Hohe Gaspreise: Gehen uns nächstes Jahr die Nudeln aus?

Die Region ächzt unter hohen Gaspreisen. Aber nicht nur die warme Bude ist teurer geworden, auch unser Brot hängt direkt an den Gaspreisen. Dabei ist eine Entspannung der Lage kaum in Sicht.

Die Ernte des kommenden Jahres ist aktuell ein großes Fragezeichen. Dahinter steckt der hohe Gaspreis.
Die Ernte des kommenden Jahres ist aktuell ein großes Fragezeichen. Dahinter steckt der hohe Gaspreis. | Foto: Anke Donner

Region. Während der Ärger über die hohen Gaspreise vor allem beim Thema Heizen groß ist, trifft der steigende Preis auch einen Wirtschaftszweig besonders hart: Die konventionelle Landwirtschaft. Denn Erdgas ist Teil der Produktionskette für Düngemittel, besonders für solche auf Stickstoffbasis. Und wenn die Gaspreise steigen, dann steigen auch die Düngerpreise. Das wiederum führt zu weniger Masse und Qualität beim Getreide und damit auch zu weniger Ertrag. Mit empfindlichen Folgen für unsere Grundnahrungsmittel.


Dass das Heizen teurer wird, wenn die Erdgaspreise steigen, ist jedem bewusst. Aber nicht nur die warme Wohnung kostet mehr, wenn weniger Gas durch die Pipelines strömt. Auch die Landwirtschaft hat darunter zu leiden. Immerhin düngt die mit Stickstoffdünger ihre Pflanzen. Und der wiederum braucht Erdgas, um überhaupt produziert zu werden. Wird das Gas also zu teuer, teilt der Dünger dieses Schicksal. Oder die Produktion wird gleich ganz eingestellt, wie etwa beim norwegischen Chemiekonzern Yara, der im September seine Produktion von Harnstoffen stoppte. Bei den aktuellen Gaspreisen sei eine wirtschaftliche Herstellung von Dünger einfach nicht mehr möglich, teilt das Unternehmen, das zu einem Drittel dem Staat Norwegen gehört, in einer Presseerklärung mit.


Und Yara ist als einer der größten Player auf dem Markt sicher kein kleines Licht. Das schlägt sich in der Preisentwicklung nieder: Lag der Preis von Diammoniumphosphat im November 2020 noch bei 359 US-Dollar pro Tonne, ist er bis zum gleichen Monat dieses Jahres auf 726 US-Dollar pro Tonne gestiegen. Er hat sich also mehr als verdoppelt. Die Folgen für die Landwirte sind empfindlich.

Hungernde Pflanzen auf den Äckern


Ulrich Löhr, der Vorsitzende des Niedersächsischen Landvolkes Braunschweiger Land, sieht bereits jetzt, wie sich der fehlende Dünger auf die Arbeitsprozesse auswirkt. Manche Landhändler, das beschreibt Löhr, könnten schlicht kein Angebot mehr für Dünger vorlegen. Auch wenn Yara nun angekündigt hat wieder produzieren zu wollen, hilft das wenig. "Die Düngermenge, die in den letzten Monaten nicht produziert wurde, wird definitiv am Ende fehlen", glaubt Löhr.


Im Klartext heißt das, dass Bauern entweder auf "Naturdünger", wie etwa die viel kritisierte Gülle, umsteigen, weniger dünge-intensive Pflanzen, zum Beispiel Bohnen, anbauen oder eben Einbußen beim Ertrag hinnehmen. Egal wofür sie sich entscheiden, für Ulrich Löhr kommt am Ende immer das gleiche Ergebnis dabei raus: Die Einkommenseinbußen der Landwirtschaft würden erheblich sein. Und im schlimmsten Fall könnten die Mühlen nicht mehr regional beliefert werden. Garantieren könne man ausreichende Erträge schon jetzt nicht mehr.

Landhandel bleibt gelassen


Der Landhändler Agrarvis dagegen sieht die Lage vergleichsweise entspannt. Auf Nachfrage von regionalHeute.de erklärt das Unternehmen, dass Dünger, der heute bestellt werde, auch im Februar ausgeliefert würde. Einen Mangel am Produkt selbst will Agrarvis nicht erkennen, sehr wohl aber einen in der Verfügbarkeit, jedenfalls bei Kali- und Phosphatdüngern. Hier seien besonders Handelsbeschränkungen mit China und Russland ein wichtiger Faktor, ebenso fehlende Transportkapazitäten auf Wasser und Straße. Letzteres zumindest ist auf die Pandemie zurückzuführen.


