Braunschweig. Patchwork, Pflegeschaft, ein Leben mit zwei Mamas. Martina Raedlein und Kornelia Czarnota haben gleich drei Familienmodelle zu einem verknüpft. Eine Begegnung mit einer Regenbogenfamilie.
Martina und Kornelia sind seit fünf Jahren ein Paar. Sie sind verheiratet, haben zwei Söhne, einen Hund, eine Katze, ein Haus und einen Garten. Man könnte sagen, sie sind eine typisch mitteleuropäische Familie. Als die beiden Frauen mit ihren zwei Kindern vor einigen Jahren in die kleine Spielstraße einer Einfamilienhaus-Siedlung gezogen sind, haben sie sich anfänglich noch Gedanken um die Reaktionen von Nachbarn und Schuleltern gemacht – unberechtigt, wie sich herausstellen sollte. „Ich glaube, dass diese vermutete menschliche Zurückhaltung nicht an unserer Beziehung lag. Aber man macht sich eben seine Gedanken, interpretiert vielleicht manchmal über“, sagt die 44-jährige Martina Raedlein. „Tatsächlich haben wir wirklich nie Nachteile oder Ausgrenzungen erfahren.“
Als sich das Paar 2010 in einander verliebt hat, kamen beide aus einer heterosexuellen Partnerschaft. Die 54-jährige Künstlerin Kornelia brachte aus ihrer Ehe ihren damals 12-jährigen Sohn Ben* mit, Martina Raedlein ihren Pflegesohn Tom*. Zu Beginn sei es für Ben schwierig gewesen, erzählt Kornelia. „Er hatte anfänglich Probleme mit uns, es war ihm peinlich. Wenn wir ihn also von der Schule abholen wollten, dann sagte er, dass das nicht ginge, weil dann ja alle sehen würden, dass Mama mit einer Frau zusammenlebt.“ Es habe eben, wie in jeder Patchworkfamilie, eine Weile gedauert, bis sich alles richtig eingependelt hat. Mittlerweile sind einige Jahre vergangen. „Heute weist mein Sohn seine Freunde – gerade die Mädchen – besonders darauf hin, dass er mit zwei Frauen aufgewachsen ist. Nun scheint das irgendwie cool zu sein“, sagt Kornelia lachend.
Pflegeschaft in einer Regenbogenfamilie
Seit fünf Jahren sind Martina Raedlein und Kornelia Czarnota ein Paar. Foto: Sina Rühland
Der achtjährige Tom kennt seine Familie nur so, wie sie eben ist. Mama Martina, Konni und sein großer Bruder Ben. Tom kam mit acht Monaten als Pflegekind zu Martina und ihrem damaligen Partner. Nach der Trennung blieb er bei ihr. Nicht das Leben in einer Familie mit zwei Frauen sei eine stete Herausforderung, sondern Toms Geschichte und der Umgang damit, erklärt Martina. „Wir reden viel über seine Vergangenheit, und wir gehen auf kindgerechte Weise absolut offen und ehrlich mit ihm um. Er weiß, dass er eine leibliche Mama hat und er kennt auch die Fotos seiner ersten acht Lebensmonate. Ich möchte keine Geheimnisse vor meinem Kind haben.“ Als Tom etwa fünf Jahre alt war, fing er an Fragen zu stellen. Martina Raedlein erklärte ihm, warum er verschiedene Familien-Konstellationen seit seiner Geburt durchlaufen hat. Auch wenn er nicht adoptiert sei, sei sie seine Mama für ihn. „Tom ist mein Sohn, ohne wenn und aber. Er will seinen Platz und er bekommt ihn auch. Er ist für mich der Wichtigste“ Sie wünsche sich, dass sich noch viel mehr Menschen für eine Pflegeschaft entscheiden würden. Der Bedarf sei hoch. Jedes Jahr bräuchten 30 bis 40 Kinder aus Braunschweig ein liebevolles zu Hause. Pflegeeltern, die bereit sind, sich um ein Kind zu kümmern. Zirka 35 von 40 Kindern müssen aktuell anderweitig untergebracht werden, da sich nicht genügend Pflegefamilien für die Kinder finden.
Brauchen Kinder Mama und Papa?
Kritiker fügen oft an, dass Kindern gleichgeschlechtlicher Eltern Vater beziehungsweise Mutter fehle. Kinder lesbischer Paare könnten sich ohne männliche Bezugsperson nicht richtig entwickeln. Psychologin Ulrike Werner, Kinderpflegedienst Braunschweig, erklärt: „Bei Kindern gleichgeschlechtlicher Paare sind keine Entwicklungsnachteile oder Auffälligkeiten festzustellen. Es ist lediglich wichtig darauf zu achten, dass Kinder gegengeschlechtliche Bezugspersonen haben." Werner erinnert daran, dass viele Kinder bei der Mutter aufwachsen – ohne Vater im näheren Umfeld. "Kinder von gleichgeschlechtlichen Paaren haben genau die gleichen Chancen und Risiken wie andere Kinder auch. In der Regel zeigen die Kinder eine höhere Toleranz gegenüber verschiedenen Lebensmodellen. Sie haben ein flexibleres Empfinden für Rollenverteilung", so Werner.
Kontakt zu potentiell männlichen Bezugspersonen haben Ben und Tom ständig, erzählt Martina. „Ob es Lehrer sind, Sporttrainer, Nachbarn oder andere männliche Vorbilder. Wir leben ja nicht auf einer Insel. Übrigens haben beide Jungen auch Väter", sagt sie. Jedoch hätten sie keinen oder nur sehr sporadischen Kontakt zu ihnen. Kinder würden sich ohnehin nehmen, was sie bräuchten. „Beide Kinder schätzen die Kompetenzen von Konni und mir sehr. Sie suchen sich, je nach Bedarf, die passenden Eigenschaften von uns aus. Wenn unsere Söhne reden wollen, dann kommen sie eher zu mir, wenn es etwas repariert werden muss, dann gehen sie eher zu Konni. Und ich kann auch manchmal ausgesprochen männlich und resolut sein“ , lacht Martina.
Bei allen Herausforderungen haben Martina und Kornelia eines noch nie an den Kopf geworfenen bekommen: „Wir haben noch nie von unseren Kindern gehört: 'du bist nicht meine Mutter‘."
Informationen zu Pflegekindern in Regenbogenfamilien gibt es beim Pflegekinderdienst der Stadt Braunschweig sowie am 23. Juli um 19 Uhr im Onkel Emma, Echternstraße 9.
*Die Namen der Kinder wurden von der Redaktion geändert.
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