Berlin. Die Zahl der Opfer häuslicher Gewalt in Deutschland hat im vergangenen Jahr erheblich zugenommen. Wie Abfragen der "Welt" bei den Innenministerien und Landeskriminalämtern der 16 Bundesländer ergaben, wurden bundesweit mehr als 255.000 Opfer von der Polizei registriert. Das entspricht einem Anstieg von etwa sieben Prozent gegenüber dem Jahr 2022. Als Täter werden Partner, Ex-Partner und Familienangehörige erfasst. Zwei Drittel der Opfer sind Frauen. Die Dunkelziffer ist hoch, weil sich viele Betroffene nicht trauen, Anzeige zu erstatten.
Am Donnerstag stellen die Ministerinnen Nancy Faeser (SPD, Innen) und Lisa Paus (Grüne, Familie) mit dem Bundeskriminalamt (BKA) das Lagebild für das Jahr 2023 in Berlin vor. Danach sind in allen 16 Bundesländern mehr Opfer von häuslicher Gewalt registriert worden. Die Daten der Länder fließen in das Bundeslagebild ein, das vom BKA erstellt wird. Unter häusliche Gewalt fallen etwa Mord, Totschlag, Vergewaltigung und Freiheitsberaubung. Größtenteils handelt es sich dem Lagebild zufolge bei den verübten Taten aber um Körperverletzung, Bedrohung, Nötigung und Stalking. Zur häuslichen Gewalt gehören sowohl die sogenannte "Partnerschaftsgewalt" (Partner, Ex-Partner, Lebensgemeinschaften) als auch die "innerfamiliäre Gewalt" (Verwandte).
Beim Vergleich der Länder verzeichnet das Land Bremen/Bremerhaven mit 34,6 Prozent (3.791 Opfer) den stärksten Zuwachs. Dahinter kommen Sachsen-Anhalt (plus 12,4 Prozent, 8.238 Opfer) und Baden-Württemberg (plus 9,8 Prozent, 16.436 Opfer). Es folgen der Stadtstaat Hamburg (plus 9,4 Prozent, 7.978 Opfer), Brandenburg (plus 8,9 Prozent, 6.673 Opfer), Berlin (plus 8,8 Prozent, 18.784 Opfer) und Niedersachsen (plus 8,7 Prozent, 26.891 Opfer) mit überdurchschnittlich hohen Werten. Den geringsten Anstieg bei der häuslichen Gewalt haben Thüringen (plus 1,1 Prozent, 6.551 Opfer), das Saarland (1,4 Prozent, 3.224 Opfer) und Rheinland-Pfalz (plus 1,7 Prozent, 13.810 Opfer) erfasst.
Die Präsidentin des Deutschen Caritasverbandes, Eva Maria Welskop-Deffaa, sagte der "Welt": "Häusliche Gewalt hat viele Gesichter: Frauen und Männer aus allen gesellschaftlichen Schichten sind Opfer gewalttätiger Partner. Vergewaltigung in der Paarbeziehung ist so alltäglich wie Schläge oder Misshandlung mit Gegenständen." Die Täter seien häufig alkoholisiert. Auch hohe Mietkosten und der knappe Wohnungsmarkt trügen dazu bei, häusliche Gewalt zu "verfestigen". Maria Loheide, Vorständin Sozialpolitik bei der Diakonie, sagte der "Welt": "Der erneute Anstieg von häuslicher Gewalt ist erschreckend, kommt aber nicht unerwartet." Nötig sei jetzt ein "Gewalthilfegesetz, das allen von Gewalt betroffenen Frauen einen Rechtsanspruch auf Schutz und Beratung garantiert". Denn bisher sei Gewaltschutz eine freiwillige Leistung einerseits der Kommunen. "Und andererseits müssen die Opfer von Gewalt teilweise einen Eigenanteil von bis zu 50 Euro pro Tag für den Aufenthalt in einem Frauenhaus zahlen", sagte Loheide.
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