Berlin / Region. Der Bundestag hat am gestrigen Mittwochnachmittag das vierte Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Trageweite - die sogenannte "Corona-Notbremse" - beschlossen. Der Bundesrat hat am heutigen Donnerstag ebenfalls zugestimmt. In einer ersten Stellungnahme bekräftigt der Braunschweiger CDU-Bundestagsabgeordnete Carsten Müller, dass Modellprojekte zur Öffnung von Betrieben weiterhin möglich bleiben.
Wie aus der namentlichen Abstimmung im Bundestag hervorgeht, stimmten von den 709 anwesenden Parlamentariern 342 Abgeordnete für den Gesetzesentwurf, 250 stimmten dagegen und 64 Parlamentarier enthielten sich der Stimme. 53 Stimmen wurden nicht abgegeben. Durch die Änderung am Infektionsschutzgesetz kann der Bund durch die einheitliche Regelung künftig Schließungen und Ausgangssperren anordnen. Im März hatten die Regierungschefs aus Bund und Ländern bei einer Konferenz beschlossen, ab einer Inzidenz von 100 auf kommunaler Ebene einheitliche Maßnahmen zu ergreifen. Nicht alle Länder haben sich daran gehalten.
Drastische Einschnitte schon ab Inzidenz von 100
Die "Bundes-Notbremse" nimmt den Ländern diesen Spielraum beim Erlassen von Maßnahmen. Ab einer Inzidenz von 100 an drei aufeinanderfolgenden Tagen treten mit dem neuen Gesetz automatisch erweiterte Maßnahmen in Kraft. Dazu gehören eine nächtliche Ausgangssperre von 22 bis 5 Uhr. Aktivitäten alleine im Freien wie beispielsweise Spaziergänge und Joggen sollen zwischen 22 und 0 Uhr weiterhin erlaubt sein. Treffen sind dann nur noch mit einer Person aus einem fremden Haushalt erlaubt, Kinder unter 14 Jahren sind ausgenommen. Ab einer Inzidenz von 100 müssen die Schulen außerdem in den Wechselunterricht gehen. Kritik gab es im Vorfeld zur kompletten Schließung von Schulen und Kitas (Szenario C) erst ab einer Inzidenz von 200. Dieser Wert wurde auf 165 herabgesetzt. Ausnahmen für Förderschulen und Abschlussklassen sind jedoch möglich. parallel gilt an den Schulen für den Präsenzunterricht die Testpflicht.
Arbeit und Einzelhandel
Der Lebensmittel-, Drogerie-, Blumen- und Buchhandel bleibt weiterhin geöffnet. In allen anderen Bereichen müssen Kundinnen und Kunden für den Einlass künftig einen negativen Corona-Schnelltest vorweisen und einen Termin gebucht haben. Viele Einzelhändler regeln das aber inzwischen über Sofort-Termine. Ab einer Inzidenz von 150 wäre mit der Bundes-Notbremse dann nur noch die Abholung von Waren nach Vorbestellung, sogenanntes "Click & Collect" möglich.
Die Pflicht zum Homeoffice würde mit dem neuen Gesetz ebenfalls im Infektionsschutzgesetz festgeschrieben. Betriebe müssen ihren Arbeitnehmern demnach Homeoffice anbieten, sofern dem keine wichtigen betrieblichen Gründe entgegenstehen.
"Modellöffnungen" bleiben möglich
Aufgrund der geplanten Modellöffnungen hat die Debatte um das Infektionsschutzgesetz nicht nur bei der lokalen Wirtschaft, sondern auch bei der Stadt Braunschweig für Ärger gesorgt (regionalHeute.de berichtete). Der Braunschweiger CDU-Bundestagsabgeordnete Carsten Müller bekräftigt jedoch, dass solche Modellprojekte auch mit der Gesetzesänderung weiter möglich ein werden: "Das unterstütze und begrüße ich ausdrücklich." Müller erklärt: "Dem Gesetzentwurf habe ich heute zugestimmt, weil dringender Handlungsbedarf besteht. Die Infektionslage der Corona-Pandemie hat in den letzten Wochen deutlich an Dynamik gewonnen und muss gebrochen werden." Er sei sich bewusst, dass Ausgangsbeschränkungen ein "massiver Eingriff in Bürgerrechte" seien: "Die Entscheidung fiel mir nicht leicht. Zahlreiche Hinweise wurden in den Beratungen noch berücksichtigt. So wird für Einzelpersonen der Aufenthalt außerhalb von Wohnung oder Unterkunft zwischen 22:00 und 24:00 Uhr zum Zwecke der körperlichen Betätigung möglich sein." Dass Ausgangsbeschränkungen wirken, zeige sich laut Müller an Beispielen aus Portugal und England: "Heute profitieren beide Länder von einer strikten Umsetzung konsequenter Maßnahmen."
Ausgangssperre wirkungslos?
Ander äußert sich der ehemalige Peiner Kreisrat Micheal Gemba, der jetzt als Kandidat der "Freien Wähler" in den Bundestag will. Die geplanten Maßnahmen halte er für möglicherweise verfassungswidrig und wirkungslos: "Die vom Bund geplanten Maßnahmen tragen mit großer Wahrscheinlichkeit nicht zur Reduktion der Inzidenzen bei und führen zu weiteren psychischen und wirtschaftlichen Belastungen der Menschen", prognostiziert Gemba und führt weiter aus: "Die Menschen hierzulande haben unter dem bisherigen Entscheidungs- und Kompetenzwirrwarr der Bundesregierung bereits genug zu leiden." Die Verlagerung von Corona-Befugnissen nach Berlin widerspricht seiner Meinung auch dem Grundsatz der Subsidiarität, wonach der Bund nur dann regulativ eingreifen darf, wenn die Möglichkeit der Länder und Kommunen nicht ausreichen, die Pandemielage zu lösen.
"Viele Kommunen haben bewiesen, dass sie in der Lage sind mit Inzidenzen auch über Werten von 200 zurechtzukommen", kommentiert Gemba, gibt aber auch zu bedenken", der Landkreis Peine gehöre bisher noch nicht dazu, denn trotz der von ihm jüngst verfügten Ausgangssperre steigen die Inzidenzwerte. Da muss besser nachgesteuert werden, ohne die Menschen einzusperren. Auch anderswo bewirken Ausgangssperren keine Reduzierung der Inzidenzen. Selbst das Robert Koch-Institut kann keine zweifelsfreie Aussage über die Verhältnismäßigkeit dazu benennen."
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