Warum in Schweden die glücklichsten Menschen leben


Schweden liegt in der Weltrangliste der glücklichsten Länder („World Happiness Report“) auf Rang neun. Foto: pixabay
Schweden liegt in der Weltrangliste der glücklichsten Länder („World Happiness Report“) auf Rang neun. Foto: pixabay

Die Deutschen arbeiten, die Schweden leben. Das steht in einem „Businessführer“ für deutsche Manager, die in oder mit Schweden Geschäfte machen wollen. Der Vergleich ist völlig zutreffend und total falsch. Natürlich arbeiten die Schweden auch. Die Wirtschaft wuchs 2017 um 2,7 Prozent, in Deutschland um 2,2 Prozent. Warum die Schweden trotzdem ganz anders ticken, erzählt der Geschäftsführer der deutsch-schwedischen Handelskammer FOCUS-Online-Autor Ralph Grosse-Bley in Stockholm.


von FOCUS-Online-Autor Ralph Grosse-Bley

Ralph-Georg Tischer (55) führt die Handelskammer schon seit zehn Jahren, er kennt den baltischen Raum wie wohl nur wenige andere Deutsche. Die Kammer hat 60 Mitarbeiter, finanziert sich nur zu acht Prozent aus den Beiträgen freiwilliger Mitglieder, der Rest kommt durch Beratung von Firmen rein. Der deutsche Staat zahlt für die Kammer 0 Euro.
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Schweden ist Deutschland für Erwachsene


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Ralph-Georg Tischer führt die deutsch-schwedische Handelskammer seit zehn Jahren. Foto: Ralph-Grosse Bley/FOCUS Online



Was ist in Schweden denn nun so anders als bei uns? Tischer, ein gebürtiger Westfale, der gern deutlich spricht und Klartext mag, fängt so an: „In Schweden ist der Staat sehr stark, die Bürger akzeptieren das, weil der Staat sie niemals enttäuscht hat!“ Das ist schon mal komplett anders als in Deutschland. Tischer wird noch deutlicher: „Die Wirtschaft ist so liberal wie die USA, der Staat ist so dominant wie in der DDR, natürlich ohne den ganzen Überwachungs-Wahn und die Mauer.“ Da braucht man eine gewisse Reife, um das Prinzip zu schnallen – Schweden ist insofern Deutschland für Erwachsene.

Weglaufen müssen die Schweden auch nicht, das Durchschnitts-Einkommen liegt bei gut 47.000 Euro (Deutschland: knapp 40.000 Euro), die Natur ist grandios, jeder sechste hat ein eigenes Boot und im Sommer ist ganz Schweden im Urlaub. Kein Wunder, dass Schweden in der Weltrangliste der glücklichsten Länder („World Happiness Report“) zuletzt auf Rang neun lag, sechs Plätze vor den Deutschen.

Für Schweden ist Deutschland der wichtigste Handelspartner – sowohl beim Import als auch beim Export. Tischer: „Beide Länder haben einen starken industriellen Kern.“ In Schweden sind das Konzerne wie Scania, Volvo, Saab, ABB, Ikea, Eriksson, H&M. Aber auch Skype, Spotify und Klarna gehören zur schwedischen Erfolgsgeschichte.

Und dann haben die Schweden auch noch reichlich Bodenschätze – Kupfer, Blei, Zink, Eisenerz, Silber und Gold. Aber ist in Schweden, das vor allem auch wegen seiner Zuverlässigkeit immer mehr deutsche Firmen anlockt, wirklich alles Gold?

„Schweden haben es nicht so eilig“


Tischer lächelt. Thema Infrastruktur. Als Deutscher findet er es etwas merkwürdig, dass Schweden bis heute keine landesweite Schnellzug-Verbindung nach ICE-Vorbild hat. Genau so wenig wie eine durchgehende Autobahn-Verbindung etwa zwischen den Großstädten Malmö und Stockholm. „Die Schweden haben es einfach nicht so eilig, sie müssen nicht mit Tempo 180 auf der Autobahn fahren.“ Und wenn es mal eine Radarkontrolle gibt, wird sie vorher mehrfach angekündigt.

Als Problem sieht Tischer die Ausbildung an. Junge Schweden wollen, das ist seine Erfahrung, keine Lehre für kleines Geld machen. Sie wollen einen Job für gutes Geld und dann während der Arbeit lernen. Auch bei der Ausbildung der Ärzte ist Schweden nach Tischers Einschätzung auf einem schwierigen Weg – „man verlässt sich darauf, dass man Ärzte einfach im Ausland einkaufen kann.“

Für problematisch hält Tischer auch die sprachliche Entwicklung. So kann aus einem Vorteil auch ein Nachteil werden: Fast jeder Schwede kann Englisch, schon ab der 1. Klasse wird Englisch an der Schule gelernt. Aber: Eine 2. Sprache wird an den Schulen kaum noch unterrichtet, also kein Deutsch, kein Französisch, kein Spanisch. Das will Tischers Handelskammer ändern – und zahlt 500.000 Euro für ein Schul-Projekt, damit wieder mehr schwedische Kinder Deutsch lernen.

„Datenschutz ist in Schweden kein großes Thema“


Was die Schweden stark macht, ist für Tischer eine „extreme Flexibilität“. Dazu ein starkes Networking („Jeder kennt jeden, jeder hilft jedem“) – und die Offenheit gegenüber dem rasanten Tempo der Digitalisierung. Tischer: „Datenschutz ist in Schweden kein großes Thema. Da fragt man sich eher: Warum sollten meine Daten geschützt sein?“ So ist das in einem Staat, der seine Bürger nie enttäuscht hat, in dem seit 200 Jahren Frieden herrscht. So hatten auch die Vermögen der Bürger 200 Jahre Zeit, unbehelligt zu wachsen. Eine Krone ist eine Krone. Da wird nie ein Euro draus.

Und können die Schweden auch was von uns lernen? „Die Deutschen sind strukturierter, ehrgeiziger, zielorientierter“, sagt Tischer. Nachmittags um 15 Uhr endet die Kernarbeitszeit in Schweden, dann fangen die Leute an zu leben, während in Deutschland noch geschafft wird. Oft lächeln die Schweden über den deutschen Fleiß, den Ehrgeiz, die Disziplin. Aber eines wissen die Menschen im Königreich mit den 100.000 Inseln ziemlich genau, sagt Tischer zum Abschluss: „Wenn Deutschlands Wirtschaft hustet, kriegt die schwedische eine Lungenentzündung.“

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