Oberlandeskirchenrat Thomas Hofer hält Weihnachtspredigt im Braunschweiger Dom

Oberlandeskirchenrat Thomas Hofer hielt am Heiligen Abend die Predigt im Braunschweiger Dom.

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Symbolfoto | Foto: Pixabay

Braunschweig. Als Gegengeschichte gegen Irrsinn und Gewalt und gegen „Autokraten und Kriegstreiber, die sich für Friedenskönige halten“, hat Oberlandeskirchenrat Thomas Hofer die biblische Weihnachtsgeschichte bezeichnet. In seiner Predigt als stellvertretender Landesbischof sagte er am Heiligen Abend im Braunschweiger Dom, Weihnachten sei wie ein Lagerfeuer, das nicht ausgeht: „Wir erzählen diese Geschichte Jahr um Jahr, um Kraft zu schöpfen und neu auf die Herausforderungen unserer Welt zu blicken.“



Hofer betonte, Rituale und Wiederholungen seien wichtig auch für den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft. Rituale seien kein Müll, sondern Lebensmittel. Sie sorgten für Anbindung und Beachtung: „Davon leben Demokratie und gute Gemeinschaft.“ Übersetzt ins politische Leben heiße das Diplomatie. Hofer warnte vor Diplomatieverachtung. Die Folge dessen sei ein „Freifahrschein für Verachtung“.

Die Weihnachtspredigt im Wortlaut


Gerade eben erst ist sie zu Ende gegangen.
Die Christvesper um 15h mit Krippenspiel.
Heute wieder hier im Braunschweiger Dom.
So wie jedes Jahr:
Das Krippenspiel - kindlich, aber nicht kindisch.
Die Geburt des Jesuskindes wird aufgeführt.
Aber die eigentliche Geburt wird ausgespart.
Sie ist wohl in keinem Krippenspiel zu sehen.
Die Schmerzensschreie der Mutter sind nicht zu hören.
Von himmlischen Heerscharen ist die Rede.
Von himmlischer Herrschaft.
Aber die Macht ist niedlich und kommt in Engelskleidchen daher.
Herzergreifende Momente. Aber es ist ein Spiel.

Das war 1194 anders. Am 26. Dezember 1194 wurde ein künftiger Kaiser vor aller Augen
geboren.
Sie kennen das Spiel?
Das wohl aufregendste Krippenspiel der Weltgeschichte.
Es war ein Schauspiel und doch kein Spiel.
Es war real.
Es ging um die Macht.
Die Kaiserin war in vorgerücktem Alter.
Und es gab Gerüchte.
Man zweifelte an ihrer Schwangerschaft.
Sie täte nur so, als wäre sie schwanger.
Sie wolle dem Kaiser ein fremdes Kind unterschieben,
um die Erbfolge zu sichern, die Macht der Staufer erhalten.
Und was tat die Kaiserin Constanze.
Auf dem Marktplatz schlug sie ein Zelt auf, um dort öffentlich zu gebären.
Es ging um Machterhalt.
Wie gesagt. Da ist wohl jedes Mittel recht.
Und sie präsentierte den bestellten adligen Gaffern auf dem Platz den Neugeborenen.

Nicht das Jesuskind, aber kein Geringerer wurde öffentlich geboren als der Stauferkaiser
Friedrich II.
Stupor mundi, sein Spitzname, also einer, der die Welt in Staunen versetzt.

Will erstmal sagen:
Nicht nur himmlische, auch weltliche Herrschaft, auch Politik und ziviles Zusammenleben
brauchen Inszenierung.
Immer wieder: öffentliche Aufführung. Ritual. Liturgie.
Same procedure as every year.

Und selbstbewusst gesagt:
Weihnachten ist eine viel nachhaltigere Inszenierung als diejenige der Kaiserin.
Eine grandiose Erzählung, dass der Herr des Himmels und der Erde ganz ärmlich zur Welt
kommt.
Nicht vor Baronen und Adligen, sondern vor Hirten.
Und das wird jedes Jahr aufs Neue aufgeführt, auch im Braunschweiger Dom.

Jedes Jahr!
Wenn man die Frauen zusammenzählt, die schon einmal als Maria den Heiland zur Welt
gebracht haben,
und die Männer, die als Josef die Laterne im Stall gehalten haben.
Es sind Millionen, die sich daran zumeist bis an ihr Lebensende erinnern als einen der
unvergesslichen Momente in ihrem Leben.
Sind ehemalige Marias und Josefs hier, heute Abend?
Sieh mal an!

Die Welt sehnt sich nach Frieden.
Nach Zuversicht, nach Seelenruhe, nach Klarheit.
Maria hat das zur Welt gebracht.
In der Zerbrechlichkeit eines schutzlosen Kindes.
Gott kommt zur Welt. Seine Liebe zu uns Menschen wird Wirklichkeit.

Auch wenn es schwerfallen mag, sie zu sehen: Gottes Liebe ist dennoch da.
Darum erzählen wir diese Geschichte wieder und wieder.
Als Gegengeschichte gegen all den Irrsinn und gegen die Gewalt,
gegen die Irren und Gewalttätigen.

Gegen die Autokraten und Kriegstreiber, die sich für Friedenskönige halten.

Gegen alle, die jüdisches Leben in Deutschland oder anderswo auslöschen wollen.
Wir erzählen diese Geschichte Jahr um Jahr, um Kraft zu schöpfen, Jahr um Jahr
und neu auf die Herausforderungen unserer Welt zu blicken.

