Braunschweig. Die Idee, die Bruchstraße mehr ins Stadtleben zu integrieren und "zu öffnen", ist nicht neu. Immer mal wieder sei dies auch politisch diskutiert worden. Jetzt konfrontierte die Ratsgruppe Direkte Demokraten die Verwaltung erneut mit einer entsprechenden Anfrage: Ist die einseitige Absperrung der Bruchstraße durch ein eisernes Tor weiterhin zeitgemäß?
Das große eiserne Tor trennt das Rotlichtviertel Braunschweigs (auch gerne als "Gurke" bezeichnet) in Richtung Friedrich-Wilhelm-Straße vom Rest des Viertels ab. Nur durch einen schmalen Spalt können Interessierte hier einen Abstecher in die Bruchstraße machen. Das Tor versperrt so auch die Sicht auf den Arbeitsbereich der Prostituierten, die dort an den Koberfenstern ihren Dienst verrichten.
Laut der Anfrage der Direkten Demokraten habe es in der Vergangenheit immer mal wieder Meinungen zu dieser bewussten Abtrennung der Bruchstraße gegeben. So gebe es auch Stimmen, die sich für die Öffnung der Straße aussprechen. Architekt Rainer Ottinger habe laut der Neuen Braunschweiger-Zeitung (2015) geäußert, dass das Entfernen des Tores für eine bessere Durchmischung der Flanier- und Partymeile sorgen würde. Er habe auf Amsterdam verwiesen, wo dies durchaus gelingen würde.
Andere Stimmen würden sich davon versprechen, dieses historische Viertel so aus der Schmuddelecke herauszuholen und nicht mehr als Tabuzone zu behandeln (Harald Duin, Braunschweiger Zeitung, 2003). Auch der Arbeitsausschuss Innenstadt würde fordern, dass man die Tore öffnet. Mit diesen Äußerungen erklären die Direkten Demokraten ihre Anfrage.
Geschichte der Bruchstraße und der Tore
Die Stadt hat auf die Anfrage mittlerweile ausführlich geantwortet, beginnt die Antwort zunächst allerdings mit einer kleinen historischen Zusammenfassung.
Die Bruchstraße sei ab dem 15. Jahrhundert auf dem Bruch entstanden, einer von Okerarmen umgebenen sumpfigen Insel. Im Jahr 1596 habe der Rat die Schließung von Winkelkneipen angeordnet, die auf dem Bruche damals Verbrechern als Unterschlupf gedient haben sollen. Erst Anfang des 19. Jahrhunderts habe der Bruch dann den Ruf eines Rotlichtviertels erhalten.
Im Jahr 1946 hätten die Bewohner der Bruchstraße bei der Polizei die Schließung der Straße durch Anbringung eines Tores auf ihre Kosten beantragt mit der Begründung, dass sie sich dort nicht sicher fühlten. Erst im Jahr 1950 habe der Rat dann dem Antrag auf Sperrung der Einsicht zugestimmt. Im Zuge der Abgängigkeit der Tore wurde Mitte der 1970er Jahre erneut geprüft, diese wegfallen zu lassen. Auf massiven Druck der Anwohnenden wurden die städtischen Tore, die sich auf städtischem Grund befinden, erneuert.
Ende der 1980er Jahre habe die Polizei die Bruchstraße „zweifelsfrei“ als einen Ort eingestuft, „von dem eine Gefährdung für Kinder und Jugendliche im Sinne des Jugendschutzgesetzes ausgeht“ und die zuständigen Behörden gebeten, „die zur Abwehr von Gefahr erforderlichen Maßnahmen zu treffen.“ Anfang der 1990er Jahre sei der Wunsch der dort tätigen Damen nach konstanter und kontinuierlicher Schließung der Tore erneut artikuliert worden.
Prostitution: Ein umstrittenes Thema
Das „Institut für Demoskopie Allensbach“ habe im Jahr 2020 eine Umfrage zur „Prostitution und Prostitutionsverbot im Spiegel der öffentlichen Meinung“ durchgeführt. Die Ergebnisse seien von der Leiterin des Instituts, Frau Prof. Dr. Renate Köcher kommentiert worden und sind im Internet einsehbar.
Die Ergebnisse hätten gezeigt, dass es durchaus sehr diverse Bewertungen innerhalb von Politik und Gesellschaft zum Thema Prostitution gibt. Die Frage, ob die Tore in Braunschweig noch „zeitgemäß“ sind, sei daher individuell zu bewerten und zu beantworten.
Der Jugendschutz sowie die Wahrung des öffentlichen Anstandes seien allerdings legitime Gemeinwohlziele. Die Diskussion über die Ansiedlung eines Bordellbetriebs in Gliesmarode im Jahr 2021 habe sehr eindrücklich gezeigt, dass ein Großteil der Bevölkerung insbesondere dem Schutz der Jugend eine hohe Bedeutung eingeräumt und entsprechende Maßnahmen gefordert hat.
Minderjährige sollen geschützt werden
Aus Sicht des Jugendschutzes stelle sich die Frage, inwiefern sich durch das Entfernen des Tores eine (seelisch oder geistig-moralische) Gefährdung Minderjähriger ergibt. Zieht man Vergleiche zu Rotlichtvierteln in Amsterdam oder Hamburg heran, so sei anzuführen, dass im Stadtteil St. Pauli mit seinen Gastro- und Kulturbetrieben im Bereich der Reeperbahn weite Teile auch für Minderjährige frei zugänglich sind, nicht aber die Herbertstraße. Dieser Straßenzug, in dem Sexdienstleisterinnen nach außen hin deutlich sichtbar seien und Freier durch ein direktes und mehr oder minder aggressives Auftreten anwerben, sei auch dort - vergleichbar mit der Bruchstraße in Braunschweig - durch je ein Eisentor von beiden Seiten optisch abgesperrt. Der Zutritt Minderjähriger sei per Verordnung untersagt.
Polizeiliche Einschätzung
Von den beiden vorhandenen Toren in Braunschweig ist das Tor an der Wallstraße für Lieferfahrzeuge, Straßenreinigung, Taxen und weitere Anlieger in der Regel geöffnet. Aus Sicht der Polizei sei an dieser Stelle der vorbeigehende Publikumsverkehr zum einen überschaubar und zum anderen lägen die beiden ersten Bordelle aufgrund der baulichen Situation weiter zurück. Die Tore dienten neben den Aspekten des Jugendschutzes insbesondere dem Schutz der dort gewerblich Tätigen/Anwohnenden wie auch die oben skizzierte Historie zeigt. Die Polizei würde die Tore neben dem Aspekt des Jugendschutzes im Lichte der dort gewerblich Tätigen als weiterhin zeitgemäß ansehen. So könnten Voyeurismus, unerlaubtes Fotografieren und gewerbliche Einbußen vermieden werden.
Stadt sieht keine Notwendigkeit
Vor diesem Hintergrund hält auch die Verwaltung ungeachtet möglicher positiver Effekte in stadtgestalterischer Hinsicht die optische Absperrung weiterhin für sinnvoll.
Das Vorhalten von Toren würden allerdings keiner gesetzlichen Notwendigkeit unterliegen. Ihre Errichtung sei ebenso wie ihre Entfernung dem gesellschaftspolitischen Wandel unterworfen. Die Verwaltung sieht bislang aber keine Notwendigkeit, ihre Entfernung vorzuschlagen.
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