Predigt von Pfarrer Werner Busch zum Buß- und Bettag


| Foto: Sina Rühland/Archiv



Braunschweig. Die Predigt zu Buß- und Bettag des St. Kathatarinen-Pfarrers Werner Busch erscheint hier ungekürzt und unkommentiert.

"Wir müssen umdenken, heißt es. Wir sollten mit einer neuen Bedrohungslage leben ler- nen. So spricht es mich gestern aus dem Bildschirm an und ich frage mich: Was heißt das denn und wie macht man das? Am Sonntag noch waren wir teilnehmende Zuschauer. Betroffen haben wir das Unglück unserer französischen Nachbarn angesehen und mit be- trauert, wie man mittrauert, wenn es einen nicht direkt, nicht persönlich getroffen hat. Es brauchte nur den gestrigen Abend, da änderte sich die Nachrichten- und Gefühlslage erheblich. Wir stehen nicht mehr in der zweiten Reihe. Wir sind nicht mehr nur Zuschauer sondern werden auf die Bühne, aufs Feld und in den Kampf gezerrt. Langsam dämmert uns: Wir werden Teil jenes grässlichen Spiels, das kein Spiel ist, sondern tödlicher Ernst.

Der Schrecken steckt uns heute noch in den Knochen. Es ist gestern in Hannover nichts passiert, Gott sei Dank. Und doch hat sich etwas geändert. Es arbeitet in uns. Fragen. Gedanken. Sorgen. Und Wut. Schnell ist manchem deutlich, dass das Motto „Jetzt erst recht“ sich als ein hohler Satz entpuppt, wenn es droht ernst zu werden. Natürlich setzen wir unser Leben nicht für eine Freizeitbeschäftigung aufs Spiel! Und natürlich geht unsere Demokratie und Lebensart noch nicht unter, wenn wegen einer terroristischen Drohung ein Fußballspiel und ein Konzert abgesagt werden.

Aber wir fangen an nachzudenken. Vielleicht wird für manch einen daraus auch ein Umdenken. Selbstverständliches ist massiv bedroht und in Frage gestellt worden. Die sorglose Sicherheit im Alltagsleben - was für ein Schatz an Lebensqulität! -, die gedankenlose Bewegungsfreiheit im öffentlichen Raum sind verwundbar. Man kann uns zutiefst irritieren, wenn man das angreift.

Das gibt uns zu denken. Auch wenn wir schon in einigen Tagen oder Wochen wieder sicher im Sattel der gewohnten Alltagsroutine sitzen und durch die Tage und Wochen traben - ein Gefühl wird bleiben, wie ein bitterer Nachgeschmack. Ein Knäuel nicht zu Ende gedachter Gedanken. Angst, so sagt man gern altklug, sei doch ein schlechter Ratgeber. Dabei schützt sie Leben! Und man wolle doch „denen“ zeigen, dass man keine Angst habe. Etwas mehr Ehrlichkeit täte uns gut. Nicht pausbackiger Trotz, sondern erst ein tiefes Gegründetsein macht uns wirklich stark.

Es ist nicht einfach, in diesen Tagen mit ihren überstürzenden Ereignissen die richtigen Gedanken und Worte zu finden, auch hier in der Kirche nicht. Ich höre auf Jesaja, Kapitel 30, und lade ein, sich einem Prophetenwort auszusetzen. „So spricht Gott, der HERR: Wenn ihr umkehrtet und stille bliebet, so würde euch geholfen. Durch Stillesein und Hof- fen würdet ihr stark sein. Aber ihr wollt nicht und sprecht: Nein, sondern auf Rossen wollen wir dahinfliegen ... und auf Rennern wollen wir reiten.“ Die dreitägige Staatstrauer in Frankreich war noch nicht zu Ende, da gab es schon neue Bilder von französischen Bombern, die verstärkt Angriffe auf syrische Terroristenstellungen flogen. Wie krass ist die Übereinstimmung mit dem prophetischen Wort! „Durch Stillesein und Hoffen würdet ihr stark sein. Aber ihr wollt nicht und sprecht: Nein, sondern wir wollen dahin fliegen ...“ Ist das unser europäisches Lebensmuster, liebe Gemeinde? Ist das die Art und Weise, mit der wir uns selber zu trösten versuchen? Dem Gegner nur keine Schwäche zeigen. Verwundungen zudecken und weitermachen. Stärke demonstrieren und zurückschlagen. „Jetzt erst recht ...“?

