Kassel. Der Präsident des Bundessozialgerichts, Rainer Schlegel, hält die Kindergrundsicherung für "untauglich", um Familien zu helfen. Deren Schwierigkeiten "löst man nicht durch eine neue Behörde und noch mehr Schnittstellen", sagte er der FAZ (Donnerstagsausgabe).
Das Reformvorhaben sieht er bei Familienministerin Lisa Paus (Grüne) nicht gut aufgehoben; es gehöre in die Hände von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD). Von Heil wünscht sich Schlegel auch ein strikteres Vorgehen gegen jene, die das Bürgergeld ausnutzten und nicht mit den Jobcentern kooperierten. "Der Umgang mit dieser Gruppe ist ganz entscheidend dafür, ob das Gesamtsystem von der breiten Bevölkerung akzeptiert wird." Die Sanktionsmöglichkeiten, die das Bundesverfassungsgericht zulasse, seien mit einem zweimonatigen Leistungsentzug für Totalverweigerer nicht ausgeschöpft.
Aus Sicht des obersten Sozialrichters muss die Regierung mehr Konsequenzen aus der "Zeitenwende" ziehen. "Auch für den Sozialstaat bedeutet Russlands Überfall eine Zäsur", mahnt Schlegel. Die Ampel gebe vor, alles im Griff zu haben, "aber wir werden uns vieles nicht mehr leisten können", prophezeit der Gerichtspräsident.
Sparpotenzial im Sozialstaat sieht Schlegel im Abbau der "starken Subventionen" für Teilzeitarbeit. Viele Maßnahmen der Arbeitsmarktpolitik stammten aus Zeiten hoher Arbeitslosigkeit. "Auch die geringfügige Beschäftigung, die sogenannten Minijobs, sind ein Anachronismus. Man sollte sie abschaffen", sagte Schlegel. Geringfügige Beschäftigung sei sehr beliebt, "aber sie ist sozial nicht gerecht, weil sie der Allgemeinheit Kosten aufbürdet, spätestens in der Alterssicherung."
Weiter sagte Schlegel: "Auch weitere Anreize für Teilzeitbeschäftigung halte ich für verfehlt, etwa die beitragsfreie Mitversicherung der Ehepartner in der Krankenkasse. Nachdenken sollten wir auch über den Umbau des Ehegattensplittings in ein Familiensplitting." Damit würde geringfügige Beschäftigung weniger attraktiv. Die Politik sollte die veränderten Realitäten in der Arbeitswelt "endlich" zur Kenntnis nehmen und daraus die notwendigen Konsequenzen ziehen, verlangt der Gerichtspräsident.
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