Braunschweig. Eine Mutter habe sich nicht ausreichend um ihr autistisches Kind kümmern können. Das Familiengericht entschied daher, der Mutter das Sorgerecht zu entziehen. Nun prüfte das Oberlandesgericht Braunschweig den Fall erneut.
Ist das geistige, seelische oder körperliche Wohl von Kindern durch das Verhalten der sorgeberechtigten Eltern gefährdet, obliegt es dem Staat, die Kinder zu schützen. Paragraf 1666 im Bürgerlichen Gesetzbuch, die zentrale Vorschrift des zivilrechtlichen Kinderschutzes, ermöglicht es den Familiengerichten in solchen Fällen in das Sorgerecht der Eltern einzugreifen. Das Sorgerecht stellt grundsätzlich ein subjektives Recht der Eltern dar, das sie im Interesse ihres Kindes auszuüben haben. Es betrifft sämtliche Lebensbereiche des Kindes und beinhaltet insbesondere auch die Entscheidung über seinen Aufenthalt, seine Schulwahl oder auch gesundheitliche Belange.
Besteht in diesen Bereichen eine Gefährdung für das Kind, und sind die Eltern nicht bereit, dieser entgegenzuwirken, kann das Gericht ihnen Teile der Sorge oder auch das gesamte Sorgerecht entziehen. Dabei unterliegt das Gericht dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, das heißt es darf nur erforderliche Maßnahmen ergreifen und hat stets zu prüfen, dass diese auch die mildesten Eingriffe in das elterliche Sorgerecht darstellen - erklärt das Oberlandesgericht im Vorfeld seine Entscheidung.
Eingriffe nach Paragraf 1666 BGB in das Elternrecht kämen danach immer nur dann in Betracht, wenn von einer konkreten Gefahr für das Kind auszugehen ist. Das Gericht habe dabei auf Grundlage der Ermittlungen zu entscheiden, ob eine gegenwärtige, in einem solchen Maße vorhandene Gefahr vorliegt, dass sich bei der weiteren Entwicklung eine erhebliche Schädigung mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt.
Mutter fördere nicht ausreichend
Eine solche Einzelfallentscheidung hatte das Oberlandesgericht Braunschweig nun auch in dem vorliegenden Fall zu prüfen. Das erstinstanzliche Familiengericht hatte der alleinsorgeberechtigten Mutter nach umfangreichen Ermittlungen Teile der elterlichen Sorge entzogen, um eine Unterbringung ihres 14-jährigen Kindes zu erreichen. Das Kind leidet unter frühkindlichem Autismus und habe einen sehr hohen Betreuungs- und Förderbedarf. Die Mutter werde langfristig nicht in der Lage sein, die Betreuung und Versorgung ohne Gefahr für das Wohl des Kindes sicherzustellen, so das Familiengericht. Zwar habe der eingesetzte Sachverständige der Mutter die Betreuung zunächst zugetraut, jedoch sei damit zu rechnen, dass die Mutter mit fortschreitendem Alter ausfalle beziehungsweise nicht mehr in der Lage sei, auf ihr Kind einzuwirken. Die Mutter wurde von den Beteiligten als sehr liebevolle Mutter wahrgenommen, fördere ihr Kind aber nicht ausreichend. Langfristig ließe sich daher eine Unterbringung nicht vermeiden, so das Familiengericht.
Die Entscheidung
Diese Entscheidung hat das Oberlandesgericht Braunschweig mit Beschluss vom 22. Dezember 2022 nun aufgehoben, mit der Folge, dass die elterliche Sorge bei der Mutter verbleibt. Die Möglichkeit, dass ein allein betreuender Elternteil eines schwer behinderten Kindes zukünftig ausfalle, stelle keine gegenwärtige Kindeswohlgefährdung dar, so das Gericht. Die vorbeugende Fremdunterbringung zum Zwecke einer für das Kind vorteilhaften frühzeitigen Eingewöhnung in einer Einrichtung ohne konkreten Anlass rechtfertige nicht den Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechts und der Gesundheitsfürsorge.
Auch der Vorwurf, dass das Kind nicht die bestmögliche Förderung erhalte, begründe keine Gefährdung des Kindeswohls. Sowohl die Mutter als auch die umfassende Betreuung des Kindes in der Schule stellten sicher, dass die unverzichtbaren Bedürfnisse des Kindes gewährleistet würden. Eingriffe in das Sorgerecht, um eine optimale Förderung zu erzwingen, seien hingegen vom Kinderschutzrecht - auch nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts - nicht von dem Wächteramt erfasst.
Der Senat habe weiterhin berücksichtigt, dass die Unterbringung des Kindes zum jetzigen Zeitpunkt seine Gesamtsituation nicht verbessern würde, da die psychische Belastung durch die Trennung von der Mutter und seinem bekannten Umfeld schwerer wiege.
Mutter und Kind können also vorerst beisammenbleiben.
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