Berlin. Der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, hält einen Verbotsantrag gegen die AfD derzeit für falsch. "Das würde der AfD nur in die Hände spielen", sagte Papier dem "Tagesspiegel" (Samstagausgabe).
Artikel 21 Absatz 2 des Grundgesetzes, der das Parteiverbot regelt, setze hohe Hürden. Für ein Parteiverbot müssten die grundlegenden Prinzipien des Rechtsstaates und der Demokratie angegriffen werden, und zwar in einer aggressiv-kämpferischen Art, etwa in Form eines mehr oder weniger gewaltsamen Umsturzes. Zudem müsste die Partei von ihrem Gewicht her in der Lage sein, diese grundlegende Werteentscheidung der Verfassung zu beseitigen.
Auch wenn die AfD nach Einschätzung Papiers im Gegensatz zur NPD dieses Gewicht hätte, sieht er einen Verbotsantrag kritisch. Man sollte ihn nur dann stellen, "wenn man hinreichende Informationen hat, um alle die genannten Punkte wirklich zu belegen und man mit großer Wahrscheinlichkeit von einem Erfolg ausgehen kann", sagte Papier, der von 2002 bis 2010 das Bundesverfassungsgericht geleitet hat. "Nach meinem Informationsstand halte ich einen Verbotsantrag derzeit für falsch."
Statt eines Verbotsverfahrens sieht Papier die gemäßigten Volksparteien der demokratischen Mitte in der Pflicht. Sie müssten Wähler zurückgewinnen. "Die AfD hat Anhänger aus dem rechtsextremen Spektrum, aber viele ihrer Wähler sind keine Rechtsextremisten", sagte er. "Sie haben ihre politische Heimat verloren. Die haben früher etwa Union gewählt oder sogar die Linke."
Papier kritisierte, dass das "Ansehen der großen Volksparteien, die diesen Staat mit aufgebaut haben, verfällt". Die Anliegen, die Probleme der Bevölkerung müssten von den Parteien aufgegriffen werden. "Da sehe ich seit Jahren erhebliche Defizite. Die Menschen fühlen sich zu einem großen Teil nicht mehr hinreichend vertreten", kritisiert das CSU-Mitglied.
Ein Beispiel sei der Umgang mit Migration und Asylpolitik. "Seit etwa zehn Jahren gibt es gravierende Probleme, die nicht gelöst worden sind", so Papier. Die etablierten Parteien hätten dieses Thema schlicht zur Seite geschoben. "Durch den Druck des Anwachsens extremistischer Parteien ist jetzt hier bei uns und in der Europäischen Union Bewegung in die Sache gekommen", sagte er.
Eine echte lösungsorientierte Problembewältigung könne er in der Politik aber noch immer nicht erkennen. "Die schleichende Erosion unserer Demokratie beruht auf dem eklatanten Versagen der Volksparteien als Mittler zwischen Bürgerschaft und politischer Führung", so Papier.
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