Menschen mit Behinderung finden kaum noch Wohnungen

Nicht nur ein Problem in großen Städten, auch im ländlichen Regionen ist geeigneter Wohnraum knapp.

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Symbolfoto. | Foto: Pixabay

Peine. Für Menschen mit Behinderung und Hilfebedarf im Großraum Peine/Burgdorf wird es zu­­nehmend schwieriger, eine geeignete Wohnung zu finden. Große Hürden sind dabei nicht nur der generelle Mangel an barrierefreiem und bezahlbarem Wohnraum, sondern auch die Bedenken mancher Vermieter: Selbst mit einem geregelten Einkommen und staatlicher Unterstützung werden Menschen mit Hilfebedarf oft abgelehnt oder von vornherein ausgeschlossen. Dies berichtet die Lebenshilfe Peine-Burgdorf.



Was für Berliner oder Münchener Wohnungssuchende schon seit vielen Jahren Alltag ist, bekommen zunehmend auch Menschen in kleineren Städten und ländlicheren Gegenden zu spüren: Wohnraum ist knapp, Mieten und Nebenkosten steigen – und nicht selten konkurriert man bei Besichtigungen mit 30 oder mehr Interessenten um eine passende Wohnung. Besonders schwierig wird die Wohnungssuche für Menschen, die nur ein geringes Einkommen zur Verfügung haben. Nahezu unmöglich wird es, wenn man zur Gruppe der Menschen mit Behinderung und Hilfebedarf gehört und Grundsicherung bezieht.

Gemeinsames Zuhause gesucht


„Wir suchen seit mehr als zwei Jahren gemeinsam eine reguläre Wohnung“, sagt Svenja Wesemann. Sie lebt wie ihre Freundin Justine Hallmann in einer Wohneinrichtung der Lebenshilfe Peine-Burgdorf in einem eigenen, kleinen Apartment. „Ich bin körperlich etwas eingeschränkt und bräuchte daher am besten eine Wohnung im Erdgeschoss, mit Dusche statt Badewanne.“ Justine Hallmann käme in jeder Wohnung zurecht, hat aber eine Lese- und Schreibschwäche und braucht dort Unterstützung. „Wir ergänzen uns also perfekt und wären eine gute Wohngemeinschaft“, so Svenja Wesemann. Ein gemeinsames Zuhause außerhalb der Einrichtung finden die beiden Frauen trotzdem nicht, denn barrierefreie und günstige Wohnungen sind Mangelware. Eine weitere Hürde: Svenja Wesemann und Justine Hallmann arbeiten zwar Vollzeit und haben ein geregeltes, kleines Einkommen – aber sie erhalten zusätzlich auch staatliche Unterstützung und kommen damit per se für viele Vermieter:innen nicht mehr infrage. „Schon auf Immobilienportalen weisen Makler häufig darauf hin, dass nur Mieter mit einem ausreichenden, eigenen Einkommen gewünscht sind“, berichtet Gruppenleiterin Silke Engelhardt, die seit vielen Jahren für das Peiner Apartmenthaus Damm zuständig ist. „Das ist wirklich schade, denn so wird vielen Menschen von vornherein die Chance genommen, sich zu zeigen.“

Staatliche Hilfe wird kritisch betrachtet


„Das ist eigentlich nicht zu verstehen, denn das Geld vom Amt kommt doch ganz regelmäßig“, wundert sich auch Fabio Cilia, der ebenfalls im Apartmenthaus lebt und Grundsicherung erhält. Der 27-Jährige sucht seit anderthalb Jahren eine eigene Wohnung, hat schon zig Bewerbungen verschickt. „Ich brauche keine barrierefreie Wohnung, ich arbeite Vollzeit in den Werkstätten der Lebenshilfe. Aber sobald ich das in den Unterlagen erwähne und meinen Lohnzettel einreiche, meldet sich niemand mehr bei mir“, sagt er frustriert. Das bedauert auch Silke Engelhardt. „Manche Vermieter sehen nur das geringe Einkommen und haben dann vielleicht die Sorge, dass die Miete nicht gezahlt werden kann. Diese Angst ist aber unbegründet. Die staatlichen Zahlungen kommen ja sehr zuverlässig und es gibt sogar die Möglichkeit, dass die zuständige Stelle die Miete direkt überweist.“ Was viele auch nicht wissen: In Wohneinrichtungen wie dem Apartmenthaus üben die Bewohner:innen den selbstständigen Alltag mit Waschen, Kochen, Einkaufen und Terminorganisation. „Frau Wesemann, Frau Hallmann und Herr Cilia könnten problemlos in einer eigenen Wohnung leben. Wenn sie doch hier und da Hilfe brauchen, bekommen sie von uns jederzeit eine individuell angepasste, ambulante Unterstützung“, sagt Silke Engelhardt.

No-Go Betreuerin


Ganz ähnlich geht es auch Susanne Herfort, die ebenfalls Vollzeit in einer Werkstatt arbeitet, von der Lebenshilfe Peine-Burgdorf unterstützt wird – und seit 2020 auf Wohnungssuche ist. Sie benötigt zusätzliche Hilfe im Alltag und hat eine gesetzlich bestimmte Betreuerin an ihrer Seite. „Neulich sagte ein Vermieter zu mir: Sie haben eine Betreuerin? Nein, dann können wir gleich auflegen,“ erzählt Susanne Herfort enttäuscht. Ihre Wohnassistenz Ann-Kathrin Heuer macht das ratlos. „Dass jemand wegen einer Betreuung von vornherein abgelehnt wird, habe ich bislang noch nicht erlebt.“ Dabei, so Heuer, sei das durchaus positiv zu sehen, denn die vom Staat bestellten Betreuer:innen tragen häufig zusätzlich dafür Sorge, dass alles glatt laufe, unterstützen ihre Klient:innen bei Behördengängen, Mietzahlungen und alltäglichen Angelegenheiten. „Auch wir als Assistenz beim Wohnen stehen als Ansprechpartner bereit und beraten.“ Die Betreuung von Menschen mit Hilfebedarf ist oft nicht unähnlich der Situation junger Menschen oder Studierenden: Wenn diese von zu Hause ausziehen, unterstützen Eltern zum Teil mit Anträgen, übernehmen Bürgschaften, zahlen die Miete und stehen mit Rat und Tat zur Seite.

Vorurteile bestehen weiter


Silke Engelhardt und Ann-Kathrin Heuer vermuten noch einen weiteren Grund, warum es für Menschen mit Hilfebedarf so ungleich schwerer ist, eine eigene Wohnung zu finden. In vielen Köpfen existiere immer noch ein veraltetes Bild von Menschen mit Hilfebedarf, aus dem Vorurteile entstehen können: Viele stellen Behinderung mit „pflegebedürftig“ oder „unselbstständig“ gleich. Das entspricht aber nicht der Realität. Die Menschen, die von Engelhardt und Heuer Assistenz erhalten und eigene Wohnungen suchen, unterscheiden sich in ihrem Hilfebedarf: Lernschwierigkeiten, körperliche Einschränkungen, seelische Beeinträchtigungen, manches parallel. Sie alle sind aber sehr wohl in der Lage, ihren Alltag zu bewältigen, manche ganz selbstständig, andere mit etwas Unterstützung von außen. Um ihnen eine realistische Chance zu geben, Teil dieser Gesellschaft zu sein, ist es notwendig, ein besseres Verständnis für die Realität von Menschen mit Hilfebedarf zu entwickeln. „Wir würden uns wünschen, dass unsere Klient:innen diese Möglichkeit bekommen“, so Heuer und Engelhardt. „Sie haben es verdient.“

Wer selbst Vermieter ist und helfen möchte, der kann sich an die Lebenshilfe wenden. Ansprechpartnerin ist Frau Brigitta Schubert: brigitta.schubert@lhpb.de oder 0171- 8678912


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