Braunschweig. Erneut kam es in Braunschweig zu einer mutwilligen Verunstaltung von Stolpersteinen, die die Namen und Schicksale von Menschen tragen, die Opfer des Nationalsozialismus geworden sind und vom „Stolpersteine für Braunschweig e.V.“ in Kooperation mit dem Künstler Gunter Demnig an der Stätte ihres Wirkens in der Stadt verlegt wurden. Auf den Gedenksteinen für die Familie Vasen kleben "Nazi-Kiez" Sticker, wie viele Steine genau betroffen sind, sei derzeit noch nicht bekannt.
Der Bündnis-gegen-Rechts-Sprecher David Janzen hatte die Fotos vor Ostern von einem Zeugen erhalten und einen entsprechenden Twitter-Post dazu verfasst. Die laut Foto betroffene Familie Vasen hatte im Zweiten Weltkrieg am Marstall 1-2 gewohnt. Samuel Vasen und sein Sohn Walter Vasen wurden während der Reichspogromnacht am 10. November 1938 verhaftet und in das Konzentrationslager Buchenwald deportiert. Sein Vater überlebte den Krieg nicht, Walter emigrierte nach Shanghai und lebte im dortigen Ghetto. Nach 1945 wanderte er in die USA aus. Dort verliert sich seine Spur. Dina Vasen wurde am 16. September 1939 verhaftet und in die Untersuchungshaftanstalt Rennelberg in Braunschweig gebracht und später in den Osten deportiert. Sie überlebte den Zweiten Weltkrieg nicht.
Auf Anfrage unserer Online-Zeitung berichtet Polizeisprecherin Carolin Scherf, dass bislang noch keine Anzeige wegen Sachbeschädigung eingegangen sei: "Wir haben aber schon gesehen, dass auf Twitter eine Diskussion entstanden ist, wo auch Bilder gezeigt werden." Tätig geworden sei man noch nicht. Bündnissprecher Janzen kritisiert: "Meiner Meinung nach müsste die Polizei mindestens ermitteln wegen des Verdachtes auf Volksverhetzung. Aber wenn zum Beispiel bei mir am Haus Sticker geklebt wurden, hieß es immer nur: 'das ist keine Sachbeschädigung', es wird zwar aufgenommen aber es passiert nichts." Großes Vertrauen, dass die Polizei die Täter fassen kann, habe er nicht: "Das passiert immer wieder, man sieht ja auch auf dem Stein der Familie Vasen, dass da vorher schon was drauf war. Ich habe aber nicht das Gefühl, dass die Polizei da wirklich hinterher ist."
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"Natürlich haben wir das im Blick"
Einfach losermitteln können die Beamten nicht. Ungeachtet des Zwecks der Steine bewege man sich laut Scherf im Bereich der "gemeinschädlichen Sachbeschädigung", eine Straftat, die jedoch ein Antragsdelikt darstellt. Wie die Polizeisprecherin weiter erklärt, müsse sich ein Geschädigter melden und eine Anzeige aufnehmen lassen, bevor die Polizei aktiv werden kann: "Wir müssen Kenntnis haben, wo genau diese Aufkleber geklebt wurden. Wenn wir nur ein Bild im Internet sehen, können wir nicht sofort ein Strafverfahren einleiten." Scherf weist Janzens Kritik zurück: "Natürlich haben wir das im Blick, wenn sich hier jemand gemeldet hätte, wären wir dem auch weiter nachgegangen."
Viele Verfahren werden eingestellt
Rückfrage beim "Stolpersteine für Braunschweig e.V.": "Schon wieder", kommentiert Siegfried Graumann die erneute Beschmutzung der Stolpersteine mit einem Seufzen. Graumann ist im Vorstand des Vereins, der die Stolpersteinverlegung organisiert hat und, wie wir erfahren, entsprechend auch anzeigeberechtigt ist. Hier war die Nachricht der Tat vom 11. April noch gar nicht eingegangen. Janzen teilte unserer Online-Zeitung jedoch mit, den Verein im Laufe des Tages noch in Kenntnis setzen zu wollen. Graumann: "Dann können wir an die Polizei herantreten, an den Staatsschutz und denen die Sache melden."
"Es ist nicht nachzuvollziehen, wie unglaublich 'krank' man gedanklich sein kann. Da wird einer Familie gedacht, und dann werden diese Menschen noch einmal geschändet."
Drei oder viermal habe er solche Vorfälle schon der Polizei gemeldet. "Vieles kommt nicht zur Anklage. Das Verfahren wir nach einiger Zeit eingestellt mit der Aussagen 'Täter nicht zu ermitteln'." Er vermute eine wesentlich höhere Dunkelziffer an Fällen, in denen Bürgerinnen und Bürger die Stolpersteine selbst wieder von Verunstaltungen befreien, ohne dies zu melden. "Es wäre natürlich schöner, wenn wir das wüssten", appelliert Graumann und bittet um Meldungen solcher Fälle an seinen Verein.
Verständnis für geringe Aufklärungsquote
An Verdächtigen mangele es nicht, sind sich Graumann und Janzen einig. "Ich habe sowieso das Gefühl, dass wir es hier in Braunschweig nur mit einer Handvoll aktiver Neonazis zu tun haben." Er selbst habe erst kürzlich den Flyer eines rechtsextremen Versandhandels im Briefkasten gehabt, der zufälligerweise genau die gezeigten Aufkleber vertreibt. "Da muss man nicht lange fabulieren, welche Personen da infrage kommen", schließt der Bündnissprecher. "Nun, es gibt schon einen gewissen Personenkreis an Menschen, die dafür infrage kommen und der Polizei auch bekannt sind", erzählt auch Graumann mit Verweis auf die Erlebnisse Janzens, bei denen es auch "immer wieder" um den gleichen Personenkreis gehe. Graumann und der Bündnissprecher äußern jedoch Verständnis dafür, dass juristisch keine Wahrscheinlichkeit zähle, sondern handfeste Beweise hermüssen. Polizeisprecherin Scherf fasst zusammen: "Da müsste tatsächlich der Beweis erfolgen, wer diese Aufkleber geklebt hat. Und nur, weil jemand zum Beispiel im Besitz dieser Aufkleber ist, heißt es ja nicht, dass die Person auch die Aufkleber auf die Steine geklebt hat. Da sind wir in der Beweispflicht."
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Eine frustrierende Arbeit
Siegfried Graumann berichtet hierzu aus einem Diskussionskreis der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit, deren Vorsitzender er ist: "Wir machen da monatlich einen Gesprächskreis, wo wir auch schon einmal einen Herren vom Staatsschutz da hatten, der hat uns geschildert, wie frustrierend die Arbeit in diesem Bereich ist. Dass man immer wieder im Dunkeln tappt und die Bevölkerung das auch gar nicht nachvollziehen kann." Diese Gesprächsrunde habe im Umfeld der Angriffe auf David Janzen stattgefunden. Auch andere Parteien beschäftigt das Thema - und die oft ergebnislosen Ermittlungen - immer wieder. So musste die SPD in der Straße "Am schwarzen Berg" in Braunschweig einen Schaukasten entfernen, da dieser immer wieder Opfer von rechts motiviertem Vandalismus geworden sei. Graumann schlussfolgert: "Letztendlich müsste man sie auf frischer Tat ertappen. Nur das wäre beweiskräftig."
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