Niedersachsen. Der Niedersächsische Minister für Inneres und Sport, Boris Pistorius, und die Niedersächsische Justizministerin, Barbara Havliza, haben am Montag das erste gemeinsame Lagebild von Polizei und Justiz zur Clankriminalität in Niedersachsen vorgestellt. Die Clankriminalität stelle die Strafverfolgungsbehörden anhaltend vor große Herausforderungen, auch wenn sie statistisch weniger als ein halbes Prozent der polizeilich erfassten Kriminalität ausmache. Das berichtet die Niedersächsische Landesregierung in einer Pressemitteilung.
Der Clankriminalität werden nach einer zwischen Justiz und Polizei abgestimmten Definition sämtliche Fälle – von kleineren Ordnungswidrigkeiten bis hin zur organisierten Kriminalität – zugeordnet, wenn sie bestimmte Kriterien erfüllen. Hierzu werden die Fälle bei der Polizei im Vorgangsbearbeitungssystem entsprechend markiert, damit sie dann fortlaufend gezielt ausgewertet werden können.
Was macht einen Clan aus?
Grundlage der polizeilichen Erfassung für dieses Lagebild ist ein zweiteiliges Begriffsverständnis, wonach der Clan eine durch verwandtschaftliche Beziehungen und eine gemeinsame ethnische Herkunft verbundene Gruppe ist. Die kriminelle Clanstruktur ist ein durch ergänzende Indikatoren geprägter Clan. Diese Indikatoren umfassen unter anderem
- das Ausleben eines stark überhöhten familiären Ehrbegriffs und das innerfamiliäre Sanktionieren von Verstößen gegen diesen Ehrbegriff,
- das Voranstellen von familieninternen, oft im Gewohnheitsrecht verwurzelten Normen über das Gesetz und die Verfassung,
- ein hohes Maß an Gewaltbereitschaft, welche durch ein hohes Mobilisierungspotential gestützt wird,
- das Provozieren von Eskalationen auch bei nichtigen Anlässen oder geringfügigen Rechtsverstößen unter Ausnutzung clanimmanenter Mobilisierungs- und Bedrohungspotentiale,
- eine mangelnde Integrationsbereitschaft, die mitunter Aspekte einer Ghettoisierung bis hin zur inneren Abschottung enthält und ein bewusstes oder generelles Ablehnen der allgemeinen Rechtsordnung erkennen lässt und
- eine den Rechtsstaat umgehende oder unterlaufende Paralleljustiz.
Es handelt sich um Strukturen, in denen neben der Begehung von Straftaten das Verursachen von Gefahren für die öffentliche Sicherheit durch ein familiäres Netzwerk geduldet, gefördert oder geprägt wird.
Knapp 2.000 Fälle registriert
Insgesamt 1.951 Fälle wurden im Jahr 2020 der Clankriminalität zugeordnet. Verglichen mit der gesamten Polizeilichen Kriminalstatistik ergibt dies für die Clankriminalität einen prozentualen Anteil von 0,39 Prozent. Rohheitsdelikte und Straftaten gegen die persönliche Freiheit machen dabei den überwiegenden Teil der Gesamtfälle der Clankriminalität aus. 1.886 Personen wurden als Tatverdächtige oder Beschuldigte erfasst. Davon waren 85 Prozent männlich und mehr als 40 Prozent in einem Alter von unter 25 Jahren.
Die Tatverdächtigen mit einer deutschen Staatsangehörigkeit (zirka 71 Prozent) wurden auch überwiegend in Deutschland geboren (zirka 76 Prozent). In Bezug auf die Herkunft dominieren neben der Bundesrepublik Deutschland die Staaten Türkei und Libanon. Insgesamt wurden Vermögenswerte in Höhe von 946.000 Euro vorläufig gesichert.
Keine Hot Spots feststellbar
Die Tatorte verteilen sich – in unterschiedlicher Ausprägung – nahezu über das gesamte Flächenland Niedersachsen und zwar sowohl in städtischen als auch in ländlichen Gebieten. Eine dauerhafte Konzentration an bestimmten Orten ist nicht festzustellen. Sogenannte Hot Spots wie in anderen Bundesländern gibt es nicht.
