Enrico Dunkel erfüllt das Alte Haus mit Leben

von Andreas Molau




Auf der Alten Knochenhauerstraße kocht und zaubert Enrico Dunkel seit mehr als zehn Jahren und erweckt das Alte Haus täglich mit neuem Leben.


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Vom Eichsfeld, dem östlichen Teil, an den Timmendorfer Strand, Lübeck, dann kreuz und quer durch Deutschland, nach Frankreich mit einer kurzen Stippvisite auf Mallorca. Entweder man ist beim Zirkus mit so einer Biografie. Oder in der Gastronomie. Enrico Dunkel hat sich für die Küche entschieden. Obwohl das längst von Anfang an nicht klar gewesen war. Wenn er mit der ruhigen, hellen Stimme seine Geschichte erzählt, kann man nur staunen. Immer wieder lächelt Enrico Dunkel, wenn er zwischen den Stationen seines bisherigen Lebens innehält. Dass er dass, was er macht, gern macht, spürt man bei jeder Silbe. Und es ist viel, was der Chef und Koch des Alten Hauses bisher auf der Alten Knochenhauerstraße da auf die Beine gestellt hat. Genug für zwei Leben. Da ist die Leidenschaft für die Kunst, für Formen und Farben, die Leidenschaft für Musik, die Stimmungen und den Rhythmus und die Leidenschaft fürs Kochen. Drei unterschiedliche Bereiche auf den ersten Blick, und am Ende laufen sie doch auf das Eine hinaus: die Lust am kreativen Tun. Dinge entstehen zu lassen und für einen Moment der Freude und des Glücks sorgen.

Was bestimmt das Bewusstsein?

In der einstigen DDR, wo Enrico Dunkel seine Jugendjahre verbrachte, ging man davon aus, dass das Sein das Bewusstsein bestimme. Das war ein Staatstraum: den neuen, sozialistischen Menschen zu kreieren, den Arbeiter oder Bauern in einem Staat mit dem utopischen Ziel der Gleichheit und des materiellen Wohlstands. Staatspartei, Staatsjugend, Uniformen – als Kleidung und Sprache –, ein gelenkter Lebensweg sollte den guten DDR-Bürger schaffen. Das Sein bestimmt das Bewusstsein? »Meine Heimat im östlichen Eichsfeld war so eine Art gallisches Dorf in diesem Staat«, schmunzelt Dunkel. Hier habe man in Ruhe aufwachsen können. Der Konformitätsdruck hatte es in dem traditionell katholischen Landstrich schwer. Und bei Enrico Dunkel erst recht. Er habe sich stets bemüht, er selbst zu sein, sich nicht vereinnahmen zu lassen. Ob es ein selbst geschnittenes Loch in der neuen Jeans war, mit dem er sich abheben konnte, gefärbte Haare oder der Musikgeschmack: Beim Man-Selbst-Sein ist immer und überall Ideenreichtum gefragt. Und über den verfügt Enrico Dunkel. Statt erbaulicher Parteilieder hörte er lieber Depeche Mode und träumte vom Westen.

Die Grenze ist offen

1989 - 90 war es endlich so weit. Niemand hatte daran zu denken oder zu träumen gewagt. Diese Grenze sollte für die Ewigkeit sein. Aber die Ewigkeit gibt es in der Geschichte nicht. Stets sind es Sehnsüchte, die die Enge früher oder später sprengen. Als Erstes ging die Grenze nach Ungarn und in die Tschechei auf. Enrico Dunkel fuhr mit Freunden in den Westen. Und es war ihm gleich klar, dass er bleiben würde. Ein neues Leben. Noch zu DDR-Zeiten hatte er gelernt, sich nicht zufriedenzugeben. Als Wehrdienstverweigerer war er schon ein Exot im »Arbeiter- und Bauernstaat«. Die Lehre, ungeliebt. Statt kreativer Arbeit kam das dran, was naheliegend war. Maschinenbau. »Man konnte nicht einfach nach Berlin gehen«, erinnert er sich. Dem jungen Stift war das nicht genug. Er hatte bereits mit 14 Jahren in einer Fleischerei gejobt, um sein Taschengeld aufzubessern. Einer der wenigen Privaten in der Region sei das gewesen. »Hier war der Ton anders als in den staatlichen Betrieben«, berichtet er. Zunächst war es gar nicht um die spezielle Tätigkeit dort gegangen. Sondern nur darum, sich ein bisschen dazuzuverdienen. Den Hof kehren oder Auto waschen. Das war egal. Hauptsache Arbeit. Hauptsache Unabhängigkeit.


