Leipzig/Braunschweig. Nachdem das Verwaltungsgericht im Sterbehilfe-Fall dem 76-jährigen Witwer aus Braunschweig zustimmte, dass kranken Menschen in Extremfällen eine tödliche Medikation nicht verweigerte werden dürfe, gehen die Meinung der Außenstehenden deutlich auseinander.
Kritik bekam das Urteil unter anderem von Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz. Für ihn habe der Richter eine praxisferne Entscheidung getroffen. Was eine unerträgliche Lebenssituation ist, bleibe offen. Weiter sagt er: „Dies soll nun die Voraussetzung sein, um über das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte ein Selbsttötungsmittel zu erhalten. Doch Leiden ist weder objektiv messbar noch juristisch allgemeingültig zu definieren." Auch sei es ein Schlag gegendie Suizidprävention in Deutschland. „Gut, dass der Bundestag im November 2015 die geschäftsmäßige Suizidbeihilfe verboten hat. Sonst würden Sterbehelfer in Deutschland den Tod aus den Gelben Seiten mit Rückendeckung des Bundesverwaltungsgerichts organisieren können," führt Brysch fort.
„Wer soll beurteilen, ob die Leidenssituation unerträglich ist?"
Ähnlich sieht das auch die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin e.V. (DGP). Sie lehne eine solche Freigabe in Einzelfällen klar ab. Schon der zugrunde liegende Fall zeige deutlich die Probleme solcher Regelungen auf. Dazu erklärt Prof. Dr. Lukas Radbruch, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin: „Die querschnittsgelähmte Patientin hätte jederzeit die Beendigung der künstlichen Beatmung - unter angemessener Sedierung zur Symptomkontrolle - einfordern und damit das Sterben zulassen können. Warum war hier die Not so groß, dass ein tödliches Medikament eingefordert wurde?“ Das Urteil lasse zudem viele Fragen unbeantwortet.Wer soll beurteilen, ob die Leidenssituation unerträglich ist und ob die Betroffenen ihre Entscheidung frei und ernsthaft getroffen haben, heißt es in der Pressemitteilung der DGP.
Unterstützung aus der Politik
Unterstützung bekommt das Urteil von der SPD-Bundestagsabgeordneten Carola Reimann. Für sie sei esein wichtiges Signal für das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht, das noch in diesem Jahr abgeschlossen werden soll. Die Selbstbestimmung von Patienten am Ende ihres Lebens werde damit gestärkt. Das Urteil mache noch einmal deutlich, dass niemand anderes als die Person selbst darüber bestimmen kann, wie ein würdevolles Ende aussieht. Es berufe sich auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht. Das Persönlichkeitsrecht umfasse auch, zu entscheiden, wie man sterben möchte. „Kein Politiker, keine Kirche und keine medizinische Disziplin sollte sich das Recht herausnehmen, würdevolles Sterben zu definieren. Das kann nur der Sterbende sagen", erklärt Carola Reimann.„Meine Motivation war immer, zu verhindern, dass sich verzweifelte Menschen an anonyme Sterbehilfevereine wenden müssen. Ich will, dass Menschen in großer Not sich ihrem persönlichem Umfeld und ihrem Arzt anvertrauen können, weil er es ist, der sie fachlich am besten beraten kann."
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