Große Papierboote aus Braunschweig für den Weltflüchtlingstag

Zwei AWO-Einrichtungen aus Braunschweig beteiligen sich an dem bundesweiten sozialkritischen Kunstprojekt „100 Boote – 100 Millionen Menschen“.

Künstlerin Franziska Rutz (rechts) leitet den Workshop des Vereins frauenBUNT in Kooperation mit der AWO-Migrationsberatung.
Künstlerin Franziska Rutz (rechts) leitet den Workshop des Vereins frauenBUNT in Kooperation mit der AWO-Migrationsberatung. | Foto: AWO-Bezirksverband Braunschweig e. V.

Braunschweig. Das bundesweite sozialkritische Kunstprojekt „100 Boote – 100 Millionen Menschen“ wurde von der AWO-Ehrenamtsakademie Sachsen-Anhalt und AWO International aus der Taufe gehoben und setzt ein Zeichen der Solidarität für alle Menschen auf der Flucht. Insgesamt 100 XXL-Origami-Papierboote werden bundesweit gestaltet und zum Weltflüchtlingstag am 20. Juni 2024 auf dem Platz der Republik in Berlin als politisches Zeichen der Solidarität mit Geflüchteten ausgestellt. In Braunschweig beteiligen sich die Migrationsberatung und das Sozialpsychiatrische Zentrum des AWO-Bezirksverbandes an dem bundesweiten Kunstprojekt. Dies teilte der AWO-Bezirksverband Braunschweig e. V. mit.



Die Migrationsberatung des AWO-Bezirksverbandes Braunschweig gestaltet ein Boot in Kooperation mit dem Malatelier frauenBUNT e.V. unter der Leitung der Künstlerin Franziska Rutz. Die Idee für diese Kooperation hatten Alena Timofeev und Martin Stützer aus dem Team der Migrationsberatung.

Es sind aufwühlende Themen, die beim kreativen Workshop den Raum erfüllen: Unterdrückung, Angst, Krieg, Flucht. Acht Frauen sind an einem Samstagnachmittag zusammengekommen, um für das Projekt „100 Boote – 100 Millionen Menschen“ ein riesiges XXL-Origamiboot zu gestalten. Die Frauen kommen aus dem Iran, aus Syrien, Südkorea, der Ukraine, der Türkei, Serbien, aber auch aus Frankreich und Deutschland. Eine vielfältige Gruppe, in der jede einzelne ihre eigene Geschichte mitbringt.

Franziska Rutz sagt: „Es sind sehr heftige Themen, die wir zu Beginn des Projekts besprochen haben. Es gibt auch eine Vielzahl von frauenspezifischen Fluchtgründen. Dazu zählen Gewalt, Unfreiheit, Steinigungen, Genitalverstümmelung und vieles mehr.“ Auf der Flucht selbst seien Frauen vollkommen schutzlos. In der Vorbereitung auf die kreative Gestaltung des Bootes seien daher schmerzhafte und traumatische Erfahrungen „aufgebrochen“. In dem Arbeitsprozess gehe es nun darum, das Erlebte in Bildern auszudrücken. Franziska Rutz sagt: „Jede Frau wird in dem Kunstwerk ihren Platz haben.“ Viele der Teilnehmerinnen seien künstlerisch „sehr begabt“, aber das sei nicht das wichtigste: „Es sind sehr viele verschiedene Frauen – das macht es so besonders.“

In dem großen, hellen Atelier des Sozialpsychiatrischen Zentrums, das die Künstlerinnengruppe für ihr Projekt nutzen darf, herrschen aber nicht nur düstere Themen vor. Zwischen Pinseln, Farbe und Papier werden sehr persönliche Gedanken geteilt, über Lebenswege und Träume gesprochen. In der Gruppe gebe es eine große Solidarität untereinander, sagt eine Teilnehmerin: „Der Austausch ist sehr wichtig und auch die gegenseitige Unterstützung. Wir können uns alles erzählen, auch mal weinen. Wir fühlen uns gut aufgehoben.“ Das Projekt sei „wie eine Oase“. Eine andere Teilnehmerin erklärt, dass das Kunstprojekt auch eine gute Möglichkeit sei, sich gesellschaftlich zu integrieren.

Veranstaltungstipp: Das Boot des Vereins frauenBUNT kann erstmals am Sonntag, 10. März besichtigt werden beim „Konzert der Vielfalt“ mit Giorgio Claretti, Sänger und Pianist mit italienischen Wurzeln, (Beginn: 17 Uhr) in der St. Thomas-Kirche, Braunschweig-Heidberg.

