Lyon. Die internationale Polizeiorganisation Interpol warnt vor einem ansteigenden Drogenkonsum des Opioids Fentanyl in Europa. "Fakt ist, dass Fentanyl bereits in Europa ist, extrem potent ist und als unmittelbare Bedrohung behandelt werden muss", sagte Jürgen Stock, Generalsekretär von Interpol, der "Welt am Sonntag".
Es solle zur Regel werden, alle Beschlagnahmungen systematisch auf Fentanyl zu überprüfen - dies sei eine der Lektionen, die Europa von den USA lernen könne. "Selbst kleine Mengen dieser Droge können für die Konsumenten tödlich sein, aber gleichzeitig sehr profitabel für die kriminellen Netzwerke, die hinter dem Vertrieb stehen", warnte Stock.
Interpol habe kürzlich die erste weltweite Umfrage bei Strafverfolgungsbehörden zum Thema Fentanyl durchgeführt; erste Erkenntnisse zeigten, dass die Droge und ähnliche Substanzen "in allen Regionen der Welt, einschließlich Europa, vertrieben oder hergestellt werden". Dazu gehörten illegales und medizinisches Fentanyl in Form von Pulver, Pflastern, Tabletten und Flüssigkeiten.
Auch wenn die aktuellen Sicherstellungen in Europa "bei Weitem" nicht an die Mengen in Nordamerika heranreichten, sollten sie "aufgrund des hohen Suchtpotenzials bei den Strafverfolgungs- und Gesundheitsbehörden Besorgnis auslösen", sagte Stock.
In baltischen Staaten ist ein Anstieg bereits zu beobachten: "In Estland, Lettland und Litauen nimmt die Zahl der Todesfälle durch Überdosierung zu, was zum Teil mit starken Opioiden im Zusammenhang zu stehen scheint, einschließlich Fentanyl, Derivaten sowie verschiedenen Nitazenen", teilte eine Sprecherin der europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EMCDDA) auf Anfrage der Zeitung mit.
Im Mai 2023 habe etwa die lettische Polizei eine große Menge Fentanyl - circa fünf Kilo - zusammen mit chemischen Vorläufern beschlagnahmt, was darauf hindeute, dass Fentanyl in Lettland hergestellt worden sein könnte.
Der deutsche Bundesdrogenbeauftragte Burkhard Blienert (SPD) zeigt sich vorsichtig bei der Einschätzung der Gefahr: "Eine Opioid-Krise wie in den USA und Kanada wird sich bei uns nicht wiederholen, wir haben grundsätzlich andere, bessere Voraussetzungen", sagte Blienert der "Welt am Sonntag".
Ausgangspunkt der Fentanyl-Krise in den USA sei eine übermäßige Verschreibung von starken Schmerzmitteln gewesen, in Deutschland sei man da weitaus vorsichtiger. "Dennoch", räumte Blienert ein, "wäre es auch bei uns möglich, dass Heroin-Konsumierende vermehrt auf preiswerteres und um ein Vielfaches gefährlicheres Fentanyl ausweichen."
Zur Vorbereitung brauche es mehr niedrigschwellige Angebote für Konsumenten. "Das sind Drug-Checking, Schnelltests in Drogenkonsumräumen und auch die Nutzung des Notfallmedikaments Naloxon, das selbst medizinische Laien verabreichen können", so Blienert.
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