Braunschweig. Bevor der Apfel im Müll landet, ihn lieber teilen. Das Internetportal foodsharing.de gibt Privatpersonen, Händlern und Produzenten die Möglichkeit überschüssige Lebensmittel kostenlos anzubieten oder abzuholen. Warum es die Plattform nun auch in Braunschweig gibt, erklären Mitglieder – und statistische Fakten, die erklären es auch.
Lebensmittel haben einen Wert. Schnell vergisst man das, wenn der Joghurt einen Tag über dem Mindesthaltbarkeitsdatum liegt und in der Tonne landet. Hat Oma denn nicht immer gesagt "aufessen, sonst gibts schlechtes Wetter" oder "andere Kinder haben gar nichts zu essen"? Schaut man sich die Zahlen an, haben diese Sätze wohl nicht all zu viele Menschen verinnerlicht. Eine Studie der Universität Stuttgart hat 2012 eine Gesamtmenge von knapp 11 Millionen Tonnen Lebensmitteln errechnet, die jährlich von Industrie, Handel, Großverbrauchern und Privathaushalten entsorgt wird. Einfach weggeschmissen, obwohl sie noch geniessbar sind.
Um dieser Verschwendung entgegen zu wirken, wurde foodsharing.de ins Leben gerufen. Der Braunschweiger Doktorand Jonas Maximilian Sven Andrich hörte von dem Portal, als er selbst einen leeren Kühlschrank hatte. Und er ist es auch, der gemeinsam mit drei Freunden seit Anfang des Jahres das lokale foodsharing-Portal organisiert.
Eines sagt Andrich vorab: "Wir können mit dem Portal und dem Sinn dahinter nicht gegen den Hunger in der Welt ankämpfen – aber wir können ein Zeichen setzen." Es ginge um den ideellen Wert eines Lebensmittels, um die Achtung vor dem, was uns nährt, sagt er. Das, was die Lebensmittel-Industrie täglich produziert, geht weit über den tatsächlichen Bedarf hinaus. Diese Überproduktion hat zur Folge, dass weltweit Tonnen an Lebensmitteln im Müll landen, ohne dass sie jemals im heimischen Kühlschrank angekommen wären. Und genau diesen Vorgang greift das foodsharing – das Teilen von brauchbarem Essen – auf.
So funktioniert foodsharing.de
Sie sind Händler oder Privatperson und haben Lebensmittel im Kontingent, die nicht gebraucht werden, die übrig geblieben und noch geniessbar sind? Foodsharing ist ein Internetportal, das die unnütze Entsorgung verhindern möchte. Anmelden kann sich jeder kostenfrei unter www.foodsharing.de. Wer auf dem Heimweg also feststellt, dass er vergessen hat Käse für das Abendbrot einzukaufen, der kann ganz unkompliziert im Internet nachschauen, ob gerade jemand ein Stücken übrig hat und abgeben möchte. Das ist das Prinzip des Portals: geben – nehmen – teilen. Es werden immer Menschen gesucht, die sich anbieten Lebensmittelkörbe von spendenden Händlern abzuholen und zu verteilen. "Wir haben bisher 78 angemeldete Personen in Braunschweig", erzählt Andrich. "Lebensmittelretter" nennt er sie und erinnert daran, dass der Begriff des Mindesthaltbarkeitsdatums in vielen Haushalten unkorrekt ausgelegt wird. "Wir müssen wieder lernen uns auf unsere Sinne zu verlassen – sie sind der Wegweiser, um festzustellen, ob die Milch noch gut ist oder nicht."
Hier wird der Apfel wirklich gebraucht, hier hilft das Teilen
Im Gemeindehaus des Pfarrverbandes St. Aegidien verteilen ehrenamtliche Helfer Lebensmittelkörbe an Bedürftige. Es ist Dienstag, ein großer Bus hält vor der Tür des Gemeindehauses. Helfer tragen die mit Obst, Gemüse, Teig- und Milchwaren bestückten Körbe ins Haus. Heute gebe es Kuchen, der sei bestimmt schnell weg, sagt einer der ehrenamtlichen Helfer. Paprika, Chilli, Joghurt, Sesamringe und belegte Brötchen – alles wird hübsch aufgebaut, einiges vorab portioniert. Jeden Dienstag kommen Menschen in das Gemeindehaus, die auf die Lebensmittelspenden angewiesen sind. Es sind alles Waren, die von Händlern über foodsharing geteilt werden.
14.31 Uhr, die Tür geht auf. Mehr als 15 Menschen treten ein und laufen zu den Tischen mit den aufgebauten Lebensmitteln. Eine der Frauen murmelt vor sich hin "meine Welt ist das nicht, ich komme wirklich nur selten" – ihr mitgebrachter Beutel ist voll. Es sei Anfang des Monats, da kämen noch nicht so viele, aber gegen Mitte...", erzählt Helfer Horst Roman.
Eine ältere Dame kommt herein. Sie trägt einen großen, gelben Regenmantel, hat zwei Einkaufstaschen in der Hand. Bei einem Discounter hätte sie gerade günstig Weihnachtsdekoration erstanden, erzählt sie. Freundlich wird sie von den Helfern begrüßt – mittlerweile kenne man sich mit Namen, erzählen sie. Einige haben in weiser Voraussicht Plastikdosen mitgebracht, "da passt der Kuchen rein". Es ist 14.36 Uhr, bis auf etwas Gemüse sind die Tische wie leer gefegt. Geht das immer so schnell? "Ja", sagt Horst Hönig lachend.
Essen ist zum Essen da
Jeden Montag fahren Helfer zu den Händlern und holen die Lebensmittelspenden ab, die noch absolut essbar und trotz dessen nicht mehr zu verkaufen sind. Mittlerweile sind es fünf, die der Kooperation aus foodsharing.de und Pfarrverband übrig gebliebene Lebensmittel spenden. "Es sind noch zu wenige. Früher hatten wir mehr zur Ausgabe", berichtet Roman. Sie seien auch auf Spenden von Privathaushalten angewiesen. "Jeder, der noch haltbare Lebensmittel hat – wir nehmen sie gerne", sagt Diakon Detlef Schötz. Wer die St. Aegidien besucht, der muss anders als bei anderen Institutionen, nicht einen Nachweis seiner Bedürftigkeit erbringen. Viele würden sich zu sehr schämen, zu einer anderen Vergabestelle zu gehen. So hat also jeder etwas davon. Das Brot von gestern Morgen landet da, wo es hin gehört – in den Bauch eines hungrigen Menschen. Das Brot erfüllt seinen Zweck und macht satt. Dies ist die Achtung vor dem völlig intakten Lebensmittel, die Oma sich wohl wünschte als sie sagte "andere Kinder haben jar nüscht zu essen".
Informationen und Anmeldung für Braunschweig unter www.foodsharing.de oder www.lebensmittelretten.de.
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