Lehre. Truppen des 8. US-Infanterieregiments befreiten am 11. April vor 76 Jahren Lehre von der Gewaltherrschaft der Nationalsozialisten. Sie rückten erst am nächsten Tag in die Muna ein, die im Zweiten Weltkrieg in die NS-Rüstungsproduktion eingebunden war. Auch in Lehre seien sowjetische Kriegsgefangene zu Tode geschunden worden. Der ehemalige Ratsherr Uwe Otte erinnert an diesen Tag.
In Lehre habe am 11. April 1945 ein aufgeregtes Treiben geherrscht, berichteten Zeitzeugen, die Uwe Otte befragt hat. Der ehemalige Ratsherr befasse sich seit mehr als 30 Jahren mit der örtlichen NS-Geschichte. An diesem 11. April sei von Otto Lüer um 7 Uhr mit den Kirchenglocken Panzeralarm ausgelöst worden. Ein Schuhlager in der Schule wurde geplündert. Zu Plünderungen sei es auch in der Muna gekommen, dorthin hatten Firmen ihre Waren ausgelagert. Die Nazi-Führer seien nicht mehr zu sehen gewesen. Aus vielen Fenstern hingen weiße Bettlaken.
Die amerikanischen Truppen hätten sich am Wald von Brunsrode her genähert. Sie hätten einige Warnschüsse aus einer Kanone und drei Feuerstöße aus einem Maschinengewehr abgegeben und marschierten gegen Abend in Lehre ein. Den Ort, in dem die NSDAP bereits 1928 die stärkste Partei gewesen war, übergaben zwischen 17 und 18 Uhr zwei Männer mit einer weißen Fahne: der schwer kriegsverletzte Hermann Bumcke und der Landwirt Wilhelm Koch. Der US-Hauptmann, auf den sie trafen, habe sich nach Bumckes Kriegsverletzung erkundigt und wollte erfahren, warum der Bürgermeister nicht zur Übergabe erschienen sei.
Auch einige französische Kriegsgefangene seien den US-Soldaten mit der Trikolore entgegengekommen. Charles Lemaire habe die Fahne am Morgen des 11. April aus Stoffresten gefertigt. „Ich war sehr stolz auf mein Werk“, schrieb er später an Otte. Die französischen Männer seien am frühen Abend am Ortseingang auf das amerikanische Vorauskommando getroffen.
Soldaten erreichen das Muna-Gelände
Erst am nächsten Tag, am 12. April 1945, hätten zwei amerikanische Panzer das Muna-Gelände im Kampstüh erreicht. Sie hätten ihre Kanonen auf die Muna-Einfahrt gerichtet und besetzten die Rüstungsfabrik kampflos. Alle Bewohner hätten vor dem Wachgebäude antreten und die Anordnungen der Amerikaner entgegennehmen müssen. Unter anderem dufte das Muna-Gelände nicht mehr betreten werden. Die Übergabe habe sich verzögert, weil die Amerikaner kein Deutsch sprachen und einen Übersetzer benötigten. In einem der Wohnhäuser hätten sie anschließend ihr Hauptquartier eingerichtet.
Damit habe Lehre zwei Daten, die den Tag der Befreiung markieren: den 11. April 1945 und den 12. April 1945. Der Rat der Gemeinde Lehre hatte im Herbst 1935 per Beschluss den Kampstüh mit der Muna eingemeindet.
Gegen das Vergessen
Das Gedenken an den 11. April habe in Lehre bereits Tradition. Seit den 1990er Jahren hätten Treffen auf dem Friedhof an der Zwangsarbeiter-Grabstelle stattgefunden. Radtouren würden zu den Stätten führen, die an die NS-Zeit erinnern. 1985 und 1995 hätten besondere Gedenkandachten in der evangelischen Kirche stattgefunden. 1995 berichteten Zeitzeugen sehr ausführlich, wie sie die Befreiung Lehres erlebten.
Und auch in der jüngeren Vergangenheit seien wichtige Schritte gegen das Vergessen erfolgt: Seit 2015 würden die Muna-Rundgänge angeboten und seit Sommer 2016 erinnere eine Informationstafel an der Muna-Einfahrt an die Geschehnisse im Kampstüh während der NS-Zeit. 2018 und 2020 habe sich eine Ausstellung im Rathaus Lehre mit den Leiden der sowjetischen Kriegsgefangenen in der Muna Lehre befasst. Und vor einem Jahr wehte zum 75. Jahrestag dieses bedeutenden Datums die US-Flagge vor dem Verwaltungsgebäude.
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