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Die Berufung entdecken

Aus der Aushilfe wurde Beruf. Gelegentlich vergisst man, dass das mit Berufung zu tun hat. Die Berufung prägt das Leben. Und Enrico Dunkel ist ein gutes »Gegenbeispiel« für ideologische Irrtümer, die es den Menschen in allen Systemen schwer machen. Denn es ist tatsächlich das Bewusstsein, das das Sein bestimmt. Nach der Lehre arbeitete er lieber als Ungelernter in der Fleischerei als als Maschinenbauer. Fleisch auslösen, Wurst machen – Enrico Dunkel hätte sich wahrscheinlich nicht träumen lassen, was alles auf ihn zukommen sollte. Die Übersiedlung in die Bundesrepublik. Zunächst an den Timmendorfer Strand und später quer durch Deutschland und über die Grenzen hinaus bis hin auf die Urlaubsinsel Mallorca. An der Ostsee, auf der ersten Station, wohnte sein Onkel. Ein Zeitungsmann mit der Vorliebe für Essen und Kochen. Er hatte die Idee, ob der gastronomische Bereich nicht etwas für den inzwischen 19-Jährigen sein könnte. Und nachdem es mit dem Lehrberuf in der neuen Heimat nicht geklappt hatte, probierte Enrico Dunkel diesen Weg. Eine richtige Entscheidung, wie sich herausstellen sollte. In Lübeck begann die Kochlaufbahn im Hotel Jensen. Und auf dem Weiten des kulinarischen Meers kreuzte er dann durch die Weltgeschichte, bis er nun seit über zehn Jahren selbstständig und sesshaft geworden ist. Braunschweig bot sich als idealer Standort. Zwischen der alten Heimat, dem Eichsfeld und Hamburg, wo sein Herz an den Kiez-Kickern des 1. FC St. Pauli hängt.

Mit Volldampf voraus

Von Anfang an hat Enrico Dunkel Volldampf gegeben. Mehr als 100 Prozent. Es wird nur wenige Lehrlinge geben, die in ihrem Urlaub freiwillig Praktika absolvieren. Der erste Lehrherr dürfte nicht schlecht gestaunt haben, als sein Zögling darum bat, in der freien Zeit, in einem anderen Betrieb arbeiten zu dürfen. Das erste Mal war es ein Fischrestaurant, was dem angehenden Koch völlig neue Perspektiven eröffnete. »Ich habe gesehen, das läuft ganz anders als in meinem Lehrbetrieb. Und das war für mich ungeheuer spannend und anregend«, bekennt er. Von da an verlässt ihn dieser Drang nicht, kulinarisch zu probieren und experimentieren. Eine Eigenschaft, die er bei anderen Dingen schon als Kind besessen habe. Bis heute vermeidet es Enrico Dunkel, in einen Trott der Wiederholung zu fallen. »Ich erneuere die Karte immer wieder. Es ist mir langweilig, stets das Gleiche zubereiten zu müssen«, erklärt er. Im Übrigen sei die Wandlung notwendig: »Heute ist der Geschmack ganz anders als vor zwanzig Jahren und verlangt neue Wege im Kochprozess.«

Kochen als Teil des künstlerischen Schaffens


Foto: Hendrik Rasehorn

Das Alte Haus, Braunschweig, Inhaber und Koch Enrico Dunkel. [/image] Wenn man sich das Restaurant anschaut, ahnt man, warum das der Fall ist. Kochen ist für den Restaurantchef Teil eines künstlerischen Schaffens. Beispiele für diese Herangehensweise sind rasch gefunden: Im Restaurant hat er bei der letzten Renovierung eine alte Mauer freilegen lassen. Weil die Steine, die nach dem Krieg zum Wiederaufbau benutzt wurden, zu ungleichmäßig waren, ließ er nur partiell den Putz abschlagen, fügte Farbeffekte in den verbliebenen Putz, sodass die Wand jetzt wie eine gelungene Installation wirkt. Ob er als DJ Platten in Clubs auflegt, eine andere Passion, der er nachhängt, ein Bild malt oder ob er ein Menü komponiert. Enrico Dunkel lässt sich inspirieren und versucht aus Bestehendem Neues zu schaffen. Da seien etwa Geschmackseindrücke eines Weines, die auf Entsprechungen in einem Menü deuteten und ihn auf eine bisher unbekannte Rezeptfährte lockten. »Natürlich kann man nichts völlig Neues machen. Aber man kann dem Alten seinen Stempel aufdrücken«, erklärt er. Welcher Stempel das sei, darauf will sich Enrico Dunkel nicht festlegen.

