Schütteltrauma-Verdacht: Eltern behalten Sorgerecht

Ein Sorgerechtsstreit aus dem Landkreis Helmstedt endete nun vor dem Bundesverfassungsgericht. Den Eltern war das Sorgerecht entzogen worden, weil sie verdächtigt wurden, ihr Baby durch Schütteln schwer verletzt zu haben.

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Symbolfoto | Foto: Über dts Nachrichtenagentur

Helmstedt. Das Bundesverfassungsgericht hat am gestrigen Freitag bekannt gegeben, dass die Verfassungsbeschwerde eines Verfahrensbeistands gegen die Rückübertragung des Sorgerechts an ein Ehepaar erfolglos war. Die Eltern wurden verdächtigt, im November 2022 ihr damals vier Wochen altes Baby durch Schütteln schwer verletzt zu haben. Nachdem den Eltern das Sorgerecht entzogen wurde, bekamen sie es im Mai zurück. Der Verfahrensbeistand des Kindes legte Verfassungsbeschwerde ein.



Wie das Bundesverfassungsgericht in einer am gestrigen Freitag veröffentlichten Pressemitteilung und im Beschluss vom 20. November erklärt, sollen die Eltern - die laut NDR aus dem Landkreis Helmstedt stammen sollen - ihr Baby im Oktober 2022 nach medizinischen Komplikationen in eine Klinik gebracht haben. Dabei gaben sie an, dass das Kind am Vortag erst auffällig geschrien habe und dann erschlafft sei. Eine im Krankenhaus durchgeführte Magnetresonanztomographie des Schädels des Kindes habe einen Bluterguss unter der harten Hirnhaut, Flüssigkeitsansammlungen im subduralen Raum, Verletzungen des Hirngewebes sowie Blutgerinnsel in den kleinen Venen zwischen harter und weicher Hirnhaut gezeigt. Nach Verlegung des Kindes in ein Berliner Krankenhaus sei es dort am 17. November 2022 am Kopf operiert worden. Die festgestellten Verletzungen des Kindes seien ohne bleibende Schäden verheilt.

Familiengericht entzieht Sorgerecht


Das Familiengericht habe den Eltern daraufhin weite Teile des Sorgerechts entzogen, nachdem ein Gutachten davon ausgegangen sei, dass das Baby zwei lebensgefährliche Schütteltraumata erlitten habe, die jeweils einem der Elternteile zuzuschreiben seien. Ein Schütteln ihres Kindes hätten beide Eltern abgestritten. Sie erklärten, dass das Kind nach der Geburt ausschließlich von ihnen betreut worden und zu keinem Zeitpunkt mit anderen Personen alleine gewesen sei. Die Kopfverletzungen seien möglicherweise auf einer Fahrt zum Kinderarzt eine Woche zuvor entstanden. Dabei sei das Auto des Paaren über eine Bodenwelle gefahren und dadurch stark durchgeschüttelt worden.

Oberlandesgericht urteilt zu Gunsten der Eltern


Nach einer Beschwerde der Eltern hob das Oberlandesgericht 2023 den Entzug des Sorgerechts auf. Es entschied, dass den Eltern das Sorgerecht vollständig zurückgegeben werden könne, allerdings unter der Bedingung, dass sie mit ihrem Kind für eine vom Jugendamt festgelegte Zeit in einer Eltern-Kind-Einrichtung bleiben und später ambulante Hilfsmaßnahmen in Anspruch nehmen. Das Gericht argumentierte, dass eine dauerhafte Fremdunterbringung nicht notwendig sei, da das Risiko weiterer schwerwiegender Verletzungen durch die Auflagen ausreichend reduziert werden könne.

Der Verfahrensbeistand des Kindes, der dessen Interessen vertreten soll, legte Verfassungsbeschwerde ein. Dieser hat sich dagegen gewandt, dass den Eltern das Sorgerecht wieder übertragen worden ist, obwohl der Verdacht im Raum stand, ein Elternteil oder beide Elternteile hätten das damals rund vier Wochen alte Kind heftig geschüttelt. Er argumentierte, dass das Urteil des Oberlandesgerichts den staatlichen Schutzanspruch des Kindes verletze.

Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts


Mit Beschluss vom 20. November 2024 lehnte das Bundesverfassungsgericht die Beschwerde ab. Es bestätigte die Einschätzung des Oberlandesgerichts, dass die Gefahr einer zukünftigen Kindeswohlgefährdung durch die vorgeschriebenen Maßnahmen ausreichend minimiert werde.

Die Richter betonten, dass Kinder zwar ein Grundrecht auf staatlichen Schutz haben, wenn Eltern ihrer Erziehungsverantwortung nicht gerecht werden. Allerdings müsse stets der grundsätzliche Vorrang der Eltern gewahrt bleiben. Eingriffe des Staates, wie der dauerhafte Entzug des Sorgerechts, seien nur bei erheblicher und anhaltender Gefährdung des Kindeswohls gerechtfertigt.

In diesem Fall hielt das Gericht die Prognose des Oberlandesgerichts für verfassungsgemäß. Es stützte sich dabei auf medizinische und psychiatrische Gutachten, die zeigen würden, dass die Gefahr eines erneuten Schütteltraumas aufgrund des Alters des Kindes und seiner Entwicklung deutlich gesunken sei. Auch eine zukünftige Gewaltanwendung mit gravierenden Folgen durch die Eltern halte das Gericht für unwahrscheinlich.

Zudem bewertete das Verfassungsgericht die Auflagen, insbesondere den Aufenthalt in einer Eltern-Kind-Einrichtung, als geeignete Maßnahme, um Überforderungssituationen vorzubeugen.