Lässig, kreativ, fördernd - Deutsche lieben holländische Schulen


Nicht nur holländische Kinder lieben das Schulsystem. Quelle: Focus, Petra Apfel/FOL
Nicht nur holländische Kinder lieben das Schulsystem. Quelle: Focus, Petra Apfel/FOL | Foto: Focus, Petra Apfel/FOL

Die Schulen der Niederlande gelten als besonders gut, erfolgreich und vorbildlich. Liegt es an den Lehrern, die sich von den Kindern duzen lassen. Ist Lässigkeit wichtiger als Autorität? FOCUS Online-Reporterin Petra Apfel sprach mit deutschen Eltern, deren Kinder in Holland zur Schule gehen.


Andrea Ege, die 13 Jahre in Scheveningen bei Den Haag lebte, hat ihre eigene Schulzeit als mäßig spannend in Erinnerung. Dass Schule auch richtig Spaß machen kann, erlebte sie dagegen bei ihrer Tochter Giulia (12). Doch jetzt ging es für die Familie nach Deutschland zurück, Giulia besucht seit Herbst die Realschule im schwäbischen Laupheim, dem Heimatort ihrer Mutter.

In Holland ist Schule lässiger und weniger autoritär


„Ich hatte und habe schon etwas Bammel, wie es für sie an der deutschen Schule gehen wird. Das läuft in Holland alles ein bisschen lässiger, kreativer und weniger autoritär ab. Ich hoffe sehr, dass Giulia mit der Reglementierung in Deutschland zurechtkommt.“ Es habe sie zum Beispiel irritiert, dass es für ihre Tochter nicht möglich war, sich bei der Anmeldung für ein, zwei Schnupperstunden in ihre künftige Klasse zu setzen. „Das wäre an jeder holländischen Schule ganz selbstverständlich gewesen.“


Einen Abschied von ihrer Grundschule „Het volle Leven“ hätte es für die Zwölfjährige ohnehin gegeben. Die Schulempfehlung und der Cito-Abschlusstest hatten den Weg zur Realschule vorgegeben. „Wären wir hier geblieben, hätten wir eine ganze Reihe möglicher Schulen gecheckt und die gewählt, wo es meiner Tochter am besten gefällt.“ In Holland sind Eltern von Anfang an frei in der Schulwahl. Sie sind nicht an bestimmte Wohngebiete gebunden. Die Schulen werben auch für sich und veranstalten offene Tage. Am neuen Wohnort erübrigte sich die Qual der Wahl – es gibt genau eine Realschule in Laupheim.

Auch die Eltern setzen sich für die Schule ein


Um den schulischen Erfolg macht sich Giulias Mutter wenig Sorgen. „Das Kind spricht perfekt Deutsch und es wird sich auch daran gewöhnen, wenn die Hausaufgaben nicht mehr digital gemacht werden können.“ Ob es aber in Zukunft so etwas geben wird wie die „Aktion Schulhof“? „100.000 Euro haben die Eltern mit allen möglichen Aktionen zusammenbekommen, um den großen Schulhof neu gestalten zu lassen. Von diesem gemeinsamen Einsatz bin ich immer noch schwer beeindruckt. So etwas ist vielleicht auch typisch holländisch.“

Familiäre Atmosphäre und kaum Schulstress


Monika Collée war an der Grundschule ihrer beiden Kinder im holländischen Bilderbuch-Ort Laren viele Jahre im Elternbeirat engagiert. Ihr 17-jähriger Sohn Benjamin hat gerade das Gymnasium beendet und beginnt mit dem Studium in Leiden. Die 12-jährige Victoria wechselte nach den Sommerferien aufs Gymnasium in Hilversum.


Die Ex-Münchnerin trauert der Basisschool „De Binckhorst“ im Grünen nach: „Meine Kinder waren immer in sehr harmonischen Klassen, was vielleicht auch an den flachen Hierarchien holländischer Schulen liegt. Die Lehrer werden geduzt und an der „Binckhorst“ sind sie sehr jung. Sie sehen sich vor allem als Helfer, Unterstützer und Coach der Kinder.“ In Deutschland haben Kinder schon in der Grundschule viel mehr Druck, wie sie von Freunden in der Heimat immer wieder mitbekommt.

