Braunschweig. Eintracht Braunschweig steht nach dem überraschenden Abstieg aus der zweiten Fußball-Bundesliga vor einem Scherbenhaufen. Nicht weniger als der sofortige Wiederaufstieg ist Pflicht. Doch das Verhalten der Vereinsführung wirft Fragen auf, die bisher nicht zu beantworten sind. Eine Einschätzung von Frank Vollmer und Till Oliver Becker.
Viele Fragen, wenige Antworten
Viel Zeit gelassen hatten sich die Verantwortlichen nicht: Torsten Lieberknecht wurde nur einen Tag nach der 2:6-Pleite bei Holstein Kiel als Eintracht-Trainer entlassen. Die Begründung dafür, sie klingt absurd. Der 44-Jährige soll keinen gültigen Vertrag für die Dritte Liga besitzen. Eine reine Formalie also? Nein. Dass Lieberknecht nach zehn Jahren als Trainer der Lizenzmannschaft (und weiteren fünf als Spieler und Jugendtrainer) bisher kein würdiger Abschied bereitet wurde, ist unglaublich. Eine Legende geht von Bord, und es gibt lediglich eine standardisierte Pressemitteilung - das passt ins Bild, das Eintracht in diesen Tagen vermittelt.
Emotionale Lähmung oder Besonnenheit?
Natürlich muss gerade jetzt Besonnenheit die Handlungen bestimmen, und auch das Leben geht weiter (wie Präsident Sebastian Ebel feststellte). Aber das ist keine Entschuldigung für diesen Umgang mit Lieberknecht. Und Fakt ist auch, dass es in der Fanszene gewaltig brodelt. Zwar hat Ebel die Fans nach dem Abstieg in Kiel noch mit den Worten „wir haben zum Glück keine Hamburger Szenen gesehen“ gelobt, aber dieses stille Saisonende lag wohl eher an dem großen Schock, den die Brutalität dieser 2:6-Katastrophe bei allen Beteiligten hinterlassen hat. Auch heute noch, zehn Tage später, hört man immer wieder von Fans, sie seien emotional gelähmt.

Der Lieberknecht'sche Schatten, er ist überlebensgroß. Fotos: Agentur Hübner Foto: Agentur Hübner
Das Spiel mit den Fans
Diese Lähmung wird aber bald vergangen sein. Damit die vorgebliche Ruhe dann nicht in blinden Aktionismus umschlägt, muss die Eintracht bis dahin ihre Hausaufgaben gemacht haben. Das heißt, der neue Trainer muss präsentiert, die ersten Hoffnungsträger verpflichtet, kurz: Ein Konzept muss zu erkennen sein. Während anderswo aber beinahe täglich Vollzug gemeldet wird, hat der BTSV Ruhe zur obersten Bürgerpflicht erklärt. Hendrick Zuck geht, wurde gestern bekannt. Das war eines der wenigen Lebenszeichen seit der Demission Lieberknechts, mitten im Dilemma schweigt die Eintracht also. Und lässt ihre Anhänger unwissend und zweifelnd zurück.
Wer auch immer das für eine kluge Taktik hält, er spielt mit dem Feuer und verstärkt die eh schon negative Stimmung an der Fanbasis. Vielleicht arbeitet man im FanRat schon an einem Lösungsansatz. Darüber zu reden ist immer eine gute Entscheidung, der Vorschlag einer großen Fanversammlung ist da nur der nächste logische Schritt. Gründe genug gäbe es dafür: der Abstieg aus der zweiten Liga, die desolate Situation im Nachwuchsleistungszentrum, die quälende Sorge um die Eintracht also.
Die Kritik perlt ab
Aber wird sich die sportliche Führung den Fans auf einer solchen Versammlung stellen? Daran darf gezweifelt werden. Denn den Hauptschuldigen für die Misere bei Eintracht Braunschweig hat die Fanszene längst ausgemacht, es ist der Sportliche Leiter Marc Arnold. Torsten Lieberknecht dagegen hätten die Anhänger gern in anderer Funktion weiterhin im Verein gesehen, am liebsten auf der Position Arnolds.
Aus zahlreichen Wortmeldungen der regionalSport.de-Leser ist klar geworden: die Fans trauen Arnold den erfolgreichen Neuaufbau schlichtweg nicht zu. Doch diese Diskussion, sie perlt an Arnold ab. „Wenn mich das zu sehr beschäftigen würde, könnte ich meiner Arbeit nicht so nachkommen, wie der Anspruch an mich selber auch ist“, sagte der 47-Jährige. Und: „Ich akzeptiere das, versuche aber, meine Arbeit bestmöglich, nach vorne blickend, fortzuführen.“
Bei der letzten großen Fanversammlung wäre die Situation beinahe eskaliert, hätte nicht Lieberknecht als Mediator eingegriffen und zwischen den Parteien vermittelt. Viel zu weit auseinander waren die Standpunkte zwischen Verein und Szene damals. Diese Entfernung dürfte mittlerweile eher größer als kleiner geworden sein. Der Mediator wird dieses Mal nicht schlichtend eingreifen können – er ist nicht mehr da.
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Dies ist ein Kommentar von Frank Vollmer und Till Oliver Becker. Die Meinung der Autoren entspricht nicht zwingend der Meinung unserer Redaktion.
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