Gestern Eintracht, heute: Jacob Thomas, der texanische Vollsprinter

Teil 29 unserer Serie über ehemalige Fußballhelden von Eintracht Braunschweig.

von Henrik Stadnischenko


Für die Meisten zu schnell: Jacob Thomas lief die 40 Yards in 4,29 Sekunden!
Für die Meisten zu schnell: Jacob Thomas lief die 40 Yards in 4,29 Sekunden! | Foto: Agentur Hübner/Archiv

Braunschweig. Der geneigte Sportfan verbindet die US-amerikanische Großstadt Austin im Bundestaat Texas mit der Formel 1 und dem großen Preis der USA. Den Streckenrekord hält dort der Monegasse Charles Leclerc. Aus Austin stammt aber auch ein Fußballer, der auf dem grünen Rasen im Eintracht-Stadion häufiger für einen Streckenrekord sorgte: Wenn Jacob Thomas zum Sprint ansetzte, konnte ihn meistens nur ein Foul aufhalten.

"Ich sehe aus wie ein Pumper!"


Zu seiner aktiven Zeit wurde er als schnellster Spieler in der Regionalliga Nord bezeichnet. In den USA lief er die 40 Yards (36,5 Meter) in 4,29 Sekunden. Unvergessen auch sein Antritt im DFB-Pokalspiel gegen Hannover 96, als er die 96-Abwehr abhängte und die Eintracht in Führung schoss. In Momenten wie diesen gelang es Thomas, seinen Status als Publikumsliebling nochmals zu untermauern.

Unter anderen Umständen wäre es vielleicht gar nicht so weit gekommen, zum Beispiel, wenn der sympathische Glatzenträger mit 19 Jahren das Probetraining beim großen Rivalen absolviert hätte und verpflichtet worden wäre: „Ja, ich sollte damals zu einem Probetraining nach Hannover kommen. Ich hatte mich auch sehr darauf gefreut, denn der Fußball in den USA hatte noch nicht diesen Stellenwert, den er heute hat. Dementsprechend musste man nach Europa, um erfolgreicher Fußball-Profi zu werden. Aus verschiedensten Gründen hat es am Ende nicht geklappt. Heute kann ich sagen: Zum Glück hat es nicht geklappt!“, erklärt Jacob Thomas.

Das gescheiterte Probetraining in Deutschland nahm den US-Amerikaner sogar so sehr mit, dass er erst einmal aufhörte mit dem Fußballspielen. „Für mich war das ein riesen Rückschlag. All die Jahre habe ich dafür gearbeitet, gekämpft und dann scheitert das Probetraining. Ich war mit dem Fußball durch“, erinnert sich der 43-Jährige. Statt seinem Traum als Fußballprofi nachgehen zu können, holte ihn die Realität ein: Thomas jobbte in einem Fitnessstudio und entwickelte sich zum Bodybuilder. In Spitzenzeiten wog er damals 120 Kilo – wohlgemerkt reine Muskelmasse.

Thomas zerlegt Meppen binnen 20 Minuten


Der Fußball rückte immer mehr in den Hintergrund bis ihn sein Bruder zu einem Spaß-Training mit Spielern aus der MLS, der höchsten nordamerikanischen Spielklasse, mitnahm. „Er musste mich schon regelrecht zwingen, denn eigentlich hatte ich keine Lust. Nach meinem ersten Tor war das Feuer auf einmal wieder da und nach insgesamt fünf Toren sagte ich mir: 'Jetzt sehe ich aus wie ein Pumper, dabei will ich doch Fußball-Profi werden und nicht Bodybuilder. Wenn ich nochmal eine Chance zum Probetraining bekäme, ich würde sie sofort nutzen.' Der ehemalige Bundesliga- und Amerika-Profi Franz Gerber besorgte mir dann über Umwege ein Probetraining bei der Eintracht und scheinbar überzeugte ich“, blickt Jacob Thomas heute lachend zurück.

Obwohl der US-Amerikaner von Anfang an zu überzeugen wusste, dauerte es einige Monate bis er absolutes Selbstvertrauen aufbauen konnte. „Ich habe mir häufig viele Gedanken gemacht. Im Nachhinein hat mich das die erste Zeit gehemmt. Ich hätte einfach spielen und den Kopf ausschalten sollen. Aber das ist leichter gesagt als getan. Im Training habe ich häufiger überdreht, wollte unbedingt mehr machen als die Anderen. In Spielen hat mir deshalb manchmal die Frische gefehlt“, blickt Thomas an die Zeit in Braunschweig zurück. Insgesamt 123 Partien absolvierte er für die Löwen und erzielte dabei 22 Tore. Neben seinem Tor gegen Hannover 96 bleibt wohl auch sein 20-Minuten-Hattrick gegen den SV Meppen in guter Erinnerung.

Denkwürdig auch sein erster Auftritt beim Mannschaftsessen: Statt mit festem Schuhwerk tauchte Thomas in Badelatschen auf. Auch noch heute trägt er gerne Flipflops, sehr zum Leidwesen seiner Frau: „Die Tretter sind nun mal bequem. Ich muss mir dann nur häufig anhören: 'Jacob, das ist jetzt nicht dein Ernst? Kannst du nicht normale Schuhe tragen?'“

Bei den Fans genoss der US-Amerikaner hohes Ansehen.
Bei den Fans genoss der US-Amerikaner hohes Ansehen. Foto: imago/Garcia


"Das alles dank Fußball!"


In guter Erinnerung bleibt Joacob Thomas die Anfangszeit in Braunschweig. Besonders eine Sache störte ihn vom ersten Tag an: das Wetter. „In den USA hatten wir gefühlt jeden Tag Sonne. Als ich nach Braunschweig kam, war es die erste Woche nur grau und regnerisch“, erinnert sich Thomas, der sich in der Mannschaft schnell den Ruf als Sonnyboy und Gute-Laune-Bär erarbeitete. „Wenn du zuvor ganz normal gearbeitet hast und dann Fußballprofi wirst, dann kannst du jeden Tag nur gute Laune haben. Ich konnte meine Miete bezahlen, mein Auto bezahlen, habe jeden Tag ein warmes Mittagessen bekommen und das alles dank dem Fußball. Danach hat sich die Zufriedenheit von alleine eingestellt“, sagt Thomas.

Fünf Jahre spielte der US-Amerikaner an der Hamburger Straße, stieg mit dem Verein 2002 in die 2. Bundesliga auf und spricht von der schönsten Zeit in seinem Leben. Als wir ihn fragen, ob es Dankbarkeit im Fußball gibt winkt er ab und erklärt aus seiner Sicht warum: „Als wir 2002 aufgestiegen sind, wollte der Verein den Spielern die Aufstiegsprämie nicht zahlen. Einige Spieler haben den Verein daraufhin verklagt. Ich habe auf die Prämie verzichtet, weil der Verein für mich mehr war. Ein Jahr später bekam ich das Angebot von Mainz 05 und Jürgen Klopp. Die Gespräche mit ihm waren phänomenal. Ich kann verstehen, warum er ein Welttrainer ist. Mainz war bereit eine angemessene Ablöse zu zahlen, nur Eintracht war die scheinbar zu niedrig. Ich musste also bleiben. Ein weiteres Jahr später kam Michael Krüger, der überhaupt nicht auf mich setzte und ich musste Eintracht verlassen. Diese Erfahrungen haben mir gezeigt, der Fußball ist ein knallhartes Geschäft. Auf Dankbarkeit kannst du in diesem Bereich nicht zählen“, verdeutlicht der Ex-Löwe, der 2004 die Eintracht in Richtung VfB Lübeck verließ.

Sternstunde: Thomas (re.) feiert mit Daniel Graf, Jürgen Rische und Benjamin Adrion im DFB-Pokal am 30. August 2003 ein 4:1 gegen Kaiserslautern und den späteren Weltmeister Miro Klose (li.)
Sternstunde: Thomas (re.) feiert mit Daniel Graf, Jürgen Rische und Benjamin Adrion im DFB-Pokal am 30. August 2003 ein 4:1 gegen Kaiserslautern und den späteren Weltmeister Miro Klose (li.) Foto: imago/Rust


Als Gegner gefeiert


Ausgerechnet im VfB-Trikot erlebte er im Eintracht-Stadion einen Gänsehautmoment: „Ich hätte erwartet, dass mich die Eintracht-Fans auspfeifen, weil ich beim Gegner spiele. Stattdessen wurde ich nach dem Spiel sogar von der Kurve gefeiert. Das berührt mich heute immer noch. Dabei habe ich mich nie als etwas Besonderes gesehen. Wenn ich gesehen habe, dass ich Menschen mit einem Foto oder einem Autogramm eine Freude bereiten konnte, sie zum Lächeln gebracht habe, hat mich dies auf der einen Seite glücklich gemacht, auf der anderen Seite verwundert, denn ich war kein Weltstar."

Heutzutage wäre Jacob Thomas nicht gerne Fußball-Profi. "Die Bindung zu den Fans fehlt. Nach dem Training oder den Spielen werden die Spieler abgeschottet. Gespräche sind gar nicht mehr möglich. Das fand ich in Braunschweig immer toll, sich mit den Menschen über alle Dinge unterhalten zu können“, so Thomas, der seine Schnelligkeit übrigens auch seiner guten Ernährung zu verdanken hatte: „Mein Körper war mein Kapital. Deshalb war es mir wichtig, gut auf ihn aufzupassen. Ich habe viel Zeit in regenerative Übungen gesteckt. Auch der Bereich Ernährung wurde großgeschrieben. Wenig Kohlenhydrate, viel Eiweiß, kein Zucker, kein Alkohol. Ich wollte nicht riskieren, dass ich eine Verletzung bekomme, aufgrund der falschen Ernährung“, so Thomas.

Und wie sieht es heutzutage aus? „Ich war lange genug Profi, jetzt darf ich mir auch ein Glas Whiskey oder ein Stück Steak vom Smoker gönnen“, erklärt der 43-Jährige mit einem Schmunzeln. 2008 ließ er seine Karriere beim US-Klub Columbus Crew ausklingen. Heute lebt der US-Amerikaner wieder in der Region Braunschweig. Seine Frau Franziska ist die Tochter von Eintracht-Rekordspieler Franz Merkhoffer. Zusammen haben die beiden zwei Kinder, die wie sollte es anders sein ebenfalls Fußball spielen. Während der jüngere Isaiah für die U16 des VfL Wolfsburg aufläuft, spielte der ältere Elias zuletzt in der US-Akademie des FC Barcelona und hat nun ein Stipendium an der University in San Francisco angenommen. „Beide haben das Talent. Jetzt liegt es an ihnen, etwas daraus zu machen. Elias hat in der A-Jugend bereits für die Eintracht gespielt. Mein Traum wäre es, wenn die beiden irgendwann für die Profimannschaft der Eintracht auflaufen würden“, betont Jacob Thomas. Mittlerweile ist er als Spielerberater tätig. Für die US-amerikanische Nationalmannschaft scoutet und analysiert der die Nationalspieler, die in Deutschland aktiv sind.

Familienmensch: Jacob Thomas und seine Frau Franziska.
Familienmensch: Jacob Thomas und seine Frau Franziska. Foto: privat



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