Unterrichtsbeginn an Schulen: "Und dann fängt alles von vorne an."

Wie in vielen anderen Schulen begann am vergangenen Montag für die neunten und zehnten Klassen des Gymnasiums Anna-Sophianeum in Schöningen nach zehn Wochen wieder der Präsenzunterricht. regionalHeute.de hat die Schüler im neuen Alltag begleitet.

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Seit fast 400 Jahren besteht das Gymnasium Anna-Sophianeum in Schöningen. Social Distancing und Coronaunterricht sind allerdings auch für das Traditionsgymnasium neu.
Seit fast 400 Jahren besteht das Gymnasium Anna-Sophianeum in Schöningen. Social Distancing und Coronaunterricht sind allerdings auch für das Traditionsgymnasium neu. | Foto: Niklas Eppert

Schöningen. Seit zehn Wochen befindet sich ein Großteil der Schüler im Lockdown. Das bedeutet vor allem eins: Stress. Homeschooling heißt für viele Schüler nicht nur, dass sie von Internetleitung und Technik abhängig sind, es bedeutet auch wochenlang fehlender Kontakt zu Mitschülern, keine Klassenarbeiten und letztlich Unterrichtsausfall. Haben die zukünftigen Abiturienten bereits seit einigen Wochen wieder Unterricht, so hatten die neunten und zehnten Klassen am vergangenen Montag ihren ersten Tag. regionalHeute.de hat den ersten Tag des neuen Schulalltages begleitet.


Als Herzogin Anna-Sophie von Braunschweig die Schöninger Lateinschule 1639, und damit mitten im 30-jährigen Krieg, gründete hatte sie wohl kein Hygienekonzept. Die Probleme waren andere, Epidemien waren an der Tagesordnung. Gegen Krankheit gab es damals vor allem zwei Lösungswege: Naturheilkunde und Gebete. Das hat sich heute zum Glück geändert, vor allem auch durch eine breite Bildung in der Bevölkerung. Heute wissen wir, wie sich Krankheiten verbreiten. Allgemeiner Bildung sei Dank.

Heute residiert die altehrwürdige Schule in einem Funktionsbau aus der Mitte des 20. Jahrhunderts, mitten auf der Schöninger Elmstraße. Der einzige Farbschimmer, den das sonst eher triste Gebäude aufhellt, ist eine Sammlung von bunten Farbklecksen auf weißem Hintergrund über dem Haupteingang. Und Eingang ist hier wörtlich zu nehmen: Als Maßnahme gegen das Virus ist die gesamte Schule in "Einbahnstraßen" aufgeteilt, die per Pfeilen aus Klebeband auf dem Boden die Wege auszeichnen. Ein Hauch von Kreiswehrersatzamt am Gymnasium.

Die Wege für die Schüler sind mit aufgeklebten Pfeilen und
Die Wege für die Schüler sind mit aufgeklebten Pfeilen und "Verkehrsschildern" gekennzeichnet. Foto: Niklas Eppert



Unterricht vorm Handballtor


Am vergangenen Montagmorgen kamen die neunten und zehnten Klassen zurück in die Schulen. Die Q1, also der zwölfte Jahrgang, ist bereits seit einigen Wochen wieder im Unterricht. In Schöningen vor allem in der Turnhalle. Woanders sei kein Platz, erklärt Stundenplankoordinator und Sportlehrer Lars Hosse auf dem Weg in die Halle. Laut offiziellen Abmessungen dürften in den größten Klassenzimmern 22 Schüler unterrichtet werden, in Zeiten von Corona nur die Hälfte. Hosse zuckt mit den Schultern, als er vorrechnet. Klassen mit 22 oder weniger Schülern seien kaum zu finden.