Schwieriger Übergang von Grund- zu weiterführender Schule


Englisch im Unterricht von Anfang an und das eigenständige Arbeiten an Projekten gefallen Monika Collée hier ebenso wie das familiäre Miteinander. „Jeder Geburtstag wird zum Beispiel ausgiebig mit allen Kindern und dem Lehrer gefeiert.“

Ein ungelöstes Problem im holländischen Schulsystem sieht Monika Collée allerdings beim Übergang von der Grundschule in die Sekundarstufe: „Plötzlich sind die Anforderungen höher, der Unterricht ist stärker geregelt und auch zusätzliche Hausaufgaben werden fällig. Da fallen die Leistungen vieler Kinder erst einmal ab.“

„Privatunterricht“ bei Lernproblemen


Fabian Amtenbrink ist Jurist und Professor für EU-Recht an der Erasmus-Universität in Rotterdam. Der gebürtige Berliner und seine französische Ehefrau haben durch den zwölfjährigen Ben und die achtjährige Lea doppelte Erfahrung mit der holländischen Grundschule gemacht. „Oft waren wir erstaunt und manchmal auch begeistert.“ Er nennt ein Beispiel: „Während unser Sohn Ben problemlos durch die sechs Jahre Basisschool marschiert ist, sehen wir jetzt bei Lea, wie sich die Schule kümmert, wenn es ein Problem gibt.“

Für Tochter Lea scheint die Welt der Zahlen ein völliges Rätsel zu sein. „Lea bekommt jetzt im Fach Rechnen Privatunterricht an der Schule. Das macht eine Extra-Lehrkraft mit speziellerer Ausbildung dafür“, erzählt Amtenbrink bei einem Kaffee in der Food Plaza der Uni. „Diese individuelle Betreuung ist Teil des ganz normalen kostenlosen Schulangebots. Das ist toll.“

Lernaufgaben je nach Leistungslevel


Der Jura-Professor findet zwei Dinge besonders bemerkenswert an der Schule im Rotterdamer Vorort Hillgersberg: „Zum einen werden alle älteren Schüler dazu angehalten, die jüngeren zu unterstützen. Und zum anderen ist der Unterricht differenziert und abgestimmt auf die unterschiedlichen Level der Schüler.“ Da bekommen etwa die Überflieger anspruchsvollere Aufgaben als der Durchschnitt. Oder sie sollen sich mit Sonderprojekten beschäftigen, statt sich im Unterricht zu langweilen. „Generell werden die Kinder hier sehr ermutigt, Referate zu verfassen und Vorträge zu halten.“

Gut findet Fabian Amtenbrink auch die doppelte Leistungsbewertung der Schüler, in die neben der Beurteilung durch die Lehrer auch die staatlichen Cito-Tests einfließen, die jeder Jahrgang zweimal im Jahr absolviert. Er wählt einen Vergleich: „Die Cito-Tests sagen, wie viel PS unter der Haube stecken. Die Beurteilung zeigt, was davon auf die Straße kommt.“ Das sei aussagekräftig und gerechter als ein reines Lehrer-Zeugnis.

Von den Niederlanden lernen


10 Dinge, die an Hollands Schulen besser laufen als bei uns

Um fit für die Zukunft zu sein, muss Deutschland in Bildung investieren – darüber sind sich alle einig. Dafür könnte es sich bei anderen Ländern einiges abschauen. Unsere holländischen Nachbarn haben an den Grundschulen bereits Dinge umgesetzt, die auch viele deutsche Bildungsexperten als nötige Reformen einfordern.


  1. Die Grundschule beginnt früh, schon ab vier Jahren. Die Differenzierung erfolgt erst nach acht Jahren gemeinsamen Lernens mit zwölf.

  2. Eltern haben von Anfang an freie Schulwahl, unabhängig von der Adresse.

  3. Der Unterricht beginnt überall erst um 8.30 und endet um 14.30 oder 15.00 Uhr. Hausaufgaben gibt es nicht.

  4. Fast alle Schulen werden vom Staat finanziert, auch die der privaten Träger.

  5. Jeder Schule steht es frei, nach welcher Methode sie unterrichten will.

  6. Das Bildungsministerium gibt landesweit einheitliche Lernziele sowie die Tests vor, welche diese abrufen. Der wichtigste „Cito“-Test erfolgt am Ende der Grundschulzeit.

  7. Nicht allein die Lehrer entscheiden über die weitere Schullaufbahn, sondern deren Beurteilung plus der Cito-Test.

  8. Es gibt keine Lehrer-Beamten. Lehrkräfte bewerben sich, wo sie wollen. Schulen stellen ein, wen sie wollen.

  9. Schulpraxis gehört vom ersten Tag an zur Lehrerausbildung.

  10. Holland hat landesweit die perfekte Infrastruktur für digitales Lernen. Die Schulen sind überwiegend mit der nötigen Hard- und Software ausgestattet. Lehrer setzen sie auch ein.



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