Die Produktion von Stickstoffdünger dagegen hänge besonders an den Gaspreisen. Und die haben sich in den letzten Monaten verfünffacht. Es bleibt also unsicher, auch wenn Agrarvis beteuert, dass der Düngereinkauf für die Bauern auch bei derart hohen Preisen lohnend sei. Immerhin stiegen auch die Preise von Weizen und Raps, erklärt eine Unternehmenssprecherin auf Nachfrage von regionalHeute.de. Eine große Wahl scheint den Bauern auch nicht zu bleiben. Agrarvis rechnet frühestens im Sommer mit einer Entspannung der Lage. Dann nämlich, wenn nicht mehr gedüngt werden muss. Dann könnten wieder Lagerbestände aufgebaut werden. Der Landhandel Otto Rautenschlein ließ eine Anfrage zu dem Thema unbeantwortet.

Es knirscht in den Mühlen


Weniger entspannt blickt man in der Mühle Rüningen auf die Lage. Hier kommt am Ende der Weizen an, um zu Mehl verarbeitet zu werden. Ob die kommende deutsche Ernte am Ende ausreicht, um die Kapazitäten der Mühlen auszufüllen, ist derzeit unsicher. Man rechne zwar vorerst damit, dass genug Qualitätsweizen aus Deutschland geliefert werden würde, sicher könne aber aktuell niemand sein, auch wenn Deutschland auf dem Papier noch ein Überschussland sei. Man halte bereits Ausschau nach Importmöglichkeiten aus dem EU-Ausland oder den USA und Kanada, auch wenn dieses Szenario noch fern am Horizont liegt, erklärt Einkäufer Peter Blumenberg im Gespräch mit regionalHeute.de. Damit rechnen müsste man trotzdem.


Dabei ist es nicht nur der Mangel an Dünger, der der Mühle Rüningen Sorge bereitet. Bereits mit der EU-Düngeverordnung sei die Lage schwieriger geworden, für Landwirte und Mühlen. Denn schon die verknappt den Düngereinsatz per Gesetz. Weniger Dünger bedeute aber weniger Gluten und weniger Protein und damit weniger Qualität. Aber auch die Masse schrumpft, wenn weniger gedüngt wird. Gerade der Einzelhandel habe aber hohe Ansprüche, zudem eigne sich nicht jedes Mehl für jedes Endprodukt. Am Ende könnte also Mehl fehlen. Und wenn weniger Mehl da ist, dann steigen die Preise für Brot und Nudeln.

Dann bekommt der Endverbraucher den fehlenden Dünger zu spüren. Die Mühlen könnten daran wenig ändern. "Wir befinden uns hier in einer Sandwichposition zwischen Landwirten und Einzelhandel", so Blumenberg. "Wir sind eben keine Schraubenfabrik, die einfach ihre Maschinen hochfahren kann. Wir sind sehr vom Rohstoff abhängig."

Kurzfristige Entspannung nicht in Sicht


Einig sind sich alle, dass sich die Lage nicht kurzfristig entspannen wird. Damit die Preise für Stickstoffdünger sich normalisieren, müssten die Gaspreise erheblich sinken. Auch wenn sie in den letzten Wochen einen leichten Abwärtstrend zeigen, kann von Entspannung aber keine Rede sein. Die Preise bewegen sich immer noch auf hohem Niveau. Und damit erhält das Düngerproblem eine durchaus politische Dimension, glaubt zumindest Ulrich Löhr vom Landvolk. Eine Fertigstellung der Pipeline NordStream 2 etwa könnte zur Entspannung der Gaspreise sorgen, jedenfalls in Deutschland. Und damit auch zu einer Entspannung der Düngerpreise.


In allen anderen Bereichen kranke der Düngermarkt aber an denselben Symptomen, wie der Rest des Welthandels: Durch die Pandemie seien Lieferketten erheblich gestört, erklärt Agrarvis. Schiffe bleiben in den Häfen, Grenzen sind weniger durchlässig als früher. Gift für den Welthandel. Wann die Düngerkrise also um ist, hängt an mehreren Faktoren. Und ob die in absehbarer Zeit gelöst werden, bleibt zumindest fraglich. Ein weiterer Nebeneffekt: Das für Dieselfahrzeuge vorgeschriebene AdBlue ist ein Nebenprodukt der Düngemittelproduktion. Ob sich hier bereits die nächste Krise am Horizont abzeichnet, wird die Zukunft zeigen müssen.


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