In der Halle finden heute zwei Kurse zeitgleich statt, separiert durch einen herablassbaren Raumtrenner in der Mitte des Handballfeldes. Auf der rechten Seite des großen Kunstoffvorhanges sitzt der Politik-Leistungskurs von Marco Köhler. Die Themen: Wirtschaft, Krisen, Arbeitslosigkeit. Die hätten auch ohne Corona im Curriculum gestanden. Ironisch wirkt das Ganze trotzdem. Die Tische stehen zwischen Handballtor und Mittelkreis, Köhler unterm Basketballkorb und referiert über das Bruttoinlandsprodukt. Auf dem Hallenboden ist eine Plane ausgelegt, sie soll den Boden vor den rückenden Stühlen schützen. Irgendwann soll in der Sporthalle immerhin wieder Sport stattfinden.

Die Schüler der Q1 machen im kommenden Jahr ihr Abitur. Die Vorbereitung darauf findet in der Sporthalle statt.
Die Schüler der Q1 machen im kommenden Jahr ihr Abitur. Die Vorbereitung darauf findet in der Sporthalle statt. Foto: Niklas Eppert


Auf der anderen Seite unterrichtet Martin Wagener seinen Geschichts-Leistungskurs. In normalen Zeiten sitzen hier 15 Schüler, heute sitzt Wagener allein mit seinen Schülerinnen Sonja und Alina im improvisierten Klassenzimmer. Eigentlich seien in dieser Gruppe mehr als zwei Schülerinnen, der Rest sei im Homeschooling. Die drei reden über Migration, Reisefreiheit und die großen Entdeckungsfahrten der frühen Neuzeit. Immer wieder ist der Politik-LK nebenan zu hören, mindestens als undeutliches Grollen. Dabei schreit niemand, niemand lacht laut. Die Schüler sind bemüht ruhig zu sprechen. Immerhin ist "nebenan" auch Unterricht.


Von Standbildern und "Schooloffice"


Denn eigentlich, erklärt Wagener, seien seine 15 Schüler in zwei Gruppen aufgeteilt, elf in Gruppe B und vier in Gruppe A. Alina und Sonja seien die eine Hälfte der Gruppe A, die andere habe sich vom Unterricht befreien lassen. Wer regelmäßigen Kontakt zu Risikogruppen hat, könne dies tun. Die Schule schicke dann Aufgaben, die erledigt werden müssen. Videokonferenzen und E-Mails seien auch möglich, sogar ein Messenger sei eingerichtet worden. Alles stehe und falle jedoch mit der technischen Ausstattung und Internetleitung der Schüler. Da könne die Schule wenig ausrichten, erklärt Schulleiter Michael Kluge.

Die Schülerinnen Sonja (links) und Alina mit Geschichtslehrer Martin Wagener:
Die Schülerinnen Sonja (links) und Alina mit Geschichtslehrer Martin Wagener: "Der Rest der Gruppe ist im Homeschooling". Foto: Niklas Eppert


"Es gibt immer noch Orte in unserem Einzugsbereich, die nicht ausreichend Internet haben", erzählt Kluge. Das bedeute Standbilder und unterbrochene Verbindungen bei den Schülern. Keine guten Voraussetzungen für Homeschooling. Dazu kämen fehlende Endgeräte: In vielen Familien gebe es nur einen Computer oder ein Tablet, das mehrere Kinder benutzen müssten. Das führe zu Konflikten. Die Schule versucht das so gut wie möglich abzufedern: Schüler mit solchen Problemen könnten im schuleigenen Computerraum ihre Aufgaben erledigen. Hier könne mit ausreichend Abstand gearbeitet werden. Die Zahl, die damit abgefangen werden könnte, sei aber äußerst begrenzt. So wie die Möglichkeiten, die eine einzelne Schule habe.

"Der wird genauso krank wie wir!"


