Region. Vor Kurzem veröffentlichte der Stern einen Bericht über sexuelle Übergriffe durch Lehrkräfte an Schulen. Darin hieß es, dass es jährlich zu Hunderten solcher Missbrauchsfälle kommen würde. Doch nur wenige Bundesländer würden diese überhaupt erfassen. regionalHeute.de wollte wissen, wie die Situation in Niedersachsen aussieht und fragte beim zuständigen Kultusministerium nach.
Nur neun der Bundesländer führten eine Statistik über sexuelle Übergriffe durch Lehrkräfte. Eines davon sei auch Niedersachsen, wie das Kultusministerium mitteilte. Auch hier sei es zu Vorfällen gekommen.
Laut des Stern-Berichts seien deutschlandweit (also in den erfassten Bundesländern) 231 Fälle seit 2012 erfasst worden. In Niedersachsen hätten sich davon in nur fünf Jahren (2017 bis 2021) 56 davon abgespielt - so das Niedersächsische Kultusministerium. Spitzenreiter ist hier bislang das Jahr 2019, hier wurden 16 Fälle behandelt. Für 2022 liegen bislang noch keine Zahlen vor.
Angesichts vergleichbarer Aussagen der Polizei zu sexuellen Übergriffen, ist zudem von einer Dunkelziffer auszugehen. Bei den genannten Zahlen handelt es sich nur um "Wegen Distanzverletzungen abgeschlossene Disziplinarverfahren", nicht allerdings um die tatsächlichen Fallzahlen.
So will das Land die Schüler schützen
Zum Schutz von Kindern und Jugendlichen gebe es in Niedersachsen mehrere pädagogische Maßnahmen und Programme. Diese stützten sich auf die Pfeiler Prävention, Intervention (durch Beratungs- und Unterstützungsangebote) und Personalentwicklung.
Zur Prävention gehörten auf die jeweiligen Zielgruppe beziehungsweise Altersklasse abgestimmte Maßnahmen (Kurse, AGs, Projekte/Projekttage, Angebote mit Unterstützung außerschulischer Partner) zur Stärkung der Persönlichkeit und des Selbstwertes.
Angebote (Fortbildungen, Beratung) für das Fachpersonal zielten darauf ab, beispielsweise Lehrkräfte, Sozialarbeitende und andere Tätige im Bereich Schule für Anzeichen von Gewalt und Kindeswohlgefährdung sowie mögliche Reaktionen (einschließlich Beratungsangebote zu nutzen) zu sensibilisieren. Wichtig dabei sei es, allen Zielgruppen einen leichten Zugang zu Hilfsangeboten vor Ort zu ermöglichen und einen schnellstmöglichen Schutz der Opfer zu gewährleisten. Sowohl im Bereich Prävention als auch Intervention müsse aber auch Elternarbeit immer mitgedacht werden, so das Ministerium.
Im Sinne niederschwelliger Beratungs- und Unterstützungsangebote in den Schulen stelle Niedersachsen für circa 1.300 Beratungslehrkräfte 4.800 Anrechnungsstunden zur Verfügung. Darüber hinaus habe die Landesregierung mit Einführung der sozialen Arbeit in schulischer Verantwortung an rund 1.100 Schulen in Niedersachsen dauerhaft sozialpädagogische Fachkräfte etabliert.
Zentrale Anlaufstelle
Seit 2012 gebe es in Niedersachsen eine zentrale Anlaufstelle für Opfer und Fragen sexuellen Missbrauchs und Diskriminierung in Schulen und Tageseinrichtungen für Kinder sowie deren Eltern oder Erziehungsberechtigte. Sie sei im Kultusministerium angesiedelt und für alle Kinder und Jugendlichen, Schüler, Lehrkräfte, Eltern und andere Hinweisgeber aus ganz Niedersachsen erreichbar, erklärt das Kultusministerium.
Die Arbeit in der Anlaufstelle werde durch ein interdisziplinäres Team geleistet. Die Anlaufstelle ist telefonisch sowie per E-Mail unter anlaufstelle@mk.niedersachsen.de erreichbar und werde unter anderem über die Homepage des Kultusministeriums bekannt gemacht.
Was geschieht mit den Tätern?
Sollte es zu Missbrauchsfällen kommen, gibt es verschiedene Wege - das sei auch abhängig davon, ob es sich um eine beschäftigte oder eine verbeamtete Lehrkraft handeln würde.
Bei beschäftigten Lehrkräften käme das Arbeitsrecht zur Anwendung; danach könnten Abmahnungen und Kündigungen ausgesprochen werden.
Bei verbeamteten Lehrkräften greife das Niedersächsische Disziplinargesetz (NDiszG). Danach habe die Disziplinarbehörde die Pflicht, ein Disziplinarverfahren einzuleiten, wenn zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, die den Verdacht eines Dienstvergehens rechtfertigen. Im Rahmen eines solchen Disziplinarverfahrens gelte: „Zur Aufklärung des Sachverhalts sind die belastenden, die entlastenden und die Umstände zu ermitteln, die für die Bemessung einer Disziplinarmaßnahme bedeutsam sind.“
Beamte sind geschützter
Damit diene ein Disziplinarverfahren nicht nur der Pflichtenmahnung, sondern auch der Entlassung eines Beamten von unter Umständen ungerechtfertigterweise erhobenen Vorwürfen. Zur Bemessung einer Disziplinarmaßnahme gelte, dass die Entscheidung nach pflichtgemäßen Ermessen ergehen solle. Sie sei also nach der Schwere des Dienstvergehens zu bemessen; dabei sei das Persönlichkeitsbild des Beamten, einschließlich des bisherigen dienstlichen Verhaltens zu berücksichtigen.
Ebenso solle berücksichtigt werden, in welchem Umfang der Beamte das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit beeinträchtigt hat. Gemäß NDiszG seien als Disziplinarmaßnahmen gegen Beamte folgende Konsequenzen möglich: Verweis, Geldbuße, Kürzung der Dienstbezüge, Zurückstufung und Entfernung aus dem Beamtenverhältnis. Bei Ruhestandsbeamten kämen Kürzung des Ruhegehalts, Zurückstufung und Aberkennung des Ruhegehalts in Betracht.
Schule als Ort der Sicherheit
Darüber hinaus würden alle Schulen gemäß Runderlass „Sicherheits- und Gewaltpräventionsmaßnahmen in Schulen in Zusammenarbeit mit Polizei und Staatsanwaltschaft“ verpflichtend Gewaltpräventionskonzepte erstellen und umsetzen. Jede einzelne Schule soll so ihren Schülern einen Ort der Sicherheit, der Verlässlichkeit und des Vertrauens bieten. Die Schulen würden durch die Regionalen Landesämter für Schule und Bildung Beratung und Unterstützung bei der Entwicklung und Fortschreibung ihres Sicherheits- und Präventionskonzepts erhalten, unter anderem auch durch die Schulpsychologie und Regionalbeauftragte für Prävention und Gesundheitsförderung. Mit dem besonderen Fokus der Prävention und Intervention im Kontext des sexuellen Missbrauchs fänden landesweit Fortbildungen zur Erstellung und Implementierung von Schutzkonzepten in Schulen statt.
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