Braunschweig. Tod durch Messer der Landwirtschaftsmaschinerie: Während einer Mahd im Braunschweiger Stadtteil Hondelage Ende Mai seien zwei Rehkitze durch die scharfen Klingen einer Mähmaschine getötet worden. Bei der Staatsanwaltschaft Braunschweig wurde durch die Tierschutzorganisation PETA laut einer Pressemitteilung Anzeige gegen den Landwirt erstattet, der die Tötung der Rehkitze zu verantworten haben soll. Der zuständige Jagdpächter für Hondelage nimmt die Landwirte seines Ortes in Schutz und erklärt: "Das war kein Vorsatz!"
Die Staatsanwaltschaft hat die Ermittlungen zu dem Fall aufgenommen. "Konkrete Verdachtsmomente gegen eine bestimmte Person liegen bislang noch nicht vor", so Julia Meyer, Sprecherin der Staatsanwaltschaft Braunschweig. Bei ähnlichen Fällen vor Gerichten in Offenburg, Göttingen und Forchheim wurden die betreffenden Landwirte jeweils zu Geldstrafen im unteren vierstelligen Bereich verurteilt.
Grundlage biete hier ein Paragraf im Tierschutzgesetz, welcher es verbietet, Tiere ohne "vernünftigen Grund" zu töten, zu verletzen oder ihnen Schmerzen zuzufügen. "Es ist allgemein bekannt, dass Tierkinder, die nicht schnell genug fliehen können, von den scharfen Klingen der Mähmaschine aufgeschlitzt, verstümmelt oder regelrecht zerhackt werden", so Dr. Edmund Haferbeck, Leiter der Rechts- und Wissenschaftsabteilung bei PETA. „Wer keine ausreichenden Schutzmaßnahmen vor und während der Mahd trifft, nimmt den Tod der Tiere wissentlich in Kauf – und dies ist strafbar."
Ein schlimmer Anblick: Dieses Bild erhielt PETA als Grundlage für die Anzeige. Foto: PETA Deutschland e.V.
Tat muss vorsätzlich geschehen
Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft sei hierfür aber Vorsatz erforderlich. Hierzu würden im Laufe der Ermittlung verschiedene Aspekte beleuchtet. Die aktuell laufende Brut- und Setzzeit sei einer davon, die Waldnähe des Grundstücks ein weiterer. Zuletzt sei auch ausschlaggebend, ob auf demselben Grundstück in den Vorjahren bereits Tiere getötet worden seien. "Es reicht aus, wenn der Täter die Tötung oder Verletzung von Wildtieren durch die Mäharbeiten für möglich hält und gleichzeitig keine geeigneten Gegenmaßnahmen ergreift", so die Juristin Julia Meyer dazu.
Landwirte zu Geldstrafen verurteilt
Zuletzt kam es in der Region im Jahr 2018 zu einem schrecklichen Fall in Gifhorn, bei dem ein Gifhorner Landwirt nach Berichten der Celleschen Zeitung 13 Rehkitze überfuhr. Er wurde zu einer Geldstrafe von 2.000 Euro verurteilt. In Rabenau im Kreis Gießen wurde ein Landwirt sogar zu einer Strafe von 7.500 Euro verurteilt. Was die beiden Fälle gemeinsam haben? Die beiden zuständigen Richter argumentierten jeweils, dass die Beschuldigten den zuständigen Jagdpächter über seine Absichten das Feld zu mähen nicht informiert hätten. Die Jagdpächter übernehmen ehrenamtlich die Aufgabe, die Felder der Landwirte mit Jagdhunden nach Rehkitzen abzusuchen.
Rehe sind schwer zu finden
Der zuständige Jagdpächter in Hondelage heißt Hans-Heinrich Schünemann. Er wirkt überrascht vom Anruf unserer Redaktion und entlastet die ansässigen Landwirte: "Ich kann mich noch gut erinnern, drei Landwirte haben angerufen und gesagt, dass sie morgen mähen wollten, ob ich nicht abends mit dem Hund durchgehen kann." Nachdem dies erfolgt sei, würden die Landwirte auch selbst noch einmal die Felder inspizieren: "Es gibt ja für die nichts Schlimmeres als so ein kleines Bambi, was dann verletzt ist."
Schünemann weist auf die besondere Schwierigkeit hin, Rehe auf einem großen Feld überhaupt auszumachen: "Wenn die Rehe ein bis zwei Tage alt sind haben die noch keinen Körpergeruch, der durch die Hunde erfasst werden kann, sonst würde sie sich ja auch ein Fuchs oder ein Wolf holen. Die bewegen sich auch gar nicht und sind komplett mit dem Gras und der Erde vereint. Das findet der beste Jagdhund nicht, auch wenn wir zusätzlich mit zwei bis drei Leuten die Felder absuchen."
Ricken (Rehmütter) entfernen sich nach der Geburt der Kitze etwa 100 bis 150 Meter von den Kitzen und säugen sie etwa zweimal am Tag. "Krähen und ähnliche Tiere sehen sofort wenn da eine Ricke steht und fliegen da hin, um sich die Nachgeburt zu holen", erklärt Schünemann. Die Kitze werden also von ihrer Mutter bewusst allein gelassen, um keine unnötige Aufmerksamkeit durch eventuelle Fressfeinde zu erregen.
Etwa 100.000 Rehe fallen jährlich Mähmaschinen zum Opfer
In Deutschland werden jährlich etwa 100.000 Rehe bei Mäharbeiten schwer verletzt oder getötet. Der "Drückinstinkt" der Jungtiere führe dazu, dass Rehkitze bei drohender Gefahr meist bewegungslos auf dem Boden verharren und auf ihre Tarnung vertrauen, statt zu fliehen. Tiergerechte Vergrämungsmaßnahmen, wie flatternde Bänder oder Duftzäune, schrecken Rehmütter auf, die anschließend ein besseres Versteck für ihren Nachwuchs suchen. Zudem besteht die Möglichkeit, die Weide im Vorfeld zu begehen oder moderne Infrarotsensoren – sogenannte Wildretter – zu nutzen, um die Felder abzusuchen.
Wärmebildkamera für mehr Sicherheit
In Hondelage gibt es eigentlich sogar vier landwirtschaftliche Betriebe. Über den vierten konnte Schünemann keine Auskunft geben - ein Anruf im betreffenden Betrieb offenbart aber nicht nur, dass dieser ohnehin erst in der kommenden Woche mähen wolle, sondern dass man dort zum Absuchen der Felder auf eine Wärmebildkamera zurückgreife, welche an einer Drohne montiert ist. Eine technische Möglichkeit, die auch Schünemann hofft, demnächst nutzen zu können: "Mit einer Wärmebildkamera, die man übers Feld schickt, kann man die Kitze auch zuverlässig finden. Die Drohne hat aber leider in diesem Jahr noch nicht richtig funktioniert. Wir hoffen, sie im nächsten Jahr einsetzen zu können."
So sieht die Zukunft der Suche nach Rehkitzen aus: Das Bild zeigt die Wärmebildkameraaufnahme einer Drohne, die das Feld in 50 Metern Höhe überfliegt. Die beiden Kitze stechen klar hervor. Foto: Karl Kumlehn / Malteser Drohnengruppe Braunschweig
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