Leipzig. Die Stadt Leipzig hat mit der Aufarbeitung rund um die Geschehnisse am sogenannten "Tag X" begonnen, als in Reaktion auf die Verurteilung der mutmaßlichen Linksextremistin Lina E. protestiert wurde. Am Mittwoch beschäftigte sich eine Aktuelle Stunde des Stadtrats mit den Vorkommnissen.
Bereits am Montag hatte der Innenausschuss des Sächsischen Landtags in einer nichtöffentlichen Sitzung zu diesem Thema getagt. Am Wochenende nach der Urteilsverkündung im Prozess um Lina E. und weitere Angeklagte war es zu teils heftigen Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und der Polizei gekommen. Die Stadt hatte im Vorfeld alle Demonstrationen, die im Zusammenhang mit Lina E. stehen, verboten und war hierfür scharf kritisiert worden. Bei einem an dem betreffenden Samstag angemeldeten Protestmarsch, welcher ebenfalls nicht erlaubt wurde, kam es nach der Auftaktkundgebung zu Angriffen auf Beamte.
Die Polizei hatte daraufhin circa 1.000 Personen eingekesselt und zum Teil über elf Stunden festgehalten - angeblich zum Zwecke der Identitätsfeststellung. "Der Verdacht der Rechtswidrigkeit des polizeilichen Handelns drängt sich geradezu auf", sagte Grünen-Stadtrat und Demonstrationsanmelder Jürgen Kasek. Zuvor hatte Amnesty Deutschland eine Stellungnahme "zum sogenannten Polizeikessel in Leipzig" abgegeben. Die Organisation zeigte sich "besorgt" angesichts "der zahlreichen Vorwürfe gegenüber der Polizei" im Zusammenhang mit der Maßnahme am Heinrich-Schütz-Platz.
Auch eine Ingewahrsamnahme müsse dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen: "Angesichts der Dauer von etwa elf Stunden bestehen aus Sicht von Amnesty International daran erhebliche Zweifel." Es sei davon auszugehen, dass von der großen Anzahl der festgehaltenen Personen "lediglich ein kleiner Bruchteil tatsächlich an Straftaten beteiligt war". Die Polizei sei verpflichtet, klar zwischen friedlichen Versammlungsteilnehmern und Straftätern zu unterscheiden. "Besorgniserregend sind auch die zahlreichen Berichte über eine unzureichende Versorgung mit sanitären Anlagen, die die von der Maßnahme betroffenen Menschen dazu zwang, ihre Notdurft in Gebüschen zu verrichten", so Amnesty Deutschland.
Der Staat habe während einer solchen Maßnahme spezifische Schutzpflichten zu erfüllen, hierzu zähle auch eine ausreichende Versorgung mit sanitären Einrichtungen. "Ein Verstoß würde hier eine Missachtung der Menschenwürde aus Art. 1 Abs 1 GG, sowie eine Verletzung des Verbots der Folter, der unmenschlichen und erniedrigen Behandlung aus Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention darstellen."
Amnesty beruft sich zudem auf Berichte, nach denen die medizinische Versorgung von Personen im Kessel von der Polizei aktiv verhindert worden sei. Ebenso seien die Menschen nicht ausreichend mit Nahrungsmitteln versorgt worden. Besonders problematisch sei laut Amnesty zudem die Behandlung von festgehaltenen Minderjährigen. Diese seien, entgegen der Behauptung der Polizei, nicht priorisiert behandelt worden.
Erziehungsberechtigte seien über den Verbleib im Unklaren gelassen worden und hätten nicht die Möglichkeit erhalten, Kontakt zu ihren Kindern aufzunehmen. "Gerade hier muss unterstrichen werden, dass den Staat in Bezug auf Minderjährige besondere Schutzpflichten treffen, die hier mutmaßlich missachtet wurden." Nahezu alle Eingekesselten sahen sich nach dem Ende der polizeilichen Maßnahme mit dem Vorwurf des schweren Landfriedensbruchs konfrontiert. Laut eines Berichts des MDR sind unterdessen Ermittlungen gegen an dem Einsatz beteiligte Beamte eingeleitet worden.
Zudem habe die Polizei bestätigt, dass sich unter den eingekesselten Demonstranten Polizisten in zivil befunden hatten. Sachsens Innenminister Armin Schuster (CDU) hatte den Polizeieinsatz zuvor verteidigt.
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