Wolfsburg. Einem Bericht der Zeitung "Handelsblatt" zufolge werde bei Volkswagen darüber nachgedacht, zehntausende Stellen im Zuge der Umstellung auf Elektromobilität zu kürzen. VW-Chef Herbert Diess habe während der Aufsichtsratssitzung am 24. September in einem Gedankenexperiment dargestellt, dass an den deutschen VW-Standorten bis zu 30.000 Arbeitsplätze – also jeder Vierte – abzubauen sind, um die Wettbewerbsfähigkeit des Konzerns zu erhalten. Am Stammwerk in Wolfsburg würde das immerhin den Abbau von bis zu 6.250 Stellen bedeuten. Gegenwind habe es nicht nur aus dem Aufsichtsrat selbst gegeben - auch die Politik äußert sich ablehnend.
Diess belegte die Notwendigkeit dieses Schrittes lauf dem Handelsblatt mit einem Beispiel aus der Geschichte: Als BMW-Manager in Großbritannien habe er erlebt, dass das Management nicht gehandelt und die Gewerkschaften Neuerungen blockiert hätten. Dann sei der Standort in Birmingham von der "automobilen Landkarte" verschwunden. Der VW-Chef will dieses Szenario in Deutschland verhindern und habe deshalb mehrere Szenarien durchrechnen lassen, der Abbau von bis zu 30.000 Jobs war nur eines davon.
Der restliche Aufsichtsrat sei von den Plänen des Vorstandsvorsitzenden kalt erwischt worden und habe laut Handelsblatt entsprechend gereizt reagiert. Man wisse um den Handelsbedarf, wird ein Mitglied des Gremiums zitiert. Die von Diess vorgebrachten Überlegungen würden aber zu weit gehen. Ebenso äußert sich die Jan Spekker, Sprecher der Gewerkschaft IG Metall, auf Anfrage von regionalHeute.de:
"Zu Spekulationen über angebliche Interna aus dem Aufsichtsrat nehmen wir grundsätzlich keine Stellung. Unabhängig davon gilt aber: Ein Abbau von 30.000 Arbeitsplätzen - das wäre in der Volkswagen AG jeder vierte - ist absurd und entbehrt jeder Grundlage."
Die Wettbewerbsfähigkeit von Wolfsburg
Diess plant seit seiner Amtseinführung 2018 den Umbau des Volkswagenkonzerns zur Elektromobilität nach dem Vorbild des US-Autobauers Tesla. Der Elektroautohersteller des Amerikaners Elon Musk hat sich mit einer Fabrik in Grünheide auf den deutschen Automarkt geworfen. Während einige VW-Standorte bereits auf Elektrizität umsatteln, ist das Stammwerk in Wolfsburg hiervon bislang ausgenommen. Das hält offenbar nicht nur Diess selbst für einen Fehler. Auf Anfrage von regionalHeute.de gibt ein Konzernsprecher folgendes Statement ab:
„Es steht außer Frage, dass wir uns angesichts der neuen Marktteilnehmer mit der Wettbewerbsfähigkeit unseres Werks in Wolfsburg befassen müssen. Tesla in Grünheide wird neue Maßstäbe in der Produktivität und bei den Skalen setzen. Mit dem Projekt Trinity haben wir die Chance, den Standort Wolfsburg zu revolutionieren und Arbeitsplätze nachhaltig abzusichern. Die Debatte ist jetzt angestoßen und es gibt bereits viele gute Ideen. Konkrete Szenarien gibt es nicht.“
Trinity ist eine neue Autogeneration, die bei Volkswagen ab 2026 vom Band laufen soll. Der Vorteil soll vor allem in einer einfachen Bauweise liegen, was tatsächliche Teile der Fertigung obsolet machen würde. Eine Modernisierung des Standortes Wolfsburg war bislang auch durch den Einfluss des Gesamtbetriebsratschefs Bernd Osterloh nicht erfolgt - ob die geäußerten Absichten von VW-Boss Diess mit dem Wechsel von Osterloh zu Volkswagens LKW-Tochter Traton in Zusammenhang stehen, ist aber höchstens spekulativ.
Das Land schweigt
Kritik hagelt es bereits den ganzen Tag aus der Politik - auch regional. "Bei einer vertraulichen Sitzung im Wirtschaftsausschuss des Landtages am 1. Oktober verlor Wirtschaftsminister Althusmann darüber jedoch kein Wort", moniert die für Wolfsburg zuständige Grünen-Landtagsabgeordnete Imky Byl. "Die Oppositionsparteien im niedersächsischen Landtag haben bei der heutigen Plenarsitzung vom Land eine Stellungnahme verlangt. Das Land Niedersachsen sitzt als Anteilseigner am Konzern mit im Aufsichtsrat. Die Mitglieder Stephan Weil und sein Stellvertreter Bernd Althusmann weigerten sich jedoch, dem Parlament Auskunft zu erteilen", so Byl weiter.
Ihrer Meinung nach müsse das Land angesichts der von Diess ins Spiel gebrachten massiven Umbaupläne Stellung beziehen. Byl sehe zwar ein, dass die Weitergabe vertraulicher Informationen engen Grenzen unterstehe, sie hebt aber hervor: "Der Abbau von mehreren zehntausend Arbeitsplätzen wäre für Wolfsburg und die Region ein harter Schlag."
SPD ist optimistischer
"Sollte es hierbei tatsächlich zum groß angelegten Stellenabbau kommen – wovon ich erstmal nicht ausgehe –, dann dürfen die Veränderungen nicht brachial auf dem Rücken der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ausgetragen werden", so der Wolfsburger SPD-Bundestagsabgeordnete Falko Mohrs.
Mohrs verweist in diesem Zusammenhang auch auf die aktuelle Studie des Fraunhofer-Instituts, die von ganz anderen Zukunftsperspektiven ausgeht. „Die nächsten Jahre werden gerade für den Produktionsstandort Wolfsburg ganz entscheidend sein. Daher muss der Trinity auch zu einem Erfolgsmodell der E-Mobilität made in Wolfsburg werden“, so Mohrs.
Die SPD-Vorsitzende und stellvertretende Vorsitzende der SPD-Landtagsfraktion Immacolata Glosemeyer fügt dem hinzu: „Allen ist doch klar, dass auch Automobilhersteller in der aktuellen Lage vor großen Herausforderungen stehen und Antworten auf eine zunehmend digitalisierte sowie elektromobilisierte Welt finden müssen. Mit der Landesbeteiligung an Volkswagen werden wir dabei unterstützen, die richtigen Weichenstellungen vorzunehmen, um wettbewerbsfähig zu bleiben und den Beschäftigungsstandort nachhaltig zu sichern.“
Abschließend warnt die SPD-Chefin vor voreiligen Schlüssen: „So wie ich den Bericht im Handelsblatt verstanden habe, geht es dabei um ein theoretisches Gedankenspiel und nicht um eine konkrete Maßnahme in den kommenden Wochen. Ich bin fest davon überzeugt, dass niemand im Konzern ein Interesse daran hat, Arbeitsplätze in so großem Umfang zu kürzen!“
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