KolumneHeute: Keine Kolumne über das Älterwerden

von Sina Rühland




Wenn man sich öfter im Kreise der Ü65-Generation aufhält, dann ist man zum Ende des nachmittäglichen Sonntagskaffees um diverse Krankheitsbilder schlauer. Was man also auf keinen Fall möchte, ist eine öde Kolumne über den Anachronismus des Älterwerdens zu lesen – bis man dann den Drang hat, über seine Beobachtungen zu schreiben.

An einem dunkelgrauen Herbsttag, es ist ein paar Jahre her, saß ich mit einem Bekannten in seinem kleinen, verstaubten Buchladen. Während er sich luftleer nach den Streichhölzern bückte, um seine Zigarre erneut anzuzünden, brach ein dumpfer Ton aus ihm hervor. Er rieb sich sein leidiges Knie und schimpfte wüst auf das Älterwerden und nahm einen großen Schluck Rotwein. Das Großartige am Altersgenörgel ist, dass der Mensch alle Zehnerjahre die symptomatischen Alterungsprozesse einzig für sich allein beansprucht. Geht man auf die 20 zu, hält man sich vollends für Erwachsen und reif genug, sämtliche anfallende Entscheidungen eigenständig treffen zu können – nur bei den Rechnungen, da könnten Mama und Papa eventuell noch mal aushelfen. Nähert sich die 30, hat man das Gefühl diverse Notwendigkeiten schnell klären zu müssen, da mit dem großen Geburtstag eigentlich automatisch die stete Vernunft einkehren müsste. Man fragt sich, ob man nicht vielleicht doch irgendwann ein paar Euro Rente gebrauchen könnte, und gerade wenn man dabei ist über Familienplanung nachzudenken, bekommt man Schnappatmung, packt seinen Rucksack und bucht unüberlegt einen Flug nach Goa. Dort widmet man sich dann mit zahlreichen anderen Endzwanzigern dem Ich und dem Selbst, wobei eines der beiden meist damit beschäftigt ist, die Achtfüssler von der Yogamatte zu schieben.

Im Beruf gefestigt, die Kinder sind aus dem Gröbsten heraus, der Windeleimer ist verschwunden, man hat allmählich wieder etwas mehr Zeit für sich – so stelle ich mir die 40er vor. Man sagt ja: 40 ist das neue 30. Die Frauen und Männer in meiner Umgebung, die die 40 überschritten haben, sind aktiv, sexy und klug. Sie bleiben gelassen, wenn einem ihrer Kinder einfällt, dass morgen ein Referat in Politik ansteht. Sie bleiben ruhig, wenn ein Anruf aus der Schule kommt, der besagt, dass der linke Arm des Kindes im Sportunterricht irgendwie abhanden gekommen ist. Sie erklären ihren Kindern sogar völlig besonnen, warum sie mit 14 Jahren nicht alleine zum Festival nach Dänemark trampen dürften. Menschen Ü40 scheinen in sich zu ruhen – und dann kommt plötzlich die 50.

Ein Kollege beschrieb den Eintritt in dieses Alter als "Super-Gau". 50 zu werden, sei entsetzlich. Man hätte ein Anrecht auf Gratis-Darmspiegelungen und statt echter Zähne trage man vermehrt Brücken im Gebiss. Mit 50 müsse man den gesamten Körper drehen, wenn man über die Schulter sehen wolle – ohnehin würde sich die soziale Umgebung immer öfter kränkelig hinter dem Gartenzaun verstecken. Das paradoxe daran: kommen einem Endsechziger solche Sätze zu Ohren, nennt er die 50er "Küken". Schaue ich mir die Menschen in meiner Umgebung an, die die 50 überschritten haben, dann stelle ich fest, dass sie keinesfalls so unzufrieden wirken, wie der Kollege es beschrieben hat. Endlich müssen sie ihre Kinder nicht mehr durchbringen, das Haus ist quasi abbezahlt und bestenfalls stellt sich der verdiente Wohlstand ein. Nun können sie endlich wieder den Globus erkunden und nach drei Gläsern Wein mit dem Roller die Serpentinen herunter fahren.

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Die Autorin: RegionalHeute.de-Redakteurin Sina Rühland. Foto:



Nur noch 746 Tage arbeiten, dann darf man endlich seinen Schreibtisch räumen, zumindest rechnet das die "Renten-App" aus. Es gibt Mittsechziger, die den Renteneintritt kaum erwarten können und die, denen es davor graut. Wer bis dahin kein Hobby hat, der sollte sich schnellstens eines suchen. Ob Golf spielen, Fahrrad fahren, Garten verschönern, Städte-Reisen, Enkel bespaßen, Improvisationstheater oder Ehrenamt – Hauptsache, man verbringt nicht jeden zweiten Tag im Wartezimmer des Hausarztes. Mit dem Renteneintritt häufen sich plötzlich speziell für Senioren gedachte Veranstaltungen: Busreisen für Senioren, Bastelnachmittage für Senioren, Theater für Senioren, Frühstück für Senioren. Plötzlich findet man sich inmitten von Gleichaltrigen wieder, die sich über Medikamentendosierungen, Arztbesuche und Nachbars Garten unterhalten, während sich ein Riesen-Sandmännchen auf den Weg macht, um alterserfahrene Menschen wie Kinder zu behandeln.

Ich frage mich, wie ich wohl mit 70 sein werde. Vielleicht lese ich die Kolumne über das Älterwerden und denke: "Ach, Mädchen, du hast ja keine Ahnung."


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