Ein weiteres Boot


Auch das Sozialpsychiatrische Zentrum des AWO-Bezirksverbandes gestaltet ein XXL-Origamiboot. Hohe Wellen schwappen bedrohlich um das Boot, Hände umklammern ein Tau, eine einzige Schwimmweste baumelt am Mast, der Rettungsring gleicht zur Hälfte einem Grabkranz. Das Szenario löst Emotionen aus, Beklemmung. So stellen sich die Teilnehmenden der Tagesstruktur aus dem Sozialpsychiatrischen Zentrum (SPZ) ihr überdimensioniertes Kunstwerk vor, wenn die kreative Schaffensphase abgeschlossen ist. Gemeinsam mit den Ergotherapeutinnen Anna Angelis und Katharina Kloska sind sie mitten im Gestaltungsprozess für das riesige Papierboot.

Die Ergotherapeutinnen Katharina Kloska (vorne links) und Anna Angelis (vorne rechts) gestalten mit Teilnehmenden der SPZ-Tagesstruktur ein XXL-Origamiboot. Zu den Künstlern gehören auch Timo Schollmeyer (hinten links) und Axel Försterling (hinten rechts).
Die Ergotherapeutinnen Katharina Kloska (vorne links) und Anna Angelis (vorne rechts) gestalten mit Teilnehmenden der SPZ-Tagesstruktur ein XXL-Origamiboot. Zu den Künstlern gehören auch Timo Schollmeyer (hinten links) und Axel Försterling (hinten rechts). Foto: AWO-Bezirksverband Braunschweig e. V.



Als sie von dem Projekt erfuhr, war für Katja Ruhland, SPZ-Leiterin, gleich klar: „Wir haben den Platz, wir haben Lust, wir sind kreativ und wir wollen uns an politischen Themen beteiligen.“ In den hellen, großzügigen Räumen der Tagesstruktur im Magniviertel arbeiten deshalb die Ergotherapeutinnen Anna Angelis und Katharina Kloska einmal wöchentlich mit einer kleinen Gruppe aus sieben Künstler*innen an dem etwa fünf Meter langen Boot. Wichtig sei vorab eine intensive Auseinandersetzung mit dem Thema Flucht und Migration gewesen, so Anna Angelis. Rosa Bastian, Boots-Gestalterin und Teilnehmerin der SPZ-Tagesstruktur, sagt: „Wir haben viele Erfahrungsberichte von geflüchteten Menschen gelesen und das Thema aus unterschiedlichsten Perspektiven betrachtet.“ Alle Künstler*innen haben dann ihre persönlichen Ideen auf kleinen Boots-Modellen zu Papier gebracht. Schnell war klar: Es sollen dreidimensionale Elemente eingebunden werden: ein Rettungsring, ein Paddel, eine Schwimmweste, Wellen aus Stoff.

Eine Regenbogenflagge für die Vielfalt


Auch einigten sich die Teilnehmenden darauf, dass eine Regenbogenflagge integriert werden soll. „Die Regelbogenflagge ist ein Symbol für Vielfalt. Es gibt zahlreiche Menschen, die aus ihren Heimatländern flüchten, weil sie Andersdenkende sind“, begründet Teilnehmer Axel Försterling die Idee und Anna Angelis ergänzt: „Es geht uns um den Respekt für die Individualität der Menschen. Hinter jeder geflüchteten Person steht eine persönliche Geschichte.“ Die Regenbogenflagge – sie wird die zweite Hälfte des Bootes zieren, wenn es fertig ist. Während eine Hälfte des Bootes düster ist und Bedrückung symbolisieren soll, wird die andere Hälfte bunt sein. Katharina Kloska erklärt: „Unser Ziel ist es, ein Gefühl auszudrücken. Zum einen Bedrückung – denn das Thema ist bedrückend. Es gibt aber auch eine friedvolle, hoffnungsvolle Seite in Regenbogenfarben – in diese Richtung fährt unser Boot.“

Für die Teilnehmenden aus der SPZ-Tagesstruktur bringt das Projekt viel Positives mit sich: künstlerische Gestaltung, politische Auseinandersetzung und gesellschaftliche Teilhabe. Timo Schollmeyer sagt: „Für mich bietet das Projekt die Möglichkeit, am Leben und aktuellen Geschehen teilzunehmen. Wenn das Boot in Berlin ausgestellt wird, würde ich gerne mitfahren – das Projekt ist toll!“

Sozialpsychiatrische Zentrum: Das Sozialpsychiatrische Zentrum (SPZ) des AWO-Bezirksverbandes Braunschweig unterstützt psychisch kranke Menschen dabei, ihr Leben selbstbestimmt zu gestalten. In mehreren Wohngruppen leben 45 Menschen und werden von 17 Mitarbeitenden bei der Organisation und Gestaltung ihres Alltags unterstützt. Darüber hinaus bietet das SPZ das Angebot „Tagesstruktur“ an, bei dem auch Menschen mit seelischen Erkrankungen, die nicht in der Einrichtung wohnen, 1-3 Stunden am Tag an den Angeboten teilnehmen können.


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