Seesen. Schüler der Jacobsonschule Seesen am Harz hecken einen Streich aus, der die Schule auf der ganzen Welt bekannt machen soll: Die "Operation Legendär". Ihr Abenteuer führt sie quer durch die Schule über das Dach der Synagoge in die Höhle des Löwen, das Haus des Direktors. Im Stil einer interaktiven Graphic Novel wird mithilfe modernster Technologie ein wichtiger Aspekt der deutsch-jüdischen Geschichte wiederentdeckt. Der Reformer und Rabbiner Israel Jacobson gründete in der kleinen Stadt Seesen eine bedeutende Reformschule für jüdische und christliche Schüler und die erste Reformsynagoge der Welt. Ein Ursprungsort des modernen Judentums. Über den Start der App berichtet das Israel-Jacobson-Netzwerk in einer Pressemitteilung.
Bisher ist die Bedeutung dieser „jüdischen Renaissance von welthistorischem Ausmaß“ (Heinrich Graetz, jüdischer Historiker) nahezu unbekannt. Das will ein Projekt des Israel Jacobson Netzwerks ändern. Durch die Anwendung von Extended Reality werde diese Geschichte in neuer Form per App auf dem Smartphone oder Tablet auf spielerische Weise erlebbar - nicht nur für Kinder und Jugendliche!
Die nächste Generation erreichen
Dr. Jörg Munzel, Projektleiter und Vorstand des IJN, führt aus: „Wir möchten eine neue Perspektive auf die deutsch-jüdische Geschichte öffnen und die nächste Generation mitnehmen. Gerade für jüngere Menschen sind digitale Zugänge unabdingbar. Sie sind über traditionelle Angebote kaum noch zu erreichen. Durch unsere App wird ein neues Format moderner Wissensvermittlung entwickelt. Dabei interagieren reale und digitale Welt, reale und digitale Personen in neuer Weise miteinander. Das kann und soll auch großen Spaß machen. Die App "Operation Legendär" kann ab sofort für Nutzer kostenlos über alle Appstores auf das eigene Smartphone oder Tablet abgerufen werden.“
Die App "Operation Legendär", die am heutigen Dienstag von den Experten des Israel Jacobson Netzwerkes in der Landesvertretung Niedersachsen in Berlin präsentiert wurde, ist ein Pilotprojekt im Rahmen des Festjahres 2021: 1.700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland. Bewusst seien neue Wege gewählt worden, um Stereotypen von Juden in Deutschland aufzubrechen. Ein Team von Judaisten und Historikern des IJN gewährleistet die fachliche Genauigkeit der transportierten Inhalte. Eva Lezzi, die bekannte jüdische Kinderbuchautorin, beriet bei der kindergerechten Formulierung des Textes.
Gespannt auf die Wirkung
Dr. Felix Klein, Antisemitismusbeauftragter der Bundesregierung und einer der Förderer des Projekts, erörtert: „Jüdisches Leben bekannter zu machen und dabei insbesondere junge Menschen zu erreichen – das ist aus meiner Sicht eine der wichtigsten gesellschaftlichen Aufgaben der kommenden Jahre. Denn die junge Generation wird unsere gemeinsame Zukunft gestalten, weiß in großen Teilen jedoch nur wenig über jüdischen Alltag, jüdische Religion und Kultur. Dieses Unwissen ist ein Nährboden für Ressentiments, es macht empfänglich für Vorurteile und Verschwörungstheorien. Das Projekt zur virtuellen Rekonstruktion des Jacobstempels spricht mit seinem innovativen Vermittlungskonzept ganz gezielt junge Menschen an und bietet ihnen die Möglichkeit, sich nicht nur eigenständig ein wichtiges Kapitel der jüdischen Geschichte zu erschließen, sondern auch die Ideen des modernen Judentums kennenzulernen. Ich bin sehr gespannt darauf, wie die vom Projektteam des Israel Jacobson Netzwerks entwickelte App sich in der Praxis bewähren wird und davon überzeugt, dass viele Menschen dieses tolle Angebot nutzen werden, sich mit jüdischer Geschichte und Gegenwart zu beschäftigen.“
Ein Spiel, das lehrt
Im Projekt diene die Technologie der Geschichte. Authentizität gewährleisten Originalquellen. „Die Digital Natives sind in ihrem Umgang mit Inhalten stark erlebnisorientiert. Sie wollen Teil der Geschichte sein, indem sie ihre Vorstellungen mit einbringen und sie weitererzählen können. Das Wundervolle daran ist, dass dies durch intrinsische Motivation geschieht: Die Auseinandersetzung mit Inhalten ist dabei auf einem ganz neuen Level an Intensität und Nachhaltigkeit“, sagt Bernard Bettenhäuser, XR-Spezialist und Creative Director des Projekts.
Geschichte nahbar machen
Die bauliche Keimzelle des Reformjudentums – der Jacobstempel in Seesen – wurde von den Nationalsozialisten in der Pogromnacht 1938 unwiederbringlich zerstört. Die ebenfalls mitten in der Seesener Innenstadt liegende Jacobsonschule ist nur noch teilweise erhalten. Die digitale Anwendung hilft, zerstörte Geschichte zum Leben zu erwecken und setzt einen Impuls, die Orte persönlich entdecken zu wollen. Das Pilotprojekt wird mit Mitteln des niedersächsischen Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit, Verkehr und Digitalisierung in Hinblick auf die kulturtouristische Bedeutung gefördert. „Für das Wirtschaftsministerium steht hier die Digitalisierung von touristischen Produkten im Mittelpunkt. Für uns ist es interessant zu erproben, ob es gelingen kann, physisch nicht mehr vorhandene touristische Orte mithilfe der XR-Technologie zu inszenieren – in diesem Fall anhand der Stadt Seesen und ihrer Synagoge. Des Weiteren ist es von ganz besonderem Landesinteresse zu erfahren, inwieweit es mittels der zielgerichteten Kombination der neuen Technologien gelingen kann, insbesondere die jüngeren Zielgruppen für ein inhaltlich eher schwer zugängliches Thema zu begeistern, dieses entsprechend zu transportieren und schließlich touristisch zu nutzen“, erklärt Dr. Berend Lindner, Staatssekretär im niedersächsischen Ministerium für Wirtschaft, Arbeit, Verkehr und Digitalisierung.
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