Weihnachten ist wie ein Lagerfeuer, das nicht ausgeht.
Es ist das Fest der Wiederholung der Wiederholung.
Die Weihnachtsgeschichte ändert sich nicht, darf sich nicht ändern,
muss genauso beginnen: "Es begab sich zu der Zeit."
Selbst hartgesottene Atheisten beteiligen sich am Weihnachtsritual.
Am liebsten würde ich sagen: Herzlich willkommen, heute Abend.
Auch wenn man mit Kirche und Glauben eigentlich abgeschlossen hat,
man geht hin - schön, dass Sie da sind! Ja, Sie sind willkommen.
Und man erliegt dabei womöglich, wenn auch zuweilen widerwillig, dem Zauber der
Erzählung.
Eigenartig: In diesen Tagen werden wir liebevoller, nachdenklicher, manchmal auch
einsamer, wenn wir einen lieben Menschen verloren haben.
Wir reden friedfertiger, gehen einander zur Hand, erbarmen uns derer, die wir sonst
vernachlässigen.

Auch die Inszenierung in den Familien - hartnäckige Beständigkeit.
Was für ein Frevel, wenn es anderes Geschirr oder Essen gibt.
Ich kann inzwischen wunderbare softe Kartoffelknödel zur Weihnachtsgans, doch es müssen
die von Pfanni sein, halb und halb.
Papa, das war doch immer so.

Weihnachten ist inszenierte Erinnerung,
oder auch inszenierte Flucht vor der Erinnerung.
Und wenn man auf die Malediven abhaut, man entflieht ihr nicht.

Unsere Gesellschaft ist aber nun dabei, sich von Ritualen zu verabschieden.
Anstelle von Inszenierung heißt es nun: sei authentisch.
Kein Ritual mehr - jetzt bitte Echtheit.
Neue Reize bitte, das ist besser als Ruhe.
Wiederholungen werden ersetzt durch Netflix -Serien.
Feste durch Events, Gefühle durch Affekte.
Man misstraut der Wiederholung.
Sie sei falsch, unaufrichtig, unfrei.

Ist das fatal?
Zumindest schadet es dem Zusammenhalt und dem Zusammenleben.
Zusammenhalt lebt von Wiederholungen und festen Ritualen. Das schweißt uns zusammen.
Das ist der Kitt unserer Demokratie.
Demokratie unterscheidet sich von Demagogie nicht dadurch, dass sie auf Aufführungen
verzichtet.
Demagogie ist nicht Demagogie, weil sie Fackelzüge veranstaltet und Aufmärsche zelebriert
Sie ist Demagogie, weil die Fackeln in die falsche Richtung leuchten und die Aufmärsche
den falschen Parolen hinterherlaufen.

Gewiss: Hass und Lüge haben manche Rituale so verdorben, dass man sie entsorgen muss.
Aber Rituale als solche sind kein Müll.
Sie sind Lebensmittel. Sie schaffen das, was im Wort Religion steckt.
religare, relegere.
Anbindung und Beachtung: davon leben Demokratie und gute Gemeinschaft.
Wir sehnen uns doch nach Anbindung und Beachtung.
Weihnachten ist eine Bühne, auf der Liebe, Frieden und Freude aufgeführt werden.
Es hilft viel in diesen Zeiten, sich tatsächlich liebevoller, freundlicher, friedfertiger aufzuführen
als sonst.
Trotz aller Verlogenheit und Familiendramen, die es gibt.

In der Politik heißt das Diplomatie.
Diplomatieverachtung ist leider inzwischen weit verbreitet. Nicht nur in Amerika.
Aber Diplomatieverachtung ist keine Aufrichtigkeit, sondern ein Freifahrschein für
Verachtung.

Es begab sich:
Dieser immer gleiche Satz erzählt das immer gleiche Herrschaftsritual.
Der Mächtige gibt ein Gebot aus, alle Welt gehorcht.
Kaiser Augustus setzt die ganze Welt in Bewegung.
Aber zugleich beginnt eine Gegengeschichte.
Die von kleinen Leuten erzählt, von Maria und Josef.
Der Zählbefehl des Kaisers wird von Engeln durchlöchert.
Die Volkszählungsgeschichte wird zur Befreiungsgeschichte, die den neuen Himmel und die
neue Erde in Aussicht stellt.
Das himmlische Jerusalem - dort oben zu sehen, wenn sie vom Grabmal Heinrichs über den
siebenarmigen Leuchter in die Kuppel des Hohen Chores schauen.
Und da oben sehen Sie die Botschaft: Nicht ein Kaiser oder ein anderer Autokrat dieser Zeit
ist höchstes Wesen,
sondern ein Mensch, der ohne Obdach zur Welt kommt.
Und sie gebar ihren ersten Sohn, wickelte ihn in Windeln und legte ihn in dein Herz.

Steht da nicht, sagen Sie.
Also, in Dein Herz, steht da nicht.
Ich gucke später noch mal nach, was da steht.
Fast möchte ich wetten. Das muss da stehen: in Dein Herz!
Ich wette gern, aber nicht an Weihnachten. Da wettet man nicht.
Da vertraut man.
Da vertraut man der Weihnachtsgeschichte - der Geschichte der großen Umkehrung.
Das muss man sich immer wieder erzählen. Das Leben kommt vom Kopf auf die Füße.
Fürchtet euch nicht. Gott ist in die Welt gekommen.

Als Mensch. Als einer, der Angst hat, wie so viele in diesen Zeiten. Einer, der liebt - den
Nächsten, den Fernsten.
Dich und mich.
Darum: wie jedes Jahr: Fröhliche Weihnachten

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