Pleite-Welle bei Billigstromanbietern: Das sind die Auswirkungen in der Region

regionalHeute.de fragte bei den Grundversorgern vor Ort nach, wie sie mit der Situation umgehen, die Kunden der gescheiterten Unternehmen aufnehmen zu müssen.

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Symbolbild.
Symbolbild. | Foto: pixabay

Region. In jüngster Zeit sind einige Billigstromanbieter vom Markt verschwunden, da sie die günstigen Preise, die sie ihren Kunden versprochen haben, nicht mehr gewährleisten konnten. In der Konsequenz heißt das: Tausende Kunden standen ohne gültigen Vertrag da. Dafür, dass sie nicht auch ohne Strom da stehen, sorgt das Energiewirtschaftsgesetz. Dieses sieht vor, dass der Grundversorger in einem Gebiet verpflichtet ist, die Kunden des betroffenen Unternehmens zu übernehmen. regionalHeute.de fragte bei einigen Grundversorgern in unserer Region an, wie sie die Lage beurteilen und welche Auswirkungen für alte und neue Kunden zu erwarten sind.



Die Harz Energie GmbH & Co. KG, Grundversorger für unter anderem den Landkreis Goslar, musste bereits in die Bresche für einige Energie-Discounter springen, die in den letzten Wochen die Belieferung ihrer Kundinnen und Kunden mit Strom und Gas eingestellt haben, berichtet Jan Ulland, Pressesprecher der Harz Energie GmbH & Co. KG. Zu der Anzahl, wie viele Kunden übernommen werden mussten, gab es keine Angaben. Dafür zu den Folgen: "Für die Harz Energie ist der kurzfristige Kundenzustrom zahlreicher Kunden eine Herausforderung. Denn der an sich positive Marktmechanismus für die Ersatzversorgung hat gravierende Auswirkungen für den Energieeinkauf. Als zuverlässiger und vertrauenswürdiger Versorger, der für Wertschöpfung und Engagement vor Ort steht, beschaffen wir die erforderlichen Energiemengen möglichst langfristig und risikoarm. Für die zusätzlichen Kunden in der Ersatzversorgung müssen wir die erforderlichen Energiemengen jetzt allerdings kurzfristig zu den derzeit extrem hohen Preisen am Spotmarkt beschaffen", so Ulland. Die Strompreise für Haushaltskunden hätten sich zum Jahreswechsel nicht geändert. Die weitere Entwicklung könne derzeit aber noch nicht abgeschätzt werden.

Die WEVG, Grundversorger in der Stadt Salzgitter, bestätigt lediglich, dass man im Rahmen des Energiewirtschaftsgesetzes in den vergangenen Wochen und Monaten Kunden anderer Unternehmen verpflichtend aufgenommen habe. Zur Anzahl und Auswirkung auf das Unternehmen gab es auf unsere Anfrage keine Auskunft. Auch an Spekulationen über die Entwicklung in der nahen Zukunft wolle man sich nicht beteiligen, so Nina Kleinecke von der WEVG Salzgitter GmbH & Co. KG.

"Keine Sonderprodukte im Angebot"


Bei der LSW, Grundversorger in der Stadt Wolfsburg und Teilen des Landkreis Gifhorn, hat die Aufnahme von Kunden, deren bisheriger Versorger die Lieferung eingestellt hat, bereits zu Konsequenzen geführt. "Aufgrund der dynamischen Marktsituation beliefern wir zurzeit Neukunden nur im Rahmen der gesetzlichen Grundversorgung – Sonderprodukte bieten wir nicht an", so Imke Böllhoff von der LSW Energie GmbH & Co. KG. Man beobachte die Entwicklung, insbesondere auf dem Beschaffungsmarkt für Energie, weiterhin sehr genau. Die Entwicklung auf dem Strommarkt sei sehr dynamisch. "Ob andere Lieferanten ihre Belieferung in Zukunft einstellen werden, ist von vielen unternehmensspezifischen Variablen abhängig. Diese können wir nicht beurteilen", so Böllhoff.

Knapp 500 Kunden übernommen


Konkrete Zahlen präsentieren die Stadtwerke Wolfenbüttel, Grundversorger vor allem in der Stadt Wolfenbüttel. "In jüngster Zeit mussten wir 484 Kunden der stromio GmbH, sechs Kunden der Neckermann Strom GmbH und acht Kunden von enQu GmbH in die Ersatzversorgung aufnehmen. Alle drei sind Energiediscounter, die ihren Kunden gekündigt haben oder die bewusst eine Schließung ihrer Bilanzkreise provoziert haben, um ihre Haushaltskunden nicht mehr beliefern zu müssen", berichtet Vera Steiner, kaufmännische Geschäftsführerin der Stadtwerke. Bei den historisch bisher einmaligen Preissteigerungen am Beschaffungsmarkt sei ihr Geschäftsmodell nicht mehr lukrativ gewesen. Steiner rechnet damit, auch in naher Zukunft, vermehrt Kunden anderer Unternehmen aufnehmen zu müssen. "Billiganbieter kauften bisher immer bewusst spekulativ kurzfristig ein und lockten mit niedrigen Preisen Neukunden, unterstützt durch die Mechanismen der Wechselportale. Bei den anhaltend steigenden Preisen funktioniert das jedoch nicht mehr. Durch Lieferstopp ziehen sie sich jetzt aus der Affäre, um ihre wirtschaftlichen Erträge abzusichern. Sie befreien sich also zulasten der Grundversorger – meist der Stadtwerke – von ihren Kunden", so die Geschäftsführerin.

