Am Freitagabend des 15. April hörte man im Forum der Adolf-Grimme-Gesamtschule nur die ernsten Stimmen der Jugendlichen, die mit ihrer Lesung auf die Tragödie vom 3. Oktober 2013 aufmerksam machten, bei der ein mit 545 Flüchtlingen völlig überladener Kutter vor der italienischen Insel Lampedusa versinkt. 366 von ihnen ertrinken: Menschen aus Eritrea, Somalia, Äthiopien und Syrien, die vor Krieg und Armut flohen, voller Hoffnung auf ein besseres Leben in Europa. Der Autor Antonio Umberto Riccò sammelte zahlreiche Zeugenaussagen von überlebenden Flüchtlingen, Einwohnern, Touristen und Vertretern der Behörden sowie weiteres dokumentarisches Material zu dem Unglück und entwickelte daraus einen Text, der die Ereignisse dieses verhängnisvollen Morgens aus unterschiedlichen Perspektiven darstellt.
Die Arbeitsgruppe aus 18 Schülerinnen und Schülern des 9. und 10. Jahrganges unter der Leitung der Lehrerinnen Sabine Rehse und Inga Passow hatte sich zum Ziel gesetzt, durch die Lesung einen anderen Blickwinkel auf die Flüchtlingssituation zu ermöglichen sowie Empathie und Solidarität zu wecken für die Menschen, welche an diesem Morgen traumatische Ereignisse erleben mussten. Für dieses besondere Projekt engagierten sich die Jugendlichen weit über die Unterrichtszeit hinaus.
Bühne: Ida Köthke, Skady Puls, Lara Guhr, Ina Barckmann, Marcel Junge, Hagen Borchers, Maximilian Dörr, Janno Hahn, Lea Gutmann, Ralf Hake, Johanne Wohlberedt. Vorne: Natascha Bräunel (links), Merle Hoffmann (rechts) Foto:
Am Abend der Lesung lauschten fast 200 Gäste still und ergriffen, nicht wenige kämpften mit den Tränen, denn der Text ging unter die Haut. Der 16jährige Schüler Janno Hahn beendete schließlich die Lesung mit der Zeugenaussage des Fischers Domenico, der diesen Morgen in Gedanken immer wieder durchlebt. „Drei Lebende hielten sich an zwei Toten fest, andere schrien, während sie sich an Holzstücken fest klammerten. Ich lief vom Heck zum Bug, warf Rettungsringe, Leinen, aber viele hatten keine Kraft, bewegten sich nicht mehr, sie waren schon drei Stunden da, erstarrt. Ich hörte sie schreien, und während du den einen rettest, siehst du schon den anderen nicht mehr. In diesem Augenblick bist du es, der entscheidet, wen du festhältst und welchen anderen du dafür sterben lässt. (…) Sie ertranken vor meinen Augen und ich musste zusehen. Hilflos, auch ich am Ende ohne Kraft, wie sie. Aber ich lebe. Sie, sie sind ertrunken.“
Die Podiumsgäste: Max Breust, Dr. Theresa Beilschmidt, Regine Körner, Anne-Kathrin Feldhoff, Norbert Bengsch, Svenja Richards, Lea Ella Wittig, Nina Kaulfuß Foto:
Im Anschluss an die Lesung fand eine offene Gesprächsrunde unter der Moderation von Dr. Theresa Beilschmidt vom St. Jakobushaus – Akademie der Diözese Hildesheim statt, bei der die erste Kreisrätin Regine Körner sowie Anne-Kathrin Feldhoff vom Verein „Leben in der Fremde“ und Norbert Bengsch vom „Netzwerk Mensch Oker“ die Arbeit mit Flüchtlingen im Landkreis Goslar darstellten. Auch vier Schülerinnen und Schüler der AGG erzählten dabei von ihrem Engagement bei der Flüchtlingsarbeit.
Die 300 Papierboote enthielten viele Wünsche für Flüchtlinge und Worte des Mitgefühls. Foto:
Schließlich erläuterte Sabine Rehse, wie die zirka 300 auf der Bühne befindlichen Papierboote entstanden sind: Am Vormittag hatte bereits eine schulinterne Lesung für die Jahrgänge 9 und 10 stattgefunden. Nach intensiver Reflexion der Lesung wurden die Schülerinnen und Schüler gebeten, ihre Gedanken aufzuschreiben und zu einem Papierboot zu falten. Die Boote enthielten viele Wünsche für Flüchtlinge und Worte des Mitgefühls. Sie sprachen sich gegen Gewalt und Menschenrechtsverletzungen, gegen Fremdenhass und Rechtsextremismus aus, formulierten aber auch Worte der Hoffnung und Worte der Dankbarkeit. Die Gäste der Abendveranstaltung taten es den Schülern nach und hinterließen ihre Gedanken auf Booten in der Adolf-Grimme-Gesamtschule, wo sie in ein großes Wandgemälde eingearbeitet werden. Am Ausgang nahmen die Schüler Spenden für den Verein „Leben in der Fremde“ entgegen, welcher seit nunmehr 30 Jahren ehrenamtliche Flüchtlingsarbeit in Goslar leistet. Dabei kamen knapp 600 Euro zusammen, die sogleich dem Verein übergeben wurden.
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