Wir müssen umdenken, liebe Gemeinde. O ja, aber wohl in einem anderen Sinne, als die Terrorexperten es uns nahe legen möchten. Ich lese aus dem Römerbrief, Kapitel 12. Es ist jenes berühmte Kapitel, das uns Orientierung für die großen und kleinen Themen der Lebensführung gibt. Da heißt es: „Rächt euch nicht selbst, meine Lieben, sondern gebt Raum dem Zorn Gottes; denn es steht geschrieben: ‚Die Rache ist mein; ich will vergel- ten, spricht der Herr.‘ ... Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.“ Es geht hier nicht um einfache Lösungen, sondern um eine Haltung. Um belastbares Vertrauen zu Gott, das zwischenmenschliche Feindschaften ertragen kann.

Doch ehe wir da hinkommen, müssen wir an die Weiche zurück, dorthin, wo die Richtungsentscheidungen fallen. An den Anfang des Kapitel 12 im Römerbrief. „Ich ermahne euch nun, liebe Brüder und Schwestern, durch die Barmherzigkeit Gottes, dass ihr eure Leiber hingebt als ein Opfer, das lebendig, heilig und Gott wohlgefällig ist. Das sei euer vernünftiger Gottesdienst. Und stellt euch nicht dieser Welt gleich, sondern ändert euch durch Erneuerung eures Sinnes, damit ihr prüfen könnt, was Gottes Wille ist, nämlich das Gute und Wohlgefällige und Vollkommene.“
Wir müssen umdenken, liebe Gemeinde. Es ist allerdings höchst unangenehm und eine sehr schwierige Sache, dass man einen feindlichen Angriff, eine öffentliche Demütigung zum Anlass für aufrichtige Einkehr und Selbstüberprüfung nimmt. Haben wir die Größe, das zuzulassen? Da Gott seinen Christus zwischen uns Menschen gestellt hat, lasst es uns wagen! Wir müssen umdenken, ja. Und die Verwundung Europas, die Verunsicherung mag nun der uns dafür gegebene Anlass sein. Umdenken natürlich nicht so, wie die Men- schen es wollen, die den Schrecken verbreiten. Nicht in die Angst treiben lassen, sondern in die Arme Gottes! In die Besonnenheit. Gott wartet auf uns in der Dunkelheit. Als Helfer, Tröster, Vater. „Ich ermahne euch durch die Barmherzigkeit Gottes willen.“
Umdenken. Was heißt umdenken heute am Buß- und Bettag? Was heißt Umkehr in diesen schwierigen Tagen? Umdenken heißt, einen Halt suchen, der unter allen Umständen un- verbrüchlich und fest ist. „Ich weiß, woran ich glaube“2, haben wir miteinander gesungen. Wissen wir, was uns Halt und Haltung geben kann? Nicht falsche Sicherheit, aber leben- dige Gewissheit sollten wir anstreben. Es geht hier darum, innere Verankerung zuzulassen, die uns unabhängiger macht von den bedrängenden Umständen und Ereignissen. Jetzt kommt’s drauf an, liebe Gemeinde, dass wir uns an Gott binden. Lassen wir uns an ihn binden! Er ist doch ein Gott der Barmherzigkeit und ein Gott des Trostes. „Gebt ihm eure Leiber hin als ein lebendiges Opfer“. Kein Spiel mit dem Tod, kein Poker mit der Gefahr, keine Faszination der Zerstörung. Sondern Leben, Auferstehung und Heil sind sein Werk. Weidet euch nicht an den Bildern von Panik und Blut. Heftet Blick und Herz an Christus. Geben wir uns ihm hin und vertrauen uns ihm an! Mit Leib und Leben.