Für die Stadtwerke Wolfenbüttel wie auch für andere Grundversorger entstehe nicht nur ein hoher zusätzlicher operativer Aufwand. Die neuen Kunden würden im Abrechnungssystem angelegt, die Verträge abgeschlossen; hinzu komme, dass der aktuelle Stand von Strom und Gas abgelesen und im Kundenmanagement eingepflegt werden müsse. "Und das bei rund 500 Kunden, von denen wir nicht wissen, ob sie über einen längeren Zeitraum ihre Energie von den Stadtwerken Wolfenbüttel beziehen oder nicht schon bald zu einem anderen Energielieferanten wechseln", gibt Vera Steiner zu bedenken. Wirtschaftlich schwierig sei die Situation zudem für Energieversorger, die nicht über Bedarf Strom eingekauft haben. Sie müssten jetzt kurzfristig Energie zu den aktuell hohen Preisen beschaffen, um den Bedarf der Neukunden zu decken. Bei den aktuellen Tarifen seien die Kosten dafür meist nicht gedeckt. Deshalb müssten die Stadtwerke Wolfenbüttel die Konditionen für die betroffenen Kunden anpassen. Neben dem Grundversorgungstarif habe der Energieversorger reagiert und den „Sondervertrag WF-eco für Neukunden aus Insolvenzen“ mit einer Laufzeit von zwölf Monaten eingeführt. Für Bestandskunden ändere sich nichts. Darüber hinaus würden die Stadtwerke Wolfenbüttel auch weiterhin Neukunden aufnehmen – die Versorgungssicherheit sei gewährleistet.

"Risiko auf Kunden abgewälzt"


Auch die Stadtwerke Peine mussten in den letzten Wochen kurzfristig mehrere hundert Kundinnen und Kunden im Rahmen der Grund- und Ersatzversorgung für Strom und Erdgas aufnehmen. "Einmal mehr zeigt sich, dass Billiganbieter darauf abzielen, in Niedrigpreisphasen Gewinne zu machen. Das Risiko steigender Marktpreise hingegen wälzen sie auf ihre Kundinnen und Kunden sowie auf die Grundversorger ab. Aufgrund der aktuell angespannten Marktlage rechnen wir deshalb damit, dass weitere Strom- und Gasanbieter Insolvenz anmelden müssen oder sich weigern werden, ihre Lieferverpflichtungen zu erfüllen", erklärt Manuela Bracke, Assistentin des Geschäftsführers der Stadtwerke Peine.

Die Stadtwerke Peine würden Strom und Erdgas vorausschauend über mehrere Jahre beschaffen. Dadurch erspare man den Kunden die Unsicherheit extremer Preissprünge, wie sie zurzeit im Energiehandel zu beobachten seien. Durch die Aufnahme neuer Kundinnen und Kunden müssten zusätzliche Strom- und Erdgasmengen zu aktuell hohen Marktpreisen eingekauft werden. "Wir beobachten laufend, wie sich der entstehende Mehrbedarf in Kombination mit weiteren Einflussfaktoren (wie zum Beispiel Witterungseinflüsse) auf unser Gesamtportfolio auswirkt. Die weiteren Maßnahmen werden wir danach ausrichten", so Bracke.

"Preise an die Kunden weitergeben"


BS Energy - Grundversorger in der Stadt Braunschweig - berichtet, dass man im Jahr 2021 mehrere tausend Kunden in die Ersatzversorgung übernommen habe, die von Insolvenzen ihrer jeweiligen Anbieter betroffen waren beziehungsweise deren Lieferverträge einseitig - häufig rechtswidrig - seitens der Anbieter gekündigt wurden. Dies betreffe sowohl Kunden von Strom- als auch von Gasanbietern. Betroffen seien Kunden von kleinen Energieanbietern, aber auch Kunden von großen Energiediscountern wie Stromio und gas.de. "Angesichts der derzeitigen Rekordpreise auf den Strom- und Gasbeschaffungsmärkten rechnen wir mit weiteren Insolvenzen in den nächsten Wochen und Monaten und somit auch mit der Übernahme von weiteren Kunden insolventer Energieanbieter durch die jeweiligen Grundversorger", erklärt Lennart Danckert aus dem Bereich Unternehmenskommunikation bei BS Energy.

Die Aufnahme der zusätzlichen Kunden habe erhebliche wirtschaftliche Belastungen für die Grundversorger zur Folge. Grundversorger müssten für Energielieferanten einspringen, die ihre Lieferverpflichtungen nicht mehr erfüllen können oder wollen. Dies bedeute, dass diese Energiemengen zu den aktuell historisch hohen Energiepreisen beschafft werden müssten. "Faktisch tragen Grundversorger damit die wirtschaftlichen Folgen der Insolvenzen der Energiediscounter. Diese Kosten müssen Grundversorger in ihrer Produktkalkulation berücksichtigen und an ihre Kunden weitergeben", so Danckert.

"Bundesregierung muss eingreifen"


Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft e.V. (BDEW) hat hier bereits Ende des Jahres Konsequenzen gefordert, um eine Regulierungslücke zu schließen. "Billiganbieter betreiben Geschäftemacherei auf Kosten der Kunden und wälzen das ökonomische Risiko auf die Grundversorger ab. Hier muss die neue Bundesregierung eingreifen. Vor dem Hintergrund der durch externe Faktoren explodierenden Preise an den Energiemärkten kann es nicht weiter angehen, dass Anbieter in Niedrigpreiszeiten Reibach machen und sich bei steigenden Preisen nicht mehr um ihre Kunden kümmern. Die Grundversorger übernehmen Verantwortung für ihre Bestandskunden und garantieren die Belieferung neuer Kunden unkompliziert und unterbrechungsfrei. Das muss von der Politik honoriert und unseriösen Geschäftsmodellen in der Daseinsvorsorge Einhalt geboten werden“, so BDEW-Präsidentin Dr. Marie Luise Wolff in einer Pressemitteilung.


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