München. Für Wolfgang Ischinger, ehemaliger Staatssekretär im Auswärtigen Amt und Ex-Botschafter in Washington D.C. und London, ist die Nato heute noch genauso wichtig wie zu Zeiten des Kalten Krieges.
"Wir haben zum ersten Mal seit vielen Jahrzehnten in Europa Krieg mit einer Nuklearmacht", sagte er dem Fernsehsender Phoenix. "Ohne dieses Bündnis, ohne die Vereinigten Staaten von Amerika, wäre Europa nicht imstande, mit dieser Herausforderung umzugehen. Das ist die nackte Wahrheit."
Die Abschreckung des Bündnisses funktioniert in seinen Augen gut: "Es gibt erfreulicherweise keinerlei Anzeichen dafür, dass in diesem Augenblick, jetzt 2024, wir befürchten müssen, dass die russische Aggression auf Nato-Gebiet übergreift." Für die Nicht-Nato-Mitglieder und Nachbarstaaten Russlands sei das russische Großmachtdenken allerdings eine "ganz konkrete und ziemlich schreckliche Bedrohung".
Dennoch werde die Ukraine auf absehbare Zeit kein Nato-Mitglied werden. Als Hauptgrund spricht für Ischinger dagegen, dass für eine Aufnahme in allen 32 Mitgliedstaaten das jeweilige Parlament zustimmen müsste. Der ehemalige Botschafter sagte: "Als alter Praktiker der Außenpolitik bin ich ziemlich überzeugt davon, dass es nicht nur bei Viktor Orbán in Ungarn, sondern auch in verschiedenen anderen Hauptstädten erhebliche Probleme geben würde."
"Wenn wir da scheitern beim Vollzug dieser Einladung, dann würden wir politisch und strategisch betrachtet Wladimir Putin auf dem Silbertablett ein kleines Geschenk offerieren. Deshalb ist das leider im Moment keine gute Idee", so Ischinger. Besser wäre es, die Ukraine so auszustatten, dass sie sich erfolgreich verteidigen kann.
Von den Europäern fordert er mehr Engagement in der Auseinandersetzung mit Russland: "Vor allem wir Europäer müssten auch den USA gegenüber zeigen, dass wir bereit sind, mehr zu tun. Denn egal, ob Donald Trump oder Joe Biden ab Januar nächsten Jahres in Washington regieren wird: Die Erwartung wird sein, dass Amerika sich immer stärker China zuwendet, dem neuen Großmachtrivalen, und davon ausgeht, dass Europa reich und eigentlich theoretisch auch stark genug ist, sich selber mit Russland und anderen Bedrohungen hier im europäischen Raum auseinanderzusetzen."
Dazu müssten die europäischen Staaten enger zusammenarbeiten und ihre Verteidigung besser koordinieren. Nur so könne sowohl in Washington als auch bei Putin der richtige Eindruck entstehen, "nämlich dass wir imstande sind, uns und unsere Interessen, unsere Länder, unsere Grenzen, effektiv zu verteidigen".
Ischinger hofft deshalb, dass die Zeitenwende sich auch in den Haushaltszahlen dauerhaft niederschlagen wird. Bei Phoenix machte er klar: "Damit wir unseren eigenen sicherheitspolitischen Interessen genügen, müssen wir das Zwei-Prozent-Ziel als Untergrenze betrachten. Es geht um unsere Sicherheit, nicht nur um die der Ukraine. Und es geht nicht nur darum, einen Wunsch von Donald Trump zu erfüllen. Es geht um uns."
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