Braunschweig. „Reduziert die Kindergrundsicherung das Risiko von Armut?“ und „Welche Handlungsansätze braucht es dafür vor Ort?“ – zu diesen Fragen diskutierte am Freitag ein prominent besetztes und vielfältiges Podium im großen Saal des Kinderschutzbundes in Braunschweig. Gemeinsam mit dem AWO-Bezirksverband Braunschweig und der Friedrich-Ebert-Stiftung hatte der Kinderschutzbund eingeladen, um das Thema „Kindergrundsicherung“ in den Fokus zu nehmen. Der Termin wurde bewusst gewählt, denn kurz darauf - am heutigen 20. November - ist der Internationale Tag der Kinderrechte. Dies geht aus einer Pressemitteilung der AWO hervor.
In dem voll besetzten Saal verfolgte ein breit aufgestelltes Publikum die Diskussion. Vertreter aus der lokalen Politik, leitende Fachkräfte aus Institutionen und Behörden sowie Studierende unterschiedlicher Fachbereiche waren vertreten und brachten sich während der offenen Diskussion lebhaft in die Debatte ein.
Dreh- und Angelpunkt der Veranstaltung war der Impulsvortrag der Politologin und promovierten Psychologin Dr. Irina Volf, die mit ihren Erkenntnissen aus einer 25 Jahre langen Studie wichtige Einblicke aus der Praxis, aufrüttelnde Fakten und sich daraus ableitende Empfehlungen für die Zukunft gab. 14,1 Millionen Menschen in Deutschland sind von Armut betroffen, darunter 21,6 Prozent Kinder und Jugendliche. „Das Problem ist, dass viele Menschen, die Leistungen, die ihnen zustehen, nicht in Anspruch nehmen“, erklärte Dr. Volf. Die Gründe hierfür seien vielschichtig. Als ein wichtiger Punkt kristallisierte sich unser gesellschaftlicher Umgang mit Armut heraus. Häufig wirke Armut stigmatisierend, erläuterte etwa Dr. Dirk Härdrich, Sozialdezernent der Stadt Salzgitter: „Viele Menschen trauen sich gar nicht zu sagen, dass sie von Armut betroffen sind.“ Als ein weiterer Grund für nicht abgerufene Sozialleistungen wurde die Komplexität der Antragstellung benannt. „Viele Menschen verzweifeln an den bürokratischen Hürden“, so der Sozialdezernent.
Unbürokratische Hilfe
Bei all der Vielschichtigkeit des Themas konnten sich alle Beteiligten darauf verständigen, dass eine effektive Kindergrundsicherung vor allem eines sein müsse: unbürokratisch. „Mir ist wichtig, dass das Geld bei den Kindern und ihren Familien ankommt. Dafür braucht es eine automatische Auszahlung“, forderte Sarah Lee Heinrich, ehemalige Bundessprecherin der Grünen Jugend. Ein unübersichtliches Antragsverfahren – etwa mit separaten Anträgen für Wohngeld, Kinderzuschläge in unterschiedlichen Behörden – sollte somit entfallen. Die junge Politikerin bereicherte die Veranstaltung nicht nur mit engagierten Wortebeiträgen für eine praktisch ausgerichtete Kindergrundsicherung, sondern erzählte auch von ihren eigenen Erfahrungen. In ihrer Kindheit und Jugend bezog ihre Familie Harzt IV. Sie erklärte: „Indem man Armut gesellschaftlich zum Problem von Einzelnen macht, fragt man sich als Betroffene: Was habe ich falsch gemacht? Wenn man als Kind die ganze Zeit in dieser Unsicherheit aufwächst, macht das auch etwas mit der psychischen Gesundheit.“ Ihre Schilderungen luden die Zuhörenden zu einem Perspektivwechsel ein.
Dr. Christine Arbogast, Staatssekretärin im niedersächsischen Ministerium für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Gleichstellung, hatte eingangs gesagt: „Kinderarmut ist ein Thema, das uns alle bewegt – und auch bewegen muss.“ Sie forderte: „Armut für Kinder und Jugendliche darf kein unveränderbarer Dauerzustand sein.“ Dafür – da waren sich alle einig – brauche man Geld. Die bundesweite „Verteilungsfrage“ sei aktuell eher hinderlich, so der Tenor.
Jeder kann sich engagieren
Im Kontext der bundespolitischen Debatte zum Thema „Kindergrundsicherung“ konnte die Diskussion keinen umfassend positiven Ausblick für die Zukunft geben. Dennoch gab es praktische Handlungsansätze, insbesondere von Heinz Hilgers, Ehrenpräsident des Deutschen Kinderschutzbundes. Für ihn habe das Thema sehr viel mit „Haltung“ zu tun. Jede und Jeder könne etwas gegen Kinderarmut tun: „Wir können armutssensibel handeln, Betroffenen mit einer Haltung von Respekt und Hilfsbereitschaft begegnen.“ Jedes Kind sei wertvoll und habe Talente. Dies gelte es in der eigenen Haltung zu berücksichtigen. Was man außerdem machen könne: „Sich ehrenamtlich engagieren, Hilfe zur Selbsthilfe anbieten, politisch aktiv werden.“
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