Falsche Tierliebe – Igel im Haus und Frösche im Eisschrank


Die Liebe zum Tier ist schön und wichtig. Aber ganz oft kann dadurch auch Leid für das Tier entstehen. Wie es richtig geht, zeigt der NABU. Symbolfoto: Archiv
Die Liebe zum Tier ist schön und wichtig. Aber ganz oft kann dadurch auch Leid für das Tier entstehen. Wie es richtig geht, zeigt der NABU. Symbolfoto: Archiv | Foto: Thorsten Raedlein

Region. Der NABU Niedersachsen, insbesondere das NABU-Artenschutzzentrum Leiferde (Landkreis Gifhorn), aber auch seine Außenstellen und Gruppen, werden infolge falsch verstandener Tierliebe durch vermehrt „eingesammelte“ Wildtiere geradezu „geflutet". Das berichtet der NABU in einer Pressemitteilung.


Dies gilt demnach sowohl für scheinbar verlassen geglaubte Jungvögel, die mitunter sogar aus Nestern genommen werden, als auch für Igel, die bereits im Hochsommer angesichts eines vermuteten „Wintereinbruchs“ aus der Wildbahn entnommen werden. Bis hin zu mit Keschern eingefangenen Schwalben und Fröschen im Eisschrank oder Marienkäfern im Kissenbezug. Hinzu kommt die ungeheure Zahl der Jungvögel, die infolge des dramatischen Rückgangs der Insekten aus Nahrungsmangel in der Station landen.

Bärbel Rogoschik, Leiterin des NABU-Artenschutzzentrums, und Rüdiger Wohlers vom NABU-Landesverband, gaben nun Auskunft über diese Entwicklung sowie den sich dramatisch verschärfenden, alarmierenden Trend des voreiligen ‚Tierschutzes‘. „Wesentlicher Auslöser für solche Situation ist die zunehmende Naturentfremdung“, so Rüdiger Wohlers. „In der Regel handeln die Menschen in dem Willen, etwas Gutes tun zu wollen – das sich dann mangels einfachsten Wissens oft ins Gegenteil umkehrt.“

Jungvögel sindbesonders gefährdet


Prominente Opfer sind vor allem Jungvögel. Diese werden aufgesammelt – stellenweise sogar direkt aus Hecken oder Nistkästen heraus – und mit nach Hause genommen oder sollen vom Artenschutzzentrum aufgenommen werden. „Viele ‚Tierfreunde‘ reagieren verärgert, wenn wir die Aufnahme verweigern“, erklärt Bärbel Rogoschik. „Aber würden wir jedes Tier aufnehmen, das eigentlich keiner Hilfe bedurft hätte, ehe es von jemandem aufgesammelt wurde, könnten wir uns nicht mehr für die tatsächlich in Not geratenen Tiere einsetzen.“ Doch nicht alle Tiere werden aufgelesen. „Es gab auch Situationen, in denen flügge Jungvögel immer wieder aufs Neue in den Nistkasten ‚gestopft‘ worden sind“, berichtet Rüdiger Wohlers, „weil sie dort ja ‚hingehören‘“. Nur durch die Aufklärung des erfahrenen NABU-Mitarbeiters konnte vermieden werden, dass den jungen Vögeln nichts passiert ist.

Igel dürfen nicht ins Haus geholt werden


Neben Jungvögeln trifft es auch Igel besonders häufig. Seit vielen Jahren raten Wildbiologen und Naturschützer davon ab, Igel im Winter ins Haus zu nehmen – was naturschutzrechtlich auch verboten ist, da sie geschützte Wildtiere sind. Nur in extremen Notlagen (verletzte oder geschwächte Tiere) dürfen sie vorübergehend in Pflegschaft genommen werden. Dann sollten sie außerdem einem Tierarzt vorgestellt werden und möglichst einer anerkannten Aufnahmeeinrichtung übergeben werden, welche die Igel dann wieder in die Freiheit entlässt, sobald sie gesund sind. Doch immer noch hält sich in Teilen der Bevölkerung der Irrglaube, jeder im Herbst herumlaufende Igel sei ‚todgeweiht‘ und müsse unbedingt eingesammelt werden – was für viele Tiere schlussendlich den Tod bedeutet. Auch hier stoßen die NABU-Mitarbeiter auf viel Unverständnis und müssen sich mit aggressiven Telefonanrufen oder Besuchen auseinandersetzen.

