Geldautomatensprenger flieht aus Haft: Wie konnte es dazu kommen?

Nachdem ein verurteilter Geldautomatensprenger fliehen konnte, tauchten einige Fragen auf. Das Justizministerium erklärt, wie es zu der Flucht kommen konnte und warum lediglich ein Seelsorger bei dem Ausflug anwesend war.

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Symbolfoto | Foto: Pixabay

Wolfenbüttel. Am 5. Februar ist einem zu neun Jahren Haft verurteilter Mann während eines Ausflugs die Flucht gelungen. Der Mann saß wegen mehrfacher Sprengungen von Geldautomaten in der Region in der JVA Wolfenbüttel ein. Doch wie konnte der 34-Jährige überhaupt fliehen? regionalHeute.hat beim Niedersächsischen Justizministerium nachgefragt.



Der heute 34-jährige Türke wurde im April 2019 vom Landgericht Braunschweig wegen vorsätzlichen Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion in 16 Fällen in Tateinheit mit Sachbeschädigung und Diebstahl - wobei es in zwei Fällen des Diebstahls beim Versuch geblieben ist - zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt. Zwei Jahre davon hatte er abgesessen, erst am 27. Juli 2029 sollte er entlassen werden. Doch nun gelang ihm die Flucht. Nach einem Gottesdienst, den er gemeinsam mit fünf weiteren Gefangenen und nur in Begleitung eines Seelsorgers der JVA Wolfenbüttel besucht hatte. Im Anschluss an den Gottesdienst nahm die Gruppe an einem gemeinsamen Kaffeetrinken mit den übrigen Kirchgängern teil. Den unbeaufsichtigten Gang zur Toilette nutze der 34-Jährige zur Flucht.

Sechs Gefangene und ein Pfarrer


Ein Mitarbeiter der JVA war bei dem Ausflug nicht anwesend, heißt es aus dem Ministerium. Die sechs Gefangenen wurden während des Gottesdienstes und dem anschließenden Treffen lediglich von dem Seelsorger begleitet. Im Rahmen der Gewährung von Ausgängen sei es zum Einstieg in diese Art der Lockerung des Vollzuges nicht unüblich, dass die Gefangenen von Bezugspersonen oder Bediensteten begleitet werden. Diese hätte jedoch keine Sicherungs-, sondern eine soziale Unterstützungsfunktion. Für die teilnehmenden Personen sei im Rahmen einer vollzugsplanerischen Prognoseentscheidung die Befürchtung ausgeschlossen worden, dass die begleiteten Ausgänge missbraucht werden, um sich dem Vollzug der Freiheitsstrafe zu entziehen oder Straftaten zu begehen.

Spezielle Schulungen erhalten diese Begleitpersonen nicht. Demzufolge auch nicht der Pfarrer. Gemäß niedersächsischem Justizvollzugsgesetz seien Ausgänge ohne Aufsicht durch Vollzugsbedienstete gesetzlich definiert. "Die Begleitweisung steht dem nicht entgegen, da diese beispielsweise auch durch soziale Bezugspersonen oder Angehörige auferlegt werden kann. Hieraus folgt, dass es für diese Lockerungsform keiner Anordnung allgemeiner oder besonderer Sicherungsmaßnahmen bedarf", so Ministeriumssprecherin Richterin Verena Brinkmann.

Spontan oder geplant?


Im Fall des Geflüchteten habe die Anstaltsleitung im Rahmen einer Vollzugsplankonferenz begleitete Ausgänge genehmigt. Zuvor habe der Häftling bereits sechs Mal an solchen Ausflügen teilgenommen. Ohne Vorkommnisse. Einen Grund, die Lockerungen zurückzunehmen, habe es daher nicht gegeben. Ob diese Entscheidung und Beurteilung richtig war, sei noch nicht abschließend durch das Fachreferat bewertet worden, erklärt Brinkmann.


Fluchtabsichten seien aber laut Ministerium nicht zu befürchten gewesen, weshalb beispielsweise auch Toilettengänge nicht überwacht oder kontrolliert werden. Da der 34-Jährige zuvor bereits an sechs Gruppenausgängen teilgenommen hatte, könne laut Ministerium auch ausgeschlossen werden, dass die Flucht im Vorfeld geplant war. Man gehe von einer Kurzschlussreaktion aus. "Erkenntnisse, welche auf ein geplantes Vorgehen hindeuten, liegen bislang nicht vor", so die Sprecherin.

Keine öffentliche Fahndung


Öffentlich werde nach dem Mann derzeit nicht gefahndet. "Bereits am Tage der Entweichung wurde eine nationale Fahndung eingeleitet, am darauf folgenden Tag wurde auch eine internationale Fahndung eingeleitet", so Brinkmann. Sie verweist auf die Staatsanwaltschaft Braunschweig, die über ein Ob und Wann einer öffentlichen Fahndung entscheidet.

Dort erklärt man auf Nachfrage, dass die Öffentlichkeitsfahndung wegen der damit verbundenen Stigmatisierung der gesuchten Personen in der Öffentlichkeit als Straftäter das letzte Mittel - die ultima Ratio - sei und von einem Richter angeordnet werden müsse.

"Welche Fahndungsmaßnahmen eingeleitet werden, hängt immer vom Einzelfall ab. In aller Regel findet umgehend eine Fahndung über die entsprechenden elektronischen Systeme statt. Damit wird garantiert, dass bei Polizeikontrollen, beispielsweise an Flughäfen, sofort festgestellt werden kann, dass die kontrollierte Person gesucht wird. Legale Ausreisen sind dadurch erschwert", erklärt Erster Staatsanwalt Christian Wolters.

Bei einigen Flüchtigen würde es oft schon unmittelbar nach der Flucht konkrete Ansätze geben, wo sie sich eventuell aufhalten könnten. Hier würde dann eine zielgerichtete Suche bei den entsprechenden Kontaktorten oder Kontaktpersonen erfolgen. Einer öffentlichen Fahndung bedarf es dann nicht.

"Auch wenn klar sein sollte, dass die gesuchte Person Deutschland bereits verlassen hat, ist eine öffentliche Fahndung sinnlos. Da muss man dann eher auf verdeckte Maßnahmen zurückgreifen und im Rechtshilfewege versuchen, den Aufenthaltsort zu ermitteln, um den Gesuchten wieder festzunehmen", sagt Wolters abschließend.


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