Verfassungsschutzbericht 2022: Neue Bedrohung durch "Demokratiefeinde"

Neben bekannten gesellschaftlichen Phänomenen liegt das besondere Augenmerk nun auf der neuen "demokratiefeindlichen Mischszene".

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Der Verfassungsschutzbericht 2022 wurde veröffentlicht.
Der Verfassungsschutzbericht 2022 wurde veröffentlicht. | Foto: Niedersächsisches Ministerium für Inneres und Sport; regionalHeute.de

Region. Die Ministerin für Inneres und Sport in Niedersachsen, Daniela Behrens, und der Präsident des Verfassungsschutzes, Dirk Pejril, haben den Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2022 vorgestellt. Der Bericht verdeutliche, dass der Verfassungsschutz als Frühwarnsystem für die Demokratie ein wichtiges Werkzeug ist. Besonders kritisch betrachtet man eine neue Gruppe, die es offensichtlich auf unsere Demokratie abgesehen hat. Dies geht aus einer Mitteilung des Niedersächsischen Innenministeriums hervor.



Ein besonderes Augenmerk wird in dem Bericht auf eine demokratiefeindliche Mischszene gelegt, die zunehmend an Reichweite gewinnt. Diese Szene, die aus verschiedenen extremistischen Strömungen besteht, nutzt neue Themen wie den Ukraine-Krieg, hohe Inflation und gestiegene Energiepreise, um ihre Ablehnung des demokratischen Systems in Deutschland zu verbreiten. Vor allem in den sozialen Medien verbreiten sie ihre Narrative und erreichen dadurch immer mehr Menschen. Was mit Corona-Leugnung, Schwurbelei und Verschwörungstheorien begann, hat sich offensichtlich zu einem ernsten Problem entwickelt.

Innenministerin Behrens: „Diese Entwicklungen nehmen wir nicht hin! Den russischen Fake News und Lügenerzählungen müssen wir noch aktiver entgegentreten und Falschinformationen nicht unwidersprochen im digitalen Raum stehen lassen."

Lügenpresse, Politikerhass und ein bisschen Frieden


Ministerin Behrens betonte, dass die Vermischung verschiedener extremistischer Szenen dazu führt, dass sie sich gegenseitig bestärken und Verschwörungstheorien übernommen werden, um das demokratische System in Deutschland abzulehnen. Politiker, Journalisten und Wissenschaftler sind besonders im Fokus dieser Mischszene, die darauf abzielt, die demokratische Ordnung zu destabilisieren.

Der Verfassungsschutzpräsident Pejril wies darauf hin, dass potenzielle Gewalttäter sich zunehmend im Internet radikalisieren, ohne Anbindung an traditionelle rechtsextremistische Organisationen. Rechtsextremisten, Corona-Leugner, Verschwörungstheoretiker und Reichsbürger versuchen, die Legitimität des Staates zu untergraben und verfolgen eine verfassungsfeindliche Agenda. Sie geben sich entweder als "Widerstandsbewegung" aus oder verharmlosen sich als "Friedensbewegung" im Sinne Russlands.

Größte Bedrohung kommt von Rechts


Im Bericht werden auch andere extremistische Phänomene untersucht. Rechtsextremismus bleibt demnach weiterhin die größte Bedrohung für die Demokratie in Niedersachsen, obwohl das rechtsextremistische Personenpotenzial leicht rückläufig ist. Die NPD und "Die Rechte" haben aufgrund von Mitgliederverlusten organisatorische Probleme, während Neonazis und subkulturell geprägte Rechtsextremisten weiterhin gewalttätig sind. Reichsbürger und Selbstverwalter stellen ebenfalls eine Gefahr dar, insbesondere aufgrund ihrer Ablehnung staatlicher Autorität und ihrer Affinität zu Waffen.

Linke und Klima-Aktivisten


Der Linksextremismus bleibt mit über 1.200 Personen konstant, wobei Autonome und gewaltbereite Linksextremisten hauptsächlich den Klimaschutz, die Wohnraumumgestaltung und den Antimilitarismus thematisieren. Es sei auch eine Einflussnahme auf die Bewegung der Klimaaktivisten erkennbar.

Pejril: „Im Gegensatz zum demokratischen Klimaprotest machen Linksextremisten mit ihren Aktionen deutlich, dass für sie konsequenter Klimaschutz nur möglich ist, wenn der Kapitalismus und der ihn – aus ihrer Sicht – schützende demokratische Rechtsstaat abgeschafft sind. Deswegen unternehmen sie den Versuch, die Initiativen für ihre extremistischen Interessen zu instrumentalisieren und langfristig zu radikalisieren.“

Die Innenministerin meint: „Die Regeln unseres Rechtstaates gelten auch für diejenigen, die für so wichtige Anliegen wie den Natur- und Klimaschutz eintreten. Es ist daher wichtig, dass Klimaaktivistinnen und -aktivisten Distanz einnehmen zu extremistischen und kriminellen Kräften.“

Islamismus und Anschlaggefahr


Auch der Islamismus ist weiterhin präsent. In diesem Bereich sei die jihadistische Propaganda weiterhin virulent. Sie sorge für eine latente Anschlagsgefahr durch islamistische Extremisten und Terroristen. Indoktrinierte und radikalisierte Einzelpersonen, insbesondere auch in Verbindung mit psychischen Auffälligkeiten, oder Kleingruppen stellten hier neben den Terrororganisationen ein erhebliches Gefahrenpotenzial dar.