Der Präsident des Niedersächsischen Landeskriminalamtes, Friedo de Vries, sagt: „Die Bedeutung des Phänomens Clankriminalität lässt sich nicht allein an den Zahlen ablesen. Diese spiegeln nicht die Intensität wieder, mit der sich die Polizei Niedersachsen dem Phänomen widmen muss. Eine verhältnismäßig geringe Zahl von Fällen bindet in der Lagebewältigung Ressourcen im hohen Maße. Die eigenen Regeln werden Gesetzen vorangestellt, gerichtliche Beschlüsse nicht akzeptiert oder Selbstjustiz ausgeübt. Hinter einzelnen Straftaten stehen oftmals dutzende eingesetzte Polizeikräfte. Das Provozieren massiver Eskalationen bei nichtigen Anlässen oder sogenannte Tumultlagen stellen nicht nur die Polizei, sondern auch das gesellschaftliche Umfeld immer wieder vor Herausforderungen.“
"Konsequente Strafverfolgung wichtig"
Justizministerin Havliza: „Die einheitliche Landesrahmenkonzeption und die gemeinsame Richtlinie über die Zusammenarbeit sind wichtige Bausteine, um konsequent und erfolgreich auf die vielen Erscheinungsformen der Clankriminalität reagieren zu können. Das ist wichtig, denn Clanstrukturen finden sich im städtischen wie im ländlichen Raum. Und Clan-Kriminalität beginnt nicht erst ab der Schwelle zur Organisierten Kriminalität sondern deutlich darunter. Das Ziel ist daher, dass konsequente Strafverfolgung auch dort einsetzt. Wenn leichtere und kleinere Delikte nicht strikt geahndet werden, ermutigt das zu schwerer Kriminalität. Hier ist die enge Vernetzung von Polizei und Staatsanwaltschaft der zentrale Baustein. Diesen Weg werden wir konsequent weitergehen. Bei den Folgen für die Täter geht es darüber hinaus nicht nur um Strafe im klassischen Sinn. Nachhaltige Bekämpfung der Clankriminalität heißt auch Vermögenssicherung und Vermögensabschöpfung. Verbrechen darf sich niemals lohnen.“
Ein weiterer wichtiger Baustein bei der Bekämpfung der Clankriminalität sei die Einschränkung der Mobilität. Hochwertige Kraftfahrzeuge stellten bei kriminellen Clanangehörigen ein wichtiges Statussymbol dar. Neben der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung (zum Beispiel Einziehung von Kraftfahrzeugen) stellten deshalb auch fahrerlaubnisrechtliche Maßnahmen ein wirksames Mittel bei der Bekämpfung der Clankriminalität dar. Auch Finanzermittlungen sollten noch stärker in den Fokus rücken. Hierzu werde derzeit im Innenministerium eine Landesrahmenkonzeption entwickelt mit der Zielsetzung, die Vermögensabschöpfung im Bereich herausragender krimineller Akteure und Strukturen weiter zu stärken.
Kryptowährungen im Blick
Innenminister Pistorius dazu: „Dabei nehmen wir auch intensiv die neuesten technischen Entwicklungen im Bereich der Finanzkriminalität in den Blick. So spielen beispielsweise Kryptowerte bereits heute eine erhebliche Rolle bei der Geldwäsche. Tatverdächtige können diese Kryptowährungen innerhalb von Sekunden weltweit transferieren und damit dem Zugriff der Ermittlungsbehörden entziehen. Darauf reagieren wir sowohl im Bereich der Ermittlungsarbeit als auch im Bereich der Gesetzgebung – insbesondere zur Geldwäsche. Wir tun das, was Kriminellen neben der Einschränkung ihrer Mobilität am meisten wehtut: Ihnen das Geld und die Vermögenswerte wegnehmen, die sie illegal erlangt haben.“
Ein weiterer Hebel im Kampf gegen Clankriminalität sei die Prüfung von Abschiebungen. Pistorius: „Wenn die Täter massiv gegen geltendes Recht verstoßen und gleichzeitig einen Aufenthaltsstatus haben, schöpfen wir alle Mittel des Aufenthaltsrechts in jedem Einzelfall aus, um den Aufenthalt hier zu beenden! Das Innenministerium hat hierzu eine Arbeitsgruppe eingerichtet, die im Zusammenwirken mit den Sicherheitsbehörden die Ausländerämter beraten und unterstützen soll“, so Pistorius weiter. „Es ist wichtig und notwendig, dass wir die Bekämpfung der Clankriminalität mit 150 zusätzlichen Ermittlerinnen und Ermittler und der Einrichtung von sogenannten Ständigen Ermittlungsgruppen in allen Polizeiinspektionen weiter stärken und intensivieren.“
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