Festnahme geglückt - Mutmaßlicher Serienbetrüger lebte 21 Jahre im Untergrund

Der Tatverdächtige Norbert M. besaß mindestens vier verschiedene Identitäten. Bei seiner Festnahme in Wittenberg zeigte sich der Flüchtige regelrecht erleichtert.

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Stefan Höhne, Leiter des 3. Fachkommissariates bei der Polizeiinspektion Goslar, Andreas Bartnitzky, Finanzermittler des Fachkomissariats und Christian Priebe, Leiter der Kriminalpolizei in Goslar berichteten über den langen Weg zur Festnahme des mutmaßlichen Serienbetrügers Norbert M.
Stefan Höhne, Leiter des 3. Fachkommissariates bei der Polizeiinspektion Goslar, Andreas Bartnitzky, Finanzermittler des Fachkomissariats und Christian Priebe, Leiter der Kriminalpolizei in Goslar berichteten über den langen Weg zur Festnahme des mutmaßlichen Serienbetrügers Norbert M. | Foto: Marvin König

Goslar. Über zwei Umzugskartons an Aktenordnern und mehrere dutzend hartnäckige Fachermittler konnten nach Jahren der Ermittlungen am vergangenen Freitag die Festnahme des flüchtigen Serienbetrügers Norbert M. verkünden. Der inzwischen 62-jährige gelernte KFZ-Schlosser aus der ehemaligen DDR und seine Lebensgefährtin, welche ebenfalls falsche Identitäten nutzte, konnten durch die Zielfahndung der Polizeiinspektion Braunschweig nahe Wittenberg dingfest gemacht werden. Dem voran ging ein langjähriges Katz-und-Maus-Spiel, bei welchem Norbert M. stets die Nase vorn zu haben schien.


Im Laufe der vergangenen 21 Jahre habe der mutmaßliche Serienbetrüger mindestens vier Identitäten genutzt und schätzungsweise einen sechsstelligen Betrag an Geldern durch verschiedene Betrugsmaschen erbeutet. Welche Taten über welchen Zeitraum mit welcher Identität konkret mit dem 62-Jährigen in Verbindung gebracht werden können, sei offen. Trotz seines offensichtlich erfolgreichen Schattendaseins zeigte sich M. bei seiner Festnahme regelrecht erleichtert: "Mir gegenüber stand ein geknickter Mensch", schildert Andreas Bartnitzky, Finanzermittler im 3. Fachkommissariat der Polizeiinspektion Goslar. "Er sah aus wie ein Mensch, dem ein Stein vom Herzen gefallen ist."

Der Schlüssel zum Ermittlungsverfahren


"Das ist das Ende meiner Reise."

- Der Tatverdächtige Norbert M. nach seiner Festnahme.



Für die Polizei Goslar begann die Reise mit einer Strafanzeige, die am 24. Juni 2016 bei der Polizei Magdeburg durch eine damals in Goslar lebende ältere Dame und ihre Schwiegertochter erstattet wurde. Aufgrund des Tatortes in Goslar fiel die Zuständigkeit an das 3. Fachkommissariat der Goslarer Polizei, welche die Ermittlungen aufnahm.

Dabei ging es um den Verdacht des Betruges mit einer Schadenshöhe von rund 27.000 Euro. Der Tatverdacht richtete sich gegen Norbert M., seine - heute 61-jährige - Lebensgefährtin war als ambulante Pflegekraft für die Dame tätig. "Die Dame hat zusammen mit ihrer Schwiegertochter festgestellt, dass es Unregelmäßigkeiten auf ihrem Konto gab. Insbesondere wurde festgestellt, dass mindestens zwei Darlehensverträge auf ihren Namen abgeschlossen wurden, die sie definitiv nicht selber abgeschlossen hat", erläutert Andreas Bartnitzky. Weiterhin sei eine Vielzahl von Kreditkartenverfügungen durchgeführt worden, die nicht durch die Geschädigte veranlasst oder selbst durchgeführt worden seien.

Etliche Betrugsfälle unter falschem Namen


Wie sich im späteren Verlauf der Ermittlungen herausstellte, war der Name, mit dem sich der Tatverdächtige bei der Dame vorgestellt hatte, nur eine seiner vielen Identitäten - ein sogenannter "Aliasname". Relativ schnell war den Ermittlern klar, dass es eine Person mit diesem Namen in Niedersachsen nicht gab. In Sachsen-Anhalt sei man jedoch schnell fündig geworden. Eine Vielzahl von Betrugsfällen konnte mit dem Gesuchten in Verbindung gebracht werden. Die Verjährungsfrist dieser Fälle war häufig jedoch seit Jahren abgelaufen, da Norbert M. sich den dortigen Behörden stets entzog.

Der erste Schritt auf dem Weg zur Festnahme


Beim Studieren der Fallakten aus Sachsen-Anhalt im Jahr 2016 sei man in einer Akte aus dem Jahr 2013 schließlich auf eine sogenannte "Klarpersonalie" gestoßen - die mutmaßlich echten Personaldaten des Verdächtigen. Auch alte Bilder seien beigefügt gewesen.

"Bei den Ermittlungen zu dieser Klarpersonalie haben wir uns dann gewundert, dass es gar nichts zu dieser Person gab. Es hatte den Anschein, als hätte diese Person nie existiert."

- Andreas Bartnitzky



Die Beamten fanden zu der Personalie Norbert M. keine Krankenversicherung, keine Rentenversicherung, keine Steuernummern. Kein Auto war jemals auf einen Norbert M. angemeldet worden - keine Arbeitstätigkeit jemals unter diesem Namen ausgeführt. Der nächste logische Schritt für die Ermittler sei die Frage gewesen: "Ist diese Person überhaupt geboren worden?"

Die Spur verliert sich nach der Wende


In den Akten der Standesämter der ehemaligen DDR sei man laut Bartnitzky schließlich fündig geworden: "Wir haben festgestellt, dass eine Person mit diesen Daten in einer größeren Stadt in Sachsen-Anhalt geboren wurde." Dokumente aus der Ära der ehemaligen DDR seien allerdings schwer zu erhalten gewesen. Und so verlor sich die Spur der Ermittler im Jahr 1990 endgültig. "Als ob die Person nie existiert hat oder gar nicht mehr lebt - alles ist möglich gewesen", merkt der Finanzermittler an. Hatte Norbert M. die Identität eines Toten angenommen?

Mit den aus den Recherchen gewonnenen Erkenntnissen ließ sich an keinen roten Faden anknüpfen. Und so widmete man sich wieder den Konten. Durch Auswerten des Kontos der geschädigten Seniorin in Goslar stieß man auf andere Konten. Darauf angesprochen sei sich jedoch keiner der angeblichen Konteninhaber der Existenz dieser Konten bewusst gewesen.

"Der Mann ist gut. Mein Metier sind die Konten. Ich habe gesehen, wie er vorgegangen ist. Sein Vorgehen zeugt von Kenntnis und Raffinesse. Sehr professionell."

- Andreas Bartnitzky, Finanzermittler der Polizei Goslar



Ende 2018 sei man durch eine Vielzahl von Finanztransaktionen - verteilt über Niedersachsen und Sachsen-Anhalt - auf eine Buchung gestoßen, die zu einer Immobilie im Ostharz führte. Die vor Ort unbekannten Bewohner - ein Mann und eine Frau - fristeten dort ein Schattendasein. Niemand habe etwas über sie gewusst. Wie sich herausstellte, lebte die Frau in dieser kleinen Stadt in Sachsen-Anhalt unter der Identität einer real existierenden Goslarerin. Die reale Inhaberin dieser Identität war sich hierüber im Unklaren.

Der erste Zugriff geht ins Leere


Zu den bisher gesammelten Daten der Ermittler zählten auch Chatverläufe, die im Zusammenhang mit den Betrugsfällen standen. Die darin enthaltenen Fotos seien verschiedenen Personen vorgelegt worden. "Wir waren uns dann ziemlich sicher, dass in diesem Haus diese Person lebte, die bei uns in Goslar diese Straftaten begangen hat."

Der Zugriff im Juli 2017 schlug jedoch fehl. Die Ermittler fanden lediglich ein leeres Haus vor. "Wir waren guter Dinge, haben aber an diesem Tag verloren, weil wir zwei Stunden zu spät waren", bedauert Bartnitzky. Unklar ist, wodurch die beiden in ihrer Bleibe aufgescheucht wurden. "Leute auf der Flucht führen ein ganz anderes Leben. Sie reagieren auf jede kleinste Veränderung in der Umgebung", merkt Polizeisprecher Reiner Siemers an. Es sei als möglich, dass er aus reiner Intuition die Flucht ergriffen habe. Den Ermittlern sei klar gewesen, dass es jetzt keinesfalls einfacher werden würde.

"Er hat unheimlich große Strecken zurückgelegt und unheimlich viel Geld generiert."

- Andreas Bartnitzky



Norbert M. und seine Lebensgefährtin waren wieder untergetaucht. Neue Lichtbilder konnten den Akten hinzugefügt werden - von Abhebungen an Geldautomaten in ganz Sachsen-Anhalt. Die Ermittler in Goslar entschlossen sich gegen Ende 2019, die Fahndungsmaßnahmen an die Zielfahndung in Goslar abzugeben.

Die Festnahme von Norbert M. in Wittenberg


Die Zielfahnder ermittelten den flüchtigen mit den vielen Identitäten - zu diesem Zeitpunkt wusste niemand, wie viele genau - schließlich in Wittenberg und konnten am 24. Januar die Festnahme des Tatverdächtigen melden. Er und seine Lebensgefährtin hatten sich in einem Waldstück nahe der Stadt Coswig im Landkreis Wittenberg einen neuen Unterschlupf eingerichtet. "Selbst ich habe selten eine so abgelegene Örtlichkeit gesehen", merkt Bartnitzky an. In dieser "Datsche" - einem alten DDR-Ferienhaus, welches dort ohne Baugenehmigung errichtet worden war - konnten weitere belastende Beweise gefunden werden.

Viel Ermittlungsarbeit steht noch an


Norbert M. wurde nach seiner Festnahme zunächst in der Polizeidienststelle in Goslar in Gewahrsam genommen. Der Abgleich mit seinen Daten und denen seiner Familie habe keine Zweifel offengelassen - er handelte sich um den Gesuchten.

"Interessant war dabei der Umstand, dass er Probleme hatte seinen eigenen Namen zu schreiben. Selbst hat er angegeben, dass er den seit 21 Jahren nicht mehr geschrieben hatte. Er lebte eben seit 21 Jahren mit falschen Personalien, da ist es natürlich schwierig wieder in seine richtige Welt einzutauchen und seinen eigenen Namen zu benutzen", schildert Finanzermittler Bartnitzky die Schwierigkeiten bei den polizeilichen Maßnahmen.

Nach Verkündung des Haftbefehls durch die Staatsanwaltschaft befindet sich der Tatverdächtige Norbert M. zurzeit in Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt Braunschweig. Er wird sich wegen vielfältiger Betrugsdelikte vor Gericht verantworten müssen. Die Ermittler sind sich sicher, das längst nicht all seine Taten aktenkundig sind - bis zur rechtskräftigen Verurteilung ist es also noch ein langer Weg.


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