„Und stellt euch nicht dieser Welt gleich, sondern ändert euch durch Erneuerung eures Sinnes.“ In diesen Tagen sprechen viele davon, dass wir doch nun alle zusammenrücken müssten. Eine große Gemeinschaft, ein einiges Europa. In „uneingeschränkter Solidarität“ sollen wir nun „fest zusammen stehen“. Solidarität ist geradezu ein Zauberwort geworden. Das Kollektiv als Haltegriff? In diese Stimmungslage hören von Gott her einen fremden, ja störenden Ton. „Stellt euch nicht dieser Welt gleich“. Unsere Aufmerksamkeit wird noch einmal anders wohin gelenkt. Ein Kontrapunkt, eine Gegenkraft. Gerade in Zeiten der Verunsicherung muss der Mensch ein einzelner werden. Welche geistige Wider- standskraft kann uns eine anonyme Gemeinschaft geben? Wohin tragen uns die Wogen der gemeinsamen Trauer und Wut? „Stellt euch nicht dieser Welt gleich.“ Erinnern wir uns, dass nicht erst am Ende des Tages jeder in eigener Person vor Gott und in dieser Welt steht. Darum geht es auch jetzt. Die persönliche Bindung an Christus ist eine Kraft der Freiheit. „Du stellst meine Füße auf weiten Raum.“ In dieser Gewissens- und Glaubensbindung bilden sich Rückgrat und Haltung. Wir wollen doch keine Meereswoge sein, die „vom Wind getrieben und bewegt wird“. Der Glaube macht uns zu Einzelnen, die nicht so leicht mitgerissen werden können. Was das bedeutet, wird noch klarer.

Aus der Beziehung zu Gott strömt uns Kraft zu. Kraft und Ruhe und Wachsamkeit, um prüfen zu können. Nachdenklichkeit ist das Gebot der Stunde, liebe Gemeinde, nicht Aktionismus und Kraftprotzigkeit. „Durch Stillesein und Hoffen“ erst reifen unsere Antworten auf das Geschehene. „Damit ihr prüfen könnt, was Gottes Wille ist, nämlich das Gute und Wohlgefällige und Vollkommene.“

Gehören Sie auch zu denen, die schon nach ein paar Stunden und wenigen Tagen schnell wissen, was jetzt dran ist? In einer komplizierten und gefährlich gewordenen Welt müssen wir doch erst mal prüfen, hinschauen und hören. Ja, auch in Gottes Richtung alle Sinne aufmachen! Was ist jetzt dran? Was hat er mit uns vor? Und wie sollen wir uns stellen? Nur so werden wir wenigstens eine davon bekommen, was jetzt sein Wille sei, was das Gute und Wohlgefällige und Vollkommene“ sein kann, mitten in einer bösen und völlig unvollkommenen Welt. Nehmen wir die Ermahnung aus dem Römerbrief als unseren Kompass mit in die kommende Zeit. Das Neue Testament ist keine Landkarte und bietet keine einfachen Wegbeschreibungen. Aber die Richtung, eine Grundorientierung liegt hier für uns aufgeschlagen auf dem Tisch. „Ich ermahne euch nun, liebe Brüder, durch die Barmherzigkeit Gottes, dass ihr eure Leiber hingebt als ein Opfer, das lebendig, heilig und Gott wohlgefällig ist. Das sei euer vernünftiger Gottesdienst. Und stellt euch nicht dieser Welt gleich, sondern ändert euch durch Erneuerung eures Sinnes, damit ihr prüfen könnt, was Gottes Wille ist, nämlich das Gute und Wohlgefällige und Vollkommene.“ Amen."


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