Szenenwechsel: Für die 9b bricht an diesem Montag der erste Schultag nach geschlagenen zehn Wochen an. Christian Marschall, Oberstufenkoordinator, unterrichtet im zweiten Block Politik. Der erste Unterricht nach der Zwangspause war Kunst. Zu Beginn spricht Marschall mit den elf Teenagern über Allgemeines. Wie die Zeit im Lockdown war, ob sie ihre Aufgaben erledigt hätten und wer sich darüber freue, wieder in der Schule zu sein. Pflichtbewusst gehen die Arme der Teenager hoch, die Minen sprechen eine andere Sprache. Vieles sorgt für Unverständnis, vor allem eine Schülerin beschwert sich: "Warum darf er hier sein und andere müssen zu Hause bleiben? Der wird doch genauso krank wie wir!", sagt die Teenagerin mit Blick auf den Redakteur in der letzten Reihe.

Aktuell läuft die Beschulung auf dem Anna-Sophianeum im Rotationsverfahren. Die Klassen sind in Gruppen aufgeteilt, die abwechselnd von Woche zu Woche unterrichtet werden sollen. Bei besonders großen Klassen rotieren einzelne Schüler in einem eigenen System, sodass die Gruppen nicht immer fest sind. Dazu kämen die individuellen Kurswahlen der Oberstufenschüler. Für all das gäbe es keine einheitliche Regelung aus höheren Stellen, erklärt Direktor Kluge. Das Land habe lediglich vier Modelle vorgeschlagen, verbindlich sei jedoch keines. "Am Ende entscheidet die Schule, wie sie die Klassen rotieren lässt." Das sorge nicht gerade für Planungssicherheit. Andererseits könne auch kein einheitliches Hygienekonzept vorgeschrieben werden. "Jede Schule ist unterschiedlich", so Kluge. "Wir haben nicht sehr breite Gänge, daher haben wir uns für die Einbahnstraßen entschieden. In anderen Schulen muss das nicht nötig sein."

Schulleiter Michael Kluge in seinem Büro:
Schulleiter Michael Kluge in seinem Büro: "Jede Schule ist unterschiedlich." Foto: Niklas Eppert


Konzepte und Vorsichtsmaßnahmen treffen auf überfüllte Busse


Daher habe das Anna-Sophianeum seinen eigenen "Organisations- und Hygieneplan Corona" erarbeitet. Über 13 Seiten führt die Schule in diesem Dokument aus, wie Schüler und Lehrer sich in der Coronakrise zu verhalten hätten. Mit einer gekürzten Version hätten sich die Schüler als Pflichthausaufgabe vertraut machen müssen. Dabei ginge es keinesfalls nur um das Verhalten in der Schule selbst, der Leitfaden erklärt auch, wie man sich auf Schul- und Heimweg zu verhalten habe. Speziell in den Bussen.

Denn gerade hier hätten die Schüler Schwierigkeiten Abstände zu halten. Laut Schülern würden die Viersitzer besetzt, die Situation an den Buseingängen sei schwierig, manche Schüler müssten stehen, weil die Busse nur begrenzten Platz böten. Dabei sind bei weitem noch nicht alle Schüler wieder im Unterricht. Die Klassen 5 bis 8 kommen erst in den nächsten Wochen stufenweise in die Schulen zurück. Eine Situation, die die Schulleitung umtreibt. Deshalb hätten sie auch die Regeln für den Heimweg in den Hygieneplan für Schüler aufgenommen.

Denn letztlich könnten die Schulen neuer Infektionsherd werden. Schüler entwickelten weniger Symptome, manche trotz Erkrankung gar keine. So bleibt die Krankheit lange unentdeckt. Hier, so glaubt Kluge, müsste die Politik nachsteuern, unabhängig von den finanziellen Kosten. Denn infizierte Schüler könnten der Pandemie letztlich zu neuem Auftrieb verhelfen: "Ein Schüler, der sich bei einem anderen, unbemerkt infizierten Schüler ansteckt, trägt das Virus nachhause und steckt auf seine Familie an. Die tragen das Virus in die Betriebe." Die Zahl der Infizierten steigt. Und dann fängt alles von vorne an.


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