Alle sind gefragt


Der NABU fordert, bei offensichtlichen Verletzungen zu handeln. Befindet sich beispielsweise ein Jungtier auf einer Straße (nicht auf Autobahnen) , sollte das Tier mit Handschuhen in die Nähe ins Grüne gesetzt werden. Unverletzte Tiere müssen auf jeden Fall in Ruhe gelassen werden. Verhalten sich diese dennoch auffällig, sollten sie zuerst aus sicherer Entfernung – mindestens zehn Meter, je nach Tierart – beobachtet werden. Wer sich unsicher ist, kann dem Artenschutzzentrum Leiferde auch ein Foto der Situation schicken, damit die Expertinnen und Experten sich diese anschauen und einschätzen können.

Weiterhin fordert der NABU, verstärkt auf Umweltbildung zu setzen, um die natürlichen Zusammenhänge der Natur zu vermitteln. Alle können ihren Beitrag leisten und mögliche Unfallursachen für Tiere beseitigen: Müll nicht in der freien Landschaft entsorgen, Netze nicht über Sträucher und Bäume im Garten spannen, Kellerschächte überdecken oder große Fensterscheiben mit Aufklebern und Rollos versehen.

Kuriose Vorfälle falsch verstandener Tierliebe


Abseits von Jungvögeln und Igeln kann Rüdiger Wohlers mittlerweile von zahlreichen kuriosen Vorfällen berichten, bei denen vermeintliche Tierschutz-Einsätze ad absurdum geführt wurden. Dazu gehören zum Beispiel mit Keschern eingefangene Schwalben, die in einer Scheune festgehalten wurden, damit sie „nicht gefressen werden“. Ein anderes Beispiel ist die Aufnahme von Fröschen, damit diese „nicht im Modder überwintern müssen“, dafür aber in den Eisschrank gelegt wurden, was die Tiere kaum überlebt haben dürften. Auch besonders kleine Tiere sind nicht vor dem höchst motivierten Einsatz mancher Tierfreunde gefeit: Damit Marienkäfer es im Herbst mollig warm haben, wurden sie aus dem Garten gesammelt und in einem Kissenbezug „zum Aufwärmen ans Fußende“ gelegt – doch sobald die Käfer „anfingen stärker zu riechen, solle der NABU diese doch bitte abholen“.

„Schon etwas länger her, aber noch gut im Gedächtnis“, erinnert sich Wohlers an ein weiteres Kuriosum, das sich im Jahr 2001 ereignete, nachdem der erste „Harry Potter“-Film in den Kinos erschien. „In dieser Zeit konnten vermehrt Anrufe von Eltern und Großeltern verzeichnet werden, die ihren Kindern und Enkeln zu Weihnachten eine Eule schenken wollten. Da konnten wir zum Glück aufklären, dass es solche Eulen nur als Stofftiere zu erwerben gibt.“

Ohnehin werden Tiere aus dem Garten schnell als hilflos oder schutzbedürftig eingeschätzt. Rüdiger Wohlers erinnert sich an einen Fall, in dem ein Eichhörnchen des heimischen Grundstückes eingefangen und in die Werkstatt gesperrt worden ist. „Ich wurde nach Eichhörnchenfutter gefragt, das macht einen natürlich stutzig“, erzählt Wohlers. „Auf Nachfrage erfuhr ich von dem eingefangenen Eichhörnchen, das ‚ordentlich rappelte und schon einiges umgeworfen hätte‘. Das sei aber besser als im Garten, hieß es, ‚weil hier so viele Katzen rumlaufen‘. Das Tier, wohl kurz vor dem Wahnsinn, wurde unmittelbar nach dem Anruf freigelassen“, ergänzt Wohlers erleichtert.

Nicht immer gibt es ein 'Happy End'


Doch nicht immer finden solche Geschichten ein gutes Ende. In nicht wenigen Fällen erreichen Rüdiger Wohlers auch Anrufe, in denen kaum Hilfe für die betroffenen Tiere geleistet werden kann. „Uns erreichen auch direkte Anfragen, ob ein Tier getötet werden dürfe“, so Wohlers. „Manchmal wird gar nicht klar, um welches Tier es sich dabei handelt, vor allem wenn die Anrufenden sehr aufgebracht sind.“ So wurde der Mann einer Anruferin wohl gebissen – doch von welchem Tier oder wie schlimm, konnte nicht in Erfahrung gebracht werden. „Die einzige Aussage lautete nur ‚darf ich’s totmachen?‘ bis die Anruferin nach wenigen Nachfragen schließlich ‚jetzt mach‘ ich’s tot‘ ausrief und auflegte“, so Wohlers bekümmert.

Weitere Informationen und Tipps unter: www.nabuzentrum-leiferde.de/tierische-notfälle


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