In der Brackstedter Mühle mögen sich Tradition und Zukunft

von Andreas Molau




In der Brackstedter Mühle wird man seit über 100 Jahren kulinarisch verwöhnt. Den Gast erwartet heute eine traditionelle Küche mit neuen Ideen.


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Es ist, als habe die Zeit direkt in die Speichen des alten Mühlrades gegriffen, um das nicht enden wollende Drehen und Knirschen zu beenden. Man kann sich ein Ende nie so recht ausmalen, wenn man sich gerade im Glücksrausch befindet. Da genießen Mutter und Vater das Glück, ein kleines Kind in den Armen halten zu dürfen. Und es gibt gar keinen Raum für die Vorstellung, dass er irgendwann mal auf und davon ist und man allein da sitzt. Die schönen Dinge scheinen im Genuss des Augenblicks für die Ewigkeit zu sein und sind doch genauso vergänglich wie der Schmerz. Diese Gedanken gehen mir durch den Kopf, während ich auf meine Gesprächspartner von der Brackstedter Mühle warte. Ohne Navi von Braunschweig aus kommend, war es wirklich einfach dorthin zu gelangen. Zwei Dörfer nach dem Ende der Autobahn. Im Zweiten an der Kirche rechts ab und dann fällt man gleichsam in den Mühlenkomplex. Es ist endlich mal nicht so warm. Der Wind streift kühlend durch das Grün.


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Christiane und Elmar Schuster leben für die Gastronomie.[/image]

»In einem kühlen Grunde, da geht ein Mühlenrad…«

Unter dem Steg, der mit Tischen besetzt ist, ruht scheinbar der Bach. Da ist das Mühlrad, das sich hier sechshundert Jahre gedreht haben muss. Die Mühlengeister mögen träge auf den mürben Sprossen ruhen und von vergangenen Zeiten träumen. Was ist das für eine Ewigkeit? Sechshundert Jahre. Kaum fassbar. Die Straße heißt »Zum kühlen Grunde«. Das alte Volkslied. »In einem kühlen Grunde, da geht ein Mühlenrad. Mein‘ Liebste ist verschwunden, das dort gewohnet hat.« Wenn ich nicht wüsste, dass es Zufall ist oder besser historisch gewachsen. Ein PR-Manager hätte keine grandiosere Idee haben können. Und seit hundert Jahren gibt es an dieser Stelle also Gastronomie. Seit fast 80 Jahren in der Hand einer Familie. Während ich so vor mich hin sinniere, kommen die beiden. Christiane und Elmar Schuster. Gute Recherche vorweg ist wichtig für solche Gespräche. In diesem Fall hätte ich mich nicht vorbereiten müssen.

Individuelle Bedürfnisse

Mein Oktavheft mit den Fragen bleibt ganz unberührt. Erst zum Schluss stelle ich fest, dass manches gefragt wurde, was vorbereitet war, anderes ungesagt bliebt und manches dazu kam, das ich mir gar nicht überlegt hatte. Jedes Haus hat einen Charakter. Das gilt genauso für Restaurants. Dieser Charakter wird durch die Menschen geprägt, die darin leben und wirken. Und durch diejenigen, die vorher dort gelebt und gewirkt haben. Christiane und Elmar Schuster verkörpern in einem Ehepaar beides. Der Charakter ihres Hauses: Heimelig und offen zugleich. Sie stammt vom Hof und schaut auf eine stolze Ahnenreihe in der Mühle zurück. Er kommt aus dem Rheinland dagegen frisch in den Wolfsburger Raum – von der Sprachmelodie leicht zu erkennen – und ist mit jeder Faser Gastronom, wie sich nach einigen lockeren Bemerkungen zeigt. Wir reden erst über alles Mögliche. Allergien, Laktoseunverträglichkeit, Veganismus. Die Facetten kulinarischer Ansprüche sind vielfältig geworden. Es sei nicht immer leicht, alles unter einen Hut zu bringen. Aber so eine Bemerkung hört sich bei den beiden weniger als Klage, sondern mehr als Herausforderung an.

Gastfreundliche Brackstedter Mühle

Die Bedienung bringt mir ein frisches Bier. Das hat Elmar Schuster wohl von zu Hause mitgebracht. Veltins stammt aus dem Sauerland, seiner Heimat. Und bei einem Bier lässt sich’s reden. Jeder hat, etwa durch Krankheiten, oft sehr feste Erwartungen und Bedürfnisse, erzählt Christiane Schuster, während sie sich gemütlich zurücklehnt und ihre Blicke über die Tische gleiten lässt, die gerade eingedeckt werden. Manchmal seien es aber auch nur bloße Gewohnheiten. »Und das ist schade«, fasst sie zusammen. »In der Gastronomie kann man doch eigentlich das Unerwartete genießen. Das, was vom Alltag abweicht. Das Übliche hat man ja schon zu Hause«. Da sei es traurig, wenn die Menschen mit allzu zu engen Vorstellungen kämen. Dieses Lebensprinzip hat in der Brackstedter Mühle einen kulinarischen Namen. Bei der Veranstaltung »Tischlein deck‘ Dich« werden Kleinigkeiten serviert, immer neu und immer anders. Bis man satt ist. Bei denen kann man kulinarisches Neuland entdecken. Selbst, wenn es einem einmal nicht so gut schmeckt. Ein frischer Geschmackseindruck belebt. Die Tatsache, dass das Event stets so gut wie ausgebucht ist, zeigt, dass es solche Neugierde, von der Christiane Schuster schwärmt, wirklich gibt. [wowslider id="180"]