Kochen aus dem Bauch

Er koche aus dem Bauch. Die Qualität und Aromen der Zutaten bestimmen den weiteren Weg der Verarbeitung. So die Theorie. Dabei nimmt der Koch alle Einflüsse auf. Nationale und internationale. Die hat er sich auf dem Lernweg mit viel Energie angeeignet. Die Liste der Küchen, in denen er gearbeitet hat, macht Staunen. Der legendäre Dieter Müller ist nur einer dieser Namen von Weltruf. Enrico Dunkel bekennt, es sei ihm nie um das große Geld gegangen. Was sonst wie ein Klischee wirken würde, nimmt sich im Kontext seines Lebensweges als authentisches Bekenntnis aus. Denn egal, ob er im Elsass arbeitete oder im Rheingau. Neben seinem normalen Job machte er immer wieder Praktika in Sterneküchen. Ganz einfach nur, um zu lernen. Wenn er merkt, dass seine Kochkunst auf einen Resonanzboden trifft, dann freue ihn das. Und da kommt es auch schon mal vor, dass ein Zwischengang als Ausdruck dieser Freude aufs Haus geht. Betriebswirtschaftliche Rechenkunst ist eine Disziplin, die man beherrschen muss. Enrico Dunkel macht seine Buchführung selbst. Aber sie ist nicht bestimmend, wenn er vor dem Herd steht.

Kommunikation bei Tisch

Die Jagd nach den großen Trophäen leitet die Arbeit ebenfalls nicht. Wer bestimmt, ob etwas gut ist oder schlecht? Die Auszeichnung und Autorität eines Dritten oder jeder selbst? Mündigkeit für Geschmack. Und was für den einen gut ist, muss das für den anderen längst nicht sein. An diese Themen könnte man eine ganze philosophische Abhandlung verwenden. Oder man öffnet die Sinne und genießt. »Für mich ist es inzwischen keine Frage mehr, wer eigentlich die wirklichen Sterne vergibt. Es ist der Gast, der uns über Jahre begleitet. Kulinarische Entdecker, die vielleicht das erste Mal ein richtiges Menü zu genießen lernen. Der Berufstester, der nur einmal vorbeikommt und eine punktuelle Probe kostet, hat sicher seine Berechtigung. Aber er ist für mich nicht mehr so entscheidend«, sagt er. Und gerade der Kontakt mit den Gästen sei ihm wichtig. Enrico Dunkel rauscht nicht nur sporadisch und am Ende eines Menüs in den Gastraum. Er nimmt sich gern die Zeit, einen Gang zu erklären und mit dem Gast zu kommunizieren.

Keine Schranken fürs Kulinarische

Er möchte Schranken für gutes Essen abbauen. »Bei mir kann man lachen und sich freuen, ganz fein kommen, aber auch salopp. Es geht darum, für einen Augenblick abzuschalten und zu genießen«, so Dunkel. Dabei sind ihm Inhalt und Form gleichermaßen wichtig. Wie sich das für Kunst gehört. Zum Abschluss des Gesprächs holt Enrico Dunkel zwei Beispiele aus der Küche, die das illustrieren. Einen grünen Porzellanapfel, in dem er seinen Bratapfel serviert hat, so wie einen Teller mit Goldrand und einem goldenen Ei, das Platz für ein besonderes Dessert gibt. Enrico Dunkel möchte seine Gäste überraschen und verführen. Und wenn es nur ein kleiner Wortwitz auf der aktuellen Karte ist: »Stör: ›Kaviar stört ihn nicht‹.« Ihm selbst bereitet all das augenscheinlich große Freude. Das Gespräch ist zu Ende, auch wenn man das Gefühl hat, dass längst nicht alles gesagt ist. Wir sprechen über Fotos und Enrico Dunkel denkt einen Augenblick nach.

Die Fortsetzung der Geschichte

Es sei das Beste, wenn ich noch einmal abends käme. »Das ist sowieso die Atmosphäre, in der man sein Restaurant erleben müsse. Und außerdem sei da die Mannschaft da. »Ich habe nur einen Kopf und zwei Hände. Und die Kräfte aus Küche und Service sind für mich ein Stück Familie, ohne die das ganze Projekt nicht liefe«, erzählt er. Sie müssten also mit aufs Bild. Und bei der Gelegenheit könne ich selbst probieren, was er in seinem Alten Haus unter Kochen verstehe. Nach dieser Geschichte vom Eichsfeld, dem östlichen Teil, an den Timmendorfer Strand, Lübeck, dann kreuz und quer durch Deutschland, nach Frankreich mit einer kurzen Stippvisite auf Mallorca, ist das eine Fortsetzung, auf die ich mehr als neugierig bin. Das Alte Haus Alte Knochenhauerstraße 11 38100 Braunschweig Telefon: 0531 6180100


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