bis 500 Menschen tot. Anschließend verbrannten die Mörder ihre Opfer.

Dies geschieht in dem Roman so, wie es den historischen Tatsachen entspricht. Auch ist die Rede von einem SS-Mann, der sich als Retter für sechs Kinder entpuppt, und einem Major, der am Ende des Krieges die westfälische Stadt Ahlen ohne Kampf übergibt. Doch die meisten Figuren hat Michael Göring für seinen Roman erfunden. Sie treten als Vertreter der schweigenden wie auch der fragenden Generation auf und entfalten so ihre Wirkung.

Auch nachdem der Vater seinem Sohn die Tat in Italien gestanden hat, bleibt die Frage offen, wie man mit dem ungesühnten Verbrechen des Vaters umgehen soll/kann. Denn dem Autor geht es nicht um Schuld - eher darum, wie die Schuld, die Walter Mertens auf sich geladen hat, in Georg Mertens weiterwirkt. Der Autor zeigt mit seinem Roman, wie die Zeit des Nationalsozialismus auch dann in den Familien weiter wirkt, wenn sie verschwiegen wird. Seiner Beobachtung nach gelingt es vielen aus der Kriegsgeneration eher, sich den Enkeln als den Kinder zu öffnen.Es sollen die Opfer gewürdigt und die Taten ins Bewusstsein geholt werden. Es geht ihm aber insbesondere um die Erinnerung. Die historischen Geschehnisse um die Davidszüge 1942-1945 und um den Rückzug der SS-Truppen aus der Toskana im Sommer 1944 sind daher sorgfältig recherchiert. Vor allem mit dem grausamen Massaker um Sant' Anna di Stazzema greift der Roman ein Ereignis auf, das bis heute ungesühnt und den meisten Deutschen unbekannt ist.

Michael Göring, Jahrgang 1956, ist in Westfalen aufgewachsen. Seit seinem Literaturstudium sammelt er GEschichten, hält Berichte und Szenen in Tagebüchern fest. 2011 erschien sein erster Roman Der Seiltänzer. Der Autor ist Vorsitzender des Vorstandes der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius in Hamburg und unterrichtet im Fach Kultur- und Medienmanagement an der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg.

Michael Göring liest am Samstag, 25.01.2014 um 19:30 Uhr im Rahmen der Veranstaltungsreihe "Erlesenes" im Haus der Braunschweigischen Stiftungen, Löwenwall 16 in Braunschweig aus seinem historischen Roman "Vor der Wand". Einlass ist ab 19:00 Uhr. Der Eintritt kostet 18,- Euro/20,- Euro Abendkasse. Im Preis ist bereits ein Glas Wein enthalten. Freie Platzwahl. Weitere Informationen unter www.sbk-bs.de.


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