Tradition und Bestimmung

Während sie gewissermaßen durch die Familientradition in den Beruf hereingeboren worden ist, verdankt ihn Elmar Schuster wohl der Fügung. Aber ist nicht auch das Hereingeborensein in eine Familie Schicksal? Hier die Tradition: 1936 wurde das Anwesen von den Großeltern erworben. Danach immer weiter ausgebaut. Da war der Saal als Anbau, die ersten Gästezimmer. Und 1966, als die Kleine Aller begradigt wurde, blieb schließlich das Mühlrad stehen. 1972 übernahm Christiane Schusters Onkel das Anwesen, baute weiter aus. Die Brackstedter Mühle entwickelte sich. Als ihre Mutter starb, das war vor 18 Jahren, zeigten sie und ihr Mann sich für das Ganze verantwortlich. »Wir hatten die Möglichkeiten: Entweder gehen wir nach Hongkong oder nach Brackstedt«, scherzt Elmar Schuster. Am Ende sei es dann der Standort nahe der Wolfsburger Metropole geworden. Die war damals noch gar nicht so bekannt, erinnert er sich.

Der schönste aller Berufe

Bei Elmar Schuster war die Entscheidung zum »schönsten aller Berufe« tatsächlich mehr dem Zufall geschuldet. »Warum sind Sie Gastronom geworden«, meine Frage. »Ich wollte in den Urlaub«, die verblüffende Antwort. Die Geschichte klärt auf. Wer Kinder in dem Alter hat oder sich selbst daran erinnert, als er jung war (das sollte man gelegentlich), kann sie sich vorstellen. Elmar Schuster hatte sein Abitur geschafft, und sollte sich nun endlich bewerben. Damit alles in geregelten Bahnen weiter läuft. Der Abiturient wollte aber vor allem mit seiner Freundin an der Mosel Urlaub machen. Verständlicher Wunsch. »Also hab‘ ich mir die Sache fünf Minuten angeschaut und mich rasch fürs Hotel entschieden«, erinnert er sich. Bewerbungen geschrieben, dann ging’s in die Sommerfrische. Die Entscheidung war schnell gefällt, in den Beruf fand er langsamer. Das sei ein wirklich schwerer Weg gewesen, räumt Schuster nachdenklich ein: »Da denkt man, man hat Abitur und ist schon was. Und statt großer Herausforderungen muss man erst mal Besteck und Klos putzen.« Es gibt betörendere Situation, fürwahr.

Stillstand geht gar nicht

Aber er fand bald Geschmack an dem Tun. »Es ist das antizyklische Leben, was mich reizt. Nicht immer in den gewohnten Bahnen zu bleiben. Vor immer neue Herausforderungen gestellt zu werden. Morgens nicht zu wissen, was abends kommt«, erklärt Elmar Schuster seine Motivation. All das habe er allmählich schätzen gelernt. Lange Arbeitszeiten, wenig Flexibilität in der Freizeitgestaltung sind ein Preis, den er dafür gern zahlt. Und man könne, wenn man fleißig sei, eine schnelle Karriere machen. Elmar Schuster hat die Zeit vor der Selbstständigkeit genutzt, um auf Wanderschaft zu gehen und möglichst viele Hotels kennenzulernen. Diese Eindrücke helfen ihm jetzt, um nicht stehen zu bleiben. Nicht einzurosten. Lebendig zu bleiben. So wie die beiden über ihren Beruf, ihr Hotel und das Restaurant sprechen, kann man sich viel vorstellen. Aber keinen Stillstand. Die ganze Atmosphäre, die Gespräche mit den Servicekräften, ist aufgelockert. Man hat den Eindruck, da schafft eine große Familie an einem Projekt.

Ausbildung und geschultes Personal

Dass in der Küche und beim Service alles gut läuft, darauf haben die beiden ein besonderes Auge geworfen, scheint es. Beim Rundgang fällt eine Wand auf, auf der die Erfolge der Auszubildenden festgehalten sind. Preise, Ehrungen. »Gutes Personal auszubilden, das ist für uns so wichtig«, betont Elmar Schuster. Denn ganz egal, welche Bedürfnisse ihre Gäste haben. Sie sollen sich in der Brackstedter Mühle wohlfühlen. Die strahlt Gemütlichkeit im besten Sinne aus. Die Karte verrät eine gehobene deutsche Küche mit internationalen Anregungen. Die Tische sind liebevoll eingedeckt. Jeder Raum hält eine neue Überraschung bereit. Durch die kontinuierliche Entwicklung und Erweiterung gibt es ganz verschiedene Bereiche, in denen man sich als Hotel- oder Restaurantgast wohlfühlen und zurückziehen kann.

Die Aussicht

Am Ende wird noch etwas serviert. Aber davon ist in einem anderen Beitrag zu berichten. Nach gut zwei Stunden verabschieden wir uns vor dem Hotel. Es ist, als hätte man sich schon Jahre gekannt. Wie angenehm sind doch gastfreundliche, nette Menschen, geht es mir durch den Kopf, während im Rückspiegel die alte Mühle verschwindet, die so still da liegt, als hätte die Zeit in die Speichen gegriffen und sie angehalten. Das Mühlrad mag sich nicht mehr drehen. Aber die Mühle lebt.


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