Das Personenpotenzial des größten Teils der niedersächsischen Islamisten, den Salafisten, war im Jahr 2022 erstmals rückläufig. Jedoch war das Aktionsniveau in diesem Phänomenbereich 2022 deutlich höher als in vorangegangenen Jahren. Zum Teil mag die Aufhebung der coronabedingten Einschränkungen ursächlich sein. Den Ausschlag dürften jedoch populäre deutschsprachige Prediger gegeben haben, die sich neu etabliert haben und die salafistische Ideologie verständlich und jugendgerecht verbreiten. Ebenfalls haben Missionierungskampagnen wieder zugenommen, so beispielsweise Literaturverteilaktionen oder Vortragsreihen salafistischer Prediger.

Salafistische Predigt aus Braunschweig


Es sei weiterhin mit einer intensiven und professionellen Nutzung von Social-Media-Plattformen zu rechnen. Diese salafistischen Onlineangebote erlangten eine sehr hohe Reichweite. Dadurch kämen vor allem auch Menschen in sehr jungem Alter in Kontakt mit salafistischen Inhalten, was eine Radikalisierung fördern könne.

Die Deutschsprachige Muslimische Gemeinschaft e. V. (DMG) in Braunschweig habe sich als bundesweiter Anlaufpunkt salafistischer Prediger etabliert. Wöchentlich würden die Auftritte dieser bundesweit bekannten salafistischen Prediger zudem über die vielfältigen Online-Kanäle der DMG Braunschweig einer großen Zahl an Zuschauenden zugänglich gemacht. Ihre Bekanntheit habe die DMG Braunschweig zuletzt signifikant gesteigert, indem sie ihre Internetpräsenzen massiv ausgebaut und diversifiziert hat. Das ausgedehnte Angebot reicht mittlerweile von YouTube über TikTok bis zu Spotify und Telegram. Allein der YouTube-Kanal der DMG Braunschweig habe derzeit etwa 70.000 Abonnenten (Stand: 05/2023).

Die Gefahr der Selbstradikalisierung insbesondere vor dem Hintergrund der digitalen Möglichkeiten zur Information und Kommunikation sei und bliebe hoch. Das zeigten die immer wieder bekanntwerdenden Gefahrensachverhalte.

Deutschland als (Cyber)Kriegsschauplatz


Auch im Bereich der Spionageabwehr würde es durch die aktuellen Geschehnisse in der Welt viel zu tun geben: Im Rahmen einer hybriden Kriegsführung versuchten russische Akteure Einfluss auf Europa zu nehmen. Dies geschehe durch Desinformationskampagnen, Energieboykott, Cyberangriffe und das Eindringen in Macht- und Intellektuellenkreise.

Die Cyberabwehr hat in Niedersachsen 13 Fälle staatlich gesteuerter Aktivitäten gegen IT-Systeme festgestellt. Unternehmen, Behörden, Universitäten und Privatpersonen waren betroffen. Es gab auch Fälle von Desinformationskampagnen, bei denen russische Hacker versuchten, die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Auch niedersächsische Landtagsabgeordnete wurden Opfer von Phishing-Angriffen.

Innenministerin Behrens beabsichtigt, aktiv gegen Fake News und Falschinformationen vorzugehen und den "Gemeinsamen Aktionsplan von Bund und Ländern gegen Desinformation und für eine wehrhafte Demokratie" umzusetzen. Aufgrund des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine sind Rüstungsunternehmen, Zulieferer und kritische Infrastrukturunternehmen verstärkt Ziel von Geheimdiensten geworden. Unternehmen der kritischen Infrastruktur, einschließlich Energieversorgern, sind besonders anfällig für Cyberangriffe, da sie erhebliche Auswirkungen auf die Gesamtbevölkerung haben können. Der Verfassungsschutz steht in engem Austausch mit Unternehmen in Niedersachsen und bietet beratende Unterstützung angesichts der aktuellen Lage.

Verfassungsschutz steht vor neuen Herausforderungen


Zur Vorstellung des Verfassungsschutzberichtes 2022 erklärt Dragan Maric, Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP)-Kreisgruppe Verfassungsschutz: “Wir erleben eine geopolitische Zeitenwende, mit der vielfältige Gefahren für unsere freiheitlich demokratische Grundordnung einhergehen und die auch den gesellschaftlichen Zusammenhalt bedrohen.“

Maric verweist auf die hohe Dynamik, mit der der Verfassungsschutz kontinuierlich auf neue Phänomene reagiert. Neben den klassischen rechts- und linksextremistischen Strömungen und dem radikalen Islamismus stehen aktuell unter anderem Bestrebungen zur Delegitmierung des Staates, Desinformationskampagnen und Cyberangriffe in Form von Spionage, Phishing oder Hackerangriffen im Vordergrund. Auch das veränderte Kommunikations- und Informationsverhalten stelle die Verfolgung vor immer neue Herausforderungen.


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