Liebenburg. Am gestrigen Freitag war Ministerpräsident Stephan Weil zu Gast bei den Brauhausgesprächen auf der Liebenburger Domäne. Rund 50 Familienmitglieder aus der Landwirtschaft standen um 19 Uhr mit 25 Treckern auf dem Hof Spalier, um den Präsidenten in Empfang zu nehmen und ihn einmal mehr an die Sorgen der Landwirte zu erinnern. Organisiert wurde der Empfang von der Gruppe "3 vor 12" aus dem Braunschweiger Land.
Bereits ab 18 Uhr reihten sich die Trecker auf und vor dem großen Hof der Domäne ein. Links und rechts entlang der Zufahrt zum "Brauhaus" standen die Landwirte Spalier, um den Ministerpräsidenten mit Plakaten und Beleuchtung zu empfangen. Entgegen der Planung seines Vorboten, der die Landwirte anwies, sich auf eine Seite zu stellen und nur den Redner nach vorn zu schicken, gesellte sich Präsident Weil mitten in die ganze Gruppe. Landwirt Bertram Vogt begrüßte den Politiker und sagte: "Wir Landwirte und Sie als Mann der SPD eint doch eine große Gemeinsamkeit. Wir sind auf der Suche nach den letzten 20 Prozent in unseren Roten Gebieten. Sie suchen nach den Wählern, wir nach dem Dünger."
"Die letzten 20 Prozent in unseren Roten Gebieten"
Die Landwirtschaft werde maßgeblich für die problematischen Nitrat-Messwerte in Gewässern verantwortlich gemacht. Aufgrund drohender Strafzahlungen an die EU soll der Düngemitteleinsatz in den als Rote Gebiete ausgewiesenen Bereichen pauschal um 20 Prozent reduziert werden. Die Landwirte stellen die Stichhaltigkeit der Messwerte in Frage, da die Werte mit einer anderen Methodik erfasst würden als in anderen EU-Staaten und das deutsche Messnetz damit nicht vergleichbar sei mit dem anderer Staaten. Bertram Vogt machte deutlich, dass es den Landwirten schwer fällt, den Vorwurf basierend auf dieser Datenlage und in diesem Ausmaß hinzunehmen und appelliert an den Minister, die Sorgen der Landwirte an die Politiker weiterzutragen. "Frau Schulze müssen Sie es vielleicht vorlesen; die scheint nichts von uns lesen zu wollen", schmunzelte Vogt, als er Weil dasselbe Schreiben übergab, dass auch Umweltminister Lies kürzlich in Wolfenbüttel erhalten hat.
Spalierempfang für den Präsidenten: Die Landwirte positionierten ihre Trecker links und rechts entlang der Zufahrt zum "Brauhaus". Foto: Annabell Pommerehne
Neben dem Schreiben überreichten die Landwirte dem Präsidenten noch etwas: einen Präsentkorb. Weil freute sich: "Das passiert das erste Mal bei einer Demo." Was er zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen konnte, erklärte ihm Bertram Vogt umgehend: "Der Präsentkorb wurde im Roten Gebiet erstellt. Es fehlen leider schon überall 20 Prozent." Die Landwirte haben von allen Produkten, die der Korb enthielt, nämlich zum Beispiel Brot, Wurst, Käse, Wein oder Bier, 20 Prozent abgezogen. So wurde beispielsweise aus der Wurstdose eine Ecke herausgeschnitten, in der Brotscheibe war ein Loch, das Bier war nicht mehr ganz gefüllt. Anbei ein Spruch: "Minus 20 Prozent - Pauschale für's Ministerpräsent."
"Minus 20 Prozent - Pauschale für's Ministerpräsent"
Als der Ministerpräsident verstand, welch besonderer Art der Präsentkorb war, hat er doch herzlich gelacht. Er kam aber schnell auf den Boden der Tatsachen zurück: "Teilweise gebe ich Ihnen recht, teilweise nicht." Das Grundwasserproblem in Niedersachsen bestünde schon seit Anfang der 1990er Jahre. Das Problem wäre in Deutschland aber zu lange nicht ernst genug genommen worden; vor 20 Jahren hätte man schon gegensteuern müssen, wie es beispielsweise die Dänen getan haben. So hätte sich das heutige Ausmaß der Problematik vermeiden lassen. Weil sieht das Problem nicht in den Messstellen, sondern in der Interpretation der Messwerte.
"Teilweise gebe ich Ihnen recht, teilweise nicht"
So gebe es in Regionen mit einem hohen Viehbesatz, wie Oldenburg und Münster, "nicht wirklich andere Gründe" für die Nitrat-Werte im Wasser. Doch dort, wo keine hohe Viehdichte ist, könne die Landwirtschaft auch nicht die Erklärung für hohe Nitrat-Werte sein. Auch Grünlandbewirtschaftung, wie sie im Norden Niedersachsens verstärkt zu finden ist, leide unter einer reduzierten Düngung, denn durch die Düngung werden Kohlendioxid und Nitrat gebunden. Wird nicht oder weniger gedüngt, werde das Problem also größer. Des Weiteren erklärt Weil, dass zwischen den Lagen, in denen gemessen wird, unterschieden werden müsse. Manchmal seien die Nitrat-Werte in oberflächlichen Gewässern schlecht, aber in tieferen Lagen "ok". Dennoch werde alles in einen Topf geworfen. "Wir brauchen Differenzierung", meinte der Präsident. Die Bereiche, in denen "Düngung nichts mit den Nitrat-Werten zu tun hat oder in denen Düngung hilft", müssten aus der pauschalen Reduzierung herausgenommen werden. "In anderen Bereichen hat die EU recht, wenn sie sagt, so kann's nicht bleiben", zog Weil sein Fazit.
"Ich bin eine Großstadtpflanze"
Weil betonte auch, dass er in der Großstadt aufgewachsen sei und sich Zusammenhänge habe erarbeiten müssen. Er sagte den Landwirten: "Wir sind als Niedersachsen schwer unterwegs und werben dafür, dass da eine Differenzierung rein kommt, aber wir können es als Niedersachsen nicht bestimmen. Wir kämpfen für Sie in Berlin und Brüssel, aber wir können es nicht in Hannover bestimmen. Insofern finde ich das...kann ich das gut verstehen, dass Sie demonstrieren." Als Demonstration gegen ihn selbst, empfinde er die Empfänge der Landwirte nicht. Er versprach, sich weiterhin einzusetzen, sagte aber auch, dass er nicht versprechen könne, etwas umzusetzen.
Differenzierung bei der Ausweisung Roter Gebiete
Bertram Vogt erklärte dem Präsidenten abschließend, die Landwirte seien "dankbar für die Schritte, die Sie in die Wege leiten können". Der Landwirt gab ihm auch noch etwas Persönliches mit: "Glauben Sie nicht an das reine Gründlandmärchen. Auch auf dem Acker werden Kohlendioxid und Nitrat gebunden. Auf dem Acker passiert genau das gleiche in einem anderen Rahmen. Eine Unterdüngung im Ackerbau führt darüberhinaus zum Abbau von wertvollem Humus, was in Hinblick auf den Klimaschutz völlig kontraproduktiv wäre." Ministerpräsident Weil und Landwirt Vogt beendeten den Empfang, indem sie vereinbarten, sich über diese "Neuigkeit" noch einmal austauschen zu wollen.
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