Hollands Digital-Schulen waren ein Flop: Geht es besser?


Gescheitert: reine Laptop-Schulen, in denen die Schüler auch bestimmen, was und wann sie lernen. Quelle: Focus, Petra Apfel/FOL
Gescheitert: reine Laptop-Schulen, in denen die Schüler auch bestimmen, was und wann sie lernen. Quelle: Focus, Petra Apfel/FOL | Foto: Focus, Petra Apfel/FOL

Deutschland hat ein Digitalisierungs-Problem an seinen Schulen: fehlende Internet-Anschlüsse, instabiles Netz, zu wenige Computer. Die Niederländer sind beim Thema digitales Lernen viel weiter. Es gibt sogar Schulen, die ganz auf Bücher verzichten und nur aufs iPad für die Schüler setzen. FOCUS Online-Reporterin Petra Apfel hat festgestellt, dass es nicht funktioniert.


Mit fünf Milliarden Euro für das „Digitalpakt#D“ will die Bundesregierung die Schulen bis 2022 digital auf Vordermann bringen. Doch es gibt in Deutschland noch nicht einmal Konsens darüber, ob und wie der Unterricht digital gestaltet werden soll. Zu diesem Ergebnis kam 2017 der „Monitor digitale Bildung“ der Bertelsmann Stiftung. Nur zehn Prozent der befragten Lehrer setzten Lern-Apps oder Lernspiele im Unterricht ein. Nur jeder vierte Lehrer glaubte, dass digitale Medien sich positiv auf den Lernerfolg der Schüler auswirken.

In Holland ist das alles anders: Die technische Infrastruktur ist bis in den letzten Winkel gegeben. Die Verantwortlichen sind bereit, Geld für die digitale Aufrüstung der Schulen in die Hand zu nehmen. Und gerade die jüngeren Lehrer haben keine Berührungsängste vor Medien, die ohnehin jeder nutzt. Laptop und Lernsoftware gehören schon an der Grundschule zum Alltag.

Auch aus Fehlern anderer Länder kann man lernen


Manchmal schießt die Digitalisierungs-Euphorie allerdings über das Ziel hinaus. Und so ist in dem Land, das bekannt ist für seine Experimentierfreude im Bildungswesen, die komplett digitalisierte Schule krachend gescheitert. Das Beispiel der „Steve-Jobs-Schulen“ zeigt, dass man neue Wege nicht im Galopp nehmen kann, sonst fliegt man schnell aus der Kurve.

Es war ein beachtlicher Start, den Maurice de Hond 2013 mit den „Steve-Jobs-Schulen“ hinlegte. Der prominente Meinungsforscher wollte eine „andere“ Grundschule für seine Tochter und machte sich eine Besonderheit des holländischen Schulsystems zunutze: Jeder Bürger kann eine Schule gründen und dort nach selbst gewählten Methoden unterrichten – sofern er die vom Bildungsministerium vorgegebenen Lernziele erreicht.

Ein iPad statt Lesebuch, Heft und Stifte


Der Holländer stellte sich ein rein auf Computerprogramme gestütztes, personalisiertes Lernen in individuellem Tempo vor, mal in der Schule, zeitweise auch zu Hause, mit Unterricht als Workshops in Räumen, die nichts mit Klassenzimmern zu tun haben sollten, und Lehrern, die sich „Coaches“ nennen. Sie sollten die Schüler bei ihrem selbstgewählten Wissenserwerb per Laptop eher unterstützen als anleiten. Mit Englisch sollten schon die vierjährigen ABC-Schützen Bekanntschaft machen – das praktizieren allerdings auch andere holländische „Basisscholen“.

Hundert Schulen mit dem Namen des von de Hond bewunderten Apple-Gründers sollte es bis 2016 in den Niederlanden geben. Auch ins Ausland sollte das Konzept „O4NT“, der „Unterricht für eine neue Zeit“, exportiert werden. Heute sind kaum mehr iPad-Schulen übrig, den Namen „Steve Jobs“ tragen sie längst nicht mehr. „O4NT“ mit seinem Lehrkonzept und der dazugehörigen Software ist zahlungsunfähig, Maurice de Hond schweigt. Auf Anfragen von FOCUS Online gab es keine Reaktion.

Begeisterte Lehrer, skeptische Eltern


Anfangs waren viele Pädagogen vom Prinzip des individuellen digitalen Lernens sehr angetan. Bildungsforscherin Guuske Ledoux von der Universität Amsterdam sagte im Gespräch mit FOCUS Online: „Grundsätzlich ist es ein guter Ansatz, dass Kinder nach ihrem eigenen Tempo lernen sollen. Und die iPad-Schulen haben viel Zuspruch erhalten – von Seiten der Lehrer. Allerdings ist das Misstrauen vieler Eltern gegenüber dem rein digitalen Lernen sehr groß.“

So wie bei Taxifahrer Wim van Zanden aus Hilversum. Er erzählte auf einer Fahrt durch die Provinz, dass er gerade seine vierjährige Tochter zur Schule angemeldet hat. „Wir haben uns einige angeschaut, die Montessori-Schule hat meiner Frau und mir am besten gefallen.“ Er habe bei der Suche auch eine Schule gesehen, wo der Unterricht digital stattfindet. „Stellen Sie sich das mal vor, nur Computer, keine Bücher. Das ist doch verrückt.“

 Laptops gehören in Holland ganz selbstverständlich zum Unterricht - aber nicht als einziges Lehrmittel. Quelle: Focus, Petra Apfel/FOL
Laptops gehören in Holland ganz selbstverständlich zum Unterricht - aber nicht als einziges Lehrmittel. Quelle: Focus, Petra Apfel/FOL Foto: Focus, Petra Apfel/FOL


An den Steve-Jobs-Schulen sank die Leistung


Maurice de Hond selbst sah seine Schulen als eine moderne Version der Idee von Maria Montessori. Das selbstbestimmte Arbeiten am Laptop sollte die Schüler nicht nur motivieren, sondern auch die Leistung verbessern und sogar soziale Benachteiligung ausgleichen können. Soweit die Hoffnung.

Heute rudern die Anhänger der Digitalisierung zurück. Die Steve-Jobs-Schulen von Maurice de Hond gelten als gescheitert. Das liegt weniger am Medium Laptop als am Prinzip des völlig selbstbestimmten Lernens damit. Basiswissen und –fähigkeiten wurden vernachlässigt. Kinder, die an andere Schulen wechselten, waren ihrer Gruppe weit hinterher.

Der Amsterdamer Schulbuchverleger Arjen Holl beobachtet, dass „digitales Lernen zunimmt, aber deutlich langsamer als vor zehn Jahren prognostiziert. Es gibt teils finanzielle Grenzen, aber auch pädagogische.“ Viele Schulen hätten nicht das Geld, für alle Schüler Laptops zu kaufen oder die hohen Kosten für den IT-Support zu stemmen.

Nur Mathe profitierte vom Computer-Lernen


Joost Mejer vom Kohnstamm-Institut der Uni Amsterdam, der sich mit den Effekten des digitalisierten Lernens beschäftigt, sagt: „Wir haben herausgefunden, dass das rein digitale Lernen allein in Mathematik einen Motivationsschub gab, nicht aber in anderen Fächern.“

Besonders gravierend: Die Qualität der Steve-Jobs-Schulen ließ insgesamt so nach, dass die Inspektoren der Schulbehörde auf den Plan gerufen wurden. An eine Schule, die vom Staat „überwacht“ wird und ein schlechtes Ranking bekommt, schickt aber niemand sein Kind.

Kaum Schüler und viel zu teuer


Und so fanden einige Schulen nicht genügend Schüler, um sie am Laufen zu halten. Die staatliche Finanzierung hängt in erster Linie von der Schülerzahl ab. Gleichzeitig wurde die mit dem „O4NT“-Konzept verbundene Software immer teurer, was das Budget der Schulen sprengte. Eine nach der anderen kehrte zu früheren Lehrmethoden zurück oder wählte Lehransätze, bei denen das Laptop integriert, aber nicht das bestimmende Medium ist.

Übrigens: Steve Jobs selbst soll sich explizit gegen iPads im Schulunterricht ausgesprochen haben.

Von den Niederlanden lernen


10 Dinge, die an Hollands Schulen besser laufen als bei uns

Um fit für die Zukunft zu sein, muss Deutschland in Bildung investieren – darüber sind sich alle einig. Dafür könnte es sich bei anderen Ländern einiges abschauen. Unsere holländischen Nachbarn haben an den Grundschulen bereits Dinge umgesetzt, die auch viele deutsche Bildungsexperten als nötige Reformen einfordern.

  1. Die Grundschule beginnt früh, schon ab vier Jahren. Die Differenzierung erfolgt erst nach acht Jahren gemeinsamen Lernens mit zwölf.

  2. Eltern haben von Anfang an freie Schulwahl, unabhängig von der Adresse.

  3. Der Unterricht beginnt überall erst um 8.30 und endet um 14.30 oder 15.00 Uhr. Hausaufgaben gibt es nicht.

  4. Fast alle Schulen werden vom Staat finanziert, auch die der privaten Träger.

  5. Jeder Schule steht es frei, nach welcher Methode sie unterrichten will.

  6. Das Bildungsministerium gibt landesweit einheitliche Lernziele sowie die Tests vor, welche diese abrufen. Der wichtigste „Cito“-Test erfolgt am Ende der Grundschulzeit.

  7. Nicht allein die Lehrer entscheiden über die weitere Schullaufbahn, sondern deren Beurteilung plus der Cito-Test.

  8. Es gibt keine Lehrer-Beamten. Lehrkräfte bewerben sich, wo sie wollen. Schulen stellen ein, wen sie wollen.

  9. Schulpraxis gehört vom ersten Tag an zur Lehrerausbildung.

  10. Holland hat landesweit die perfekte Infrastruktur für digitales Lernen. Die Schulen sind überwiegend mit der nötigen Hard- und Software ausgestattet. Lehrer setzen sie auch ein.



14 Länder, 14 Reporter


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