Hilfsnetzwerk sammelt Beweise für Opfer häuslicher Gewalt

von Nino Milizia


v.l. Günter Koschig, Weisser Ring/ Goslarer Zivilcouragekampagne, Astrid Nickoll, Leiterin Frauenhaus Goslar, Ärztin Vanessa Zahn, Chefarzt Dr. med. Thomas Peterson, Prof. Dr. med. Anette S. Debertin, MBA, Medizinische Hochschule Hannover, Institut für Rechtsmedizin/ProBeweis, Adelheid May,  Harzkliniken-Geschäftsführerin, Oliver Grotha, Polizei Goslar. Foto: Nino Milizia
v.l. Günter Koschig, Weisser Ring/ Goslarer Zivilcouragekampagne, Astrid Nickoll, Leiterin Frauenhaus Goslar, Ärztin Vanessa Zahn, Chefarzt Dr. med. Thomas Peterson, Prof. Dr. med. Anette S. Debertin, MBA, Medizinische Hochschule Hannover, Institut für Rechtsmedizin/ProBeweis, Adelheid May, Harzkliniken-Geschäftsführerin, Oliver Grotha, Polizei Goslar. Foto: Nino Milizia | Foto: Nino Milizia

Goslar. Die Asklepios Harzklinik Goslar tritt dem Netzwerk „ProBeweis“ bei. Damit gibt es jetzt in Niedersachsen eine neue Anlaufstelle für misshandelte und vergewaltigte Frauen.


Im Pressegespräch anlässlich des Beitritts der Harzklinik Goslar präsentierte sich das regionale Hilfenetzwerk mit Institutionen wie beispielsweise der Opferschutzorganisation Weisser Ring, dem Verein Zivilcourage Goslar, der Polizei Goslar sowie dem Frauenhaus Goslar. Oliver Grotha, Leiter Zentraler Kriminaldienst bei der Polizei Goslar, gewährte einen Einblick in die Fallzahlen der häuslichen Gewalt im Landkreis, welche um mehr als 50 Prozent gestiegen seien.

Seit fünf Jahren gebe es in Niedersachsen das Projekt „Netzwerk ProBeweis“, das vom Institut für Rechtsmedizin der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) geleitet und vom Niedersächsischen Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung gefördert werde. In mittlerweile 25 Städten – 27 Kliniken seien im Netzwerk beteiligt - werde in Untersuchungsstellen des Netzwerkes ProBeweis Betroffenen von häuslicher oder sexueller Gewalt eine vertrauliche, kostenfreie und gerichtsverwertbare Untersuchung durch speziell geschulte Ärztinnen und Ärzte angeboten - ohne sofort eine Strafanzeige erstatten zu müssen. In der Asklepios Harzklinik Goslar wurden die Mitarbeiter der Frauenheilkunde, der Unfallchirurgie (UC) und der Rettungsstelle entsprechend geschult, daher gab es jetzt den offiziellen „Startschuss“ zum Beitritt. Die besonders sensibilisierten und geschulten Ärzte gehen bei der Dokumentation der Verletzungen und Sicherung der Spuren stets behutsam nach einheitlichen Standards und mit vorgegebenen speziellen Mustermaterialien vor, damit die Beweise später vor Gericht bestand haben.
„Wir freuen uns, dass wir jetzt dem Netzwerk ProBeweis angehören. Es ist wichtig, dass wir auch als Klinik unseren Beitrag dazu leisten, dass Gewalt vorwiegend gegen Frauen und Mädchen schon frühzeitig dokumentiert wird“, sagte Adelheid May, Geschäftsführerin der Asklepios Harzkliniken GmbH.

In den meisten Fällen gibt es eine Täter-Opfer-Vorbeziehung


Das Thema ist brisant: Körperliche und sexuelle Gewalt ereignet sich nicht selten in der Partnerschaft, im Bekanntenkreis oder der Familie. Gerade in diesen Fällen ist es für die Betroffenen sehr schwierig, sich sofort für eine Strafanzeige zu entscheiden. Häufig erfolgt eine Strafanzeige erst einige Zeit nach dem Ereignis. Eine zeitnahe Untersuchung zur Dokumentation von Verletzungen und zur Spurensicherung ist für ein späteres Strafverfahren jedoch von großer Bedeutung.


Im Jahr 2011, so Kriminaloberrat Oliver Grotha, registrierte die Polizei im Landkreis 130 Fälle häuslicher Gewalt, in diesem Jahr 2016 sind es bisher 213 Fälle. Diese Steigerung sei vermutlich auf eine veränderte Anzeigebereitschaft bei den Betroffenen zurückzuführen, so Grotha. Gleichwohl: „Nur einer von neun Fällen wird zur Anzeige gebracht“, schätzt Grotha, die Dunkelfeldziffer sei hoch, sagte Oliver Grotha weiter.

Das Angebot des Hilfsnetzwerks ProBeweis im Detail:


Genau deswegen ist das Hilfsnetzwerk laut Günter Koschig "ein Meilenstein". Nun gebe es für die Frauen eine kostenlose Untersuchung unter Gewährleistung der Schweigepflicht, eine gerichtsverwertbare (Foto-)Dokumentation von Verletzungen und Spurensicherung, Aufbewahrung der Beweismittel für mindestens 3 Jahre, Kontakt zu Opferunterstützungseinrichtungen und (anonyme) telefonische Beratung.

Die Statistik spricht eine deutliche Sprache: Jede vierte Frau in Deutschland wird einer Studie des Bundesfamilienministeriums zufolge mindestens einmal im Leben Opfer von häuslicher Gewalt oder einer Sexualstraftat durch einen früheren oder den aktuellen Beziehungspartner. Die Frauenhäuser, Gewaltberatungsstellen und Beratungs- und Interventionsstellen gegen häusliche Gewalt (BISS) haben im Jahr 2014 allein in Hannover und der Region 4.173 Fälle von häuslicher Gewalt registriert. Gerade bei häuslicher Gewalt oder Sexualstraftaten im sozialen Umfeld besteht für die Betroffenen eine hohe Hemmschwelle, ihre Rechte wahrzunehmen und sofort bei der Polizei eine Anzeige zu erstatten. Falls sie sich doch zu dem Schritt entscheiden, ist für eine erfolgreiche Strafverfolgung aber eine zeitnahe und gerichtsverwertbare Dokumentation und Beweissicherung notwendig. Hier greift das Projekt „Netzwerk ProBeweis“ der Medizinischen Hochschule Hannover.

Das Niedersächsische Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung finanziert das Projekt seit 2012 bis zunächst Ende 2017 mit jährlich 270.000 Euro. Opfer häuslicher oder sexueller Gewalt sind oftmals so stark traumatisiert, dass sie erst Monate oder Jahre danach Anzeige erstatten können. Je mehr Zeit verstreicht, desto schwieriger wird allerdings die Beweislage. Seit Projektbeginn wurden bisher insgesamt 491 Fälle registriert, davon 132 Fälle in diesem Jahr.


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