Kiew/Cherson. Nach der Sprengung des Kachowka-Staudamms im von Russland besetzten Teil der Region Cherson fordert die Ukraine eine Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrats. Man sehe die Sprengung, deren Ausführung das Ministerium Russland vorwirft, als "terroristischen Akt gegen kritische Infrastruktur der Ukraine", der auf möglichst viele zivile Opfer und Zerstörung ziele, hieß es am Dienstagmittag aus dem ukrainischen Außenministerium.
Die Wassermassen bedrohten "Dutzende Siedlungen auf beiden Seiten des Flusses Dnipro". Momentan seien die Evakuierungen der Zivilbevölkerung in vollem Gange. Die russische Seite weist die Vorwürfe aus Kiew zurück und macht laut der dortigen Nachrichtenagentur Tass ukrainische Raketenschläge für die Sprengung verantwortlich. Politikwissenschaftler Carlo Masala von der Bundeswehruniversität München verurteilte unterdessen die Zerstörung als Kriegsverbrechen.
"Wenn ein Staudamm gesprengt wird, dann ist die Zerstörung, die das Wasser anrichtet, nicht mehr zu kontrollieren", sagte er am Dienstag dem Fernsehsender "Welt". Sie richte sich dann nicht nur gegen Kombattanten, sondern auch gegen Zivilisten. Der Militärexperte Christian Mölling von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) sieht Moskau als Urheber hinter der Sprengung des Staudamms in der Südukraine: "Die Russen wollen die ukrainische Gegenoffensive durcheinanderbringen, die an einigen Stellen zu wirken beginnt", sagte er den Zeitungen der Funke-Mediengruppe (Mittwochsausgaben). "Wenn es die Ukrainer gewesen wären, würde das zudem die Unterstützung durch den Westen gefährden."
Das wäre kontraproduktiv gewesen. Für die ukrainische Offensive sei die Sprengung des Staudamms "ein Stolperstein, aber es ist weder ein Gamechanger noch eine Eskalation". Er sehe "keine strategischen Auswirkungen auf den Verlauf oder das Ergebnis des Krieges". Durch die Überflutungen müssten nun weniger russische Soldaten auf der Ostseite des Dnipro-Flusses präsent sein, wo Moskau einige tausend Kräfte in festen Verteidigungsstellungen stationiert habe, fügte Mölling hinzu.
"Eine Überquerung des Flusses durch ukrainische Soldaten wird in den nächsten Tagen oder Wochen nicht möglich sein." Dadurch könne Russland einige Kräfte an andere Frontabschnitte im Osten verteilen: "Für die Ukraine wird die Gegenoffensive dadurch schwieriger", so Mölling. Allerdings könnten auch die Russen nicht ermessen, wie die "taktische Lage vor Ort" in drei oder vier Wochen aussehe. Es sei unwahrscheinlich, dass ein Vorstoß über den Dnipro im Zentrum der ukrainischen Gegenoffensive stehe, unterstrich der Militärexperte.
"Aber Entlastungsangriffe waren sicher geplant, um russische Truppen dort zu binden, die dann an anderer